Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Theresa Mays Endspurt für das Brexit-Abkommen
Die Premierministerin wirbt direkt bei den britischen Bürgern für den Deal – Größtes Problem bleibt Nordirland
LONDON - Einen Tag vor ihrem zweiten Brüssel-Besuch binnen vier Tagen hat Theresa May am Freitag über die Köpfe der renitenten Unterhaus-Abgeordneten hinweg bei der Bevölkerung für ihren umstrittenen Brexit-Deal geworben. In TV-Auftritten und Radio-Fragestunden erläuterte die britische Premierministerin die Details des Pakets aus EUAustrittsvertrag und der am Donnerstag vereinbarten Erklärung über die künftige politische Zusammenarbeit. Anders als bei ihren Auftritten im Parlament habe sie „viele freundliche Nachrichten“aus der Bevölkerung bekommen, beteuerte die Premierministerin im BBC-Radio.
Mays Nein zu Zweit-Referendum
Wie im Unterhaus schloss May gegenüber den weitgehend respektvollen Anrufern die Möglichkeit eines zweiten Referendums aus: „Kein Brexit kommt nicht infrage.“Ausweichend antwortete die Regierungschefin auf die Frage, ob das erzielte Verhandlungsergebnis besser für das Land sei als die EU-Mitgliedschaft. „Es ist ein guter Deal, und wir haben eine bessere Zukunft vor uns“, gab sich die 62-Jährige optimistisch.
Freilich bleibt fraglich, ob May eine Zukunft in der Downing Street hat, wenn sie die für 10. Dezember vorgesehene Parlamentsabstimmung verliert. Danach sieht es derzeit aus. Die Opposition aus Labour, Liberaldemokraten sowie schottischen und walisischen Nationalisten hat sich ebenso gegen das Austrittspaket positioniert wie 40 bis 60 konservative Brexit-Ultras sowie bis zu zehn Torys, die für den EU-Verbleib eintreten („Remainers“).
Vehement kritisch zeigen sich auch die zehn Parlamentarier der erzkonservativen Unionistenpartei DUP aus Nordirland, die im Unterhaus der konservativen Regierung als Mehrheitsbeschafferin dient. Ihre Kritik richtet sich gegen die sogenannte Auffanglösung. Die würde den britischen Teil der Grünen Insel in Zollunion und EU-Binnenmarkt halten, bis sich Brüssel und London auf neue Modalitäten oder einen Handelsvertrag verständigen. Dadurch soll die Grenze zur Republik im Süden wie bisher offen bleiben.
Finanzminister Philip Hammond warb am Freitagabend in Belfast zur Eröffnung des DUP-Parteitages für das Verhandlungspaket. Sehr viel größere Aufmerksamkeit dürfte am Samstagnachmittag die Gastrede des Brexit-Vorkämpfers und früheren Außenministers Boris Johnson bekommen. Damit zementiert der 54Jährige die parlamentarische Allianz zwischen konservativen EU-Gegnern und Unionisten, die in Nordirland mit ihrer Anti-Europa-Haltung in der Minderheit sind. Die nordirische Bevölkerung hatte mit 56 Prozent für den Verbleib votiert, Umfragen zufolge würden derzeit mehr als zwei Drittel in der EU bleiben.
Unterdessen rätseln Diplomaten in Brüssel darüber, warum die Premierministerin am Samstag schon einen Tag vor dem EU-Gipfel in die belgische Hauptstadt kommt. Sollte May etwa von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weitere Zugeständnisse verlangen? „Kommt nicht infrage“, heißt es dazu aus mehreren Delegationen.
Die heiße Gibraltar-Frage
Gesprächsthema könnten die neuen Einwände aus Madrid sein. Dort wird das Brexit-Paket mit der Zukunft Gibraltars verknüpft, das seit dem Vertrag von Utrecht 1713 zum britischen Hoheitsgebiet zählt. Wenn London Madrid nicht entgegenkomme, so der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez am Donnerstag, werde Spanien „gegen den Brexit sein Veto einlegen“.
So sehr sich britische EU-Freunde dies wünschen – ein Veto ist dem Sozialisten nicht gegeben, dem BrexitVerhandlungspaket muss am Sonntag nur eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten zustimmen. Allerdings würde die EU-Kommission gern die bisherige Einstimmigkeit der verbleibenden 27 Mitglieder wahren. Und Madrid könnte für London spätestens dann unangenehm werden, wenn es um den zukünftigen Handelsvertrag mit der EU geht. Dafür ist nämlich tatsächlich europäischer Konsens notwendig.