Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kaffeeklatsch der Generationen
Tinder, Komasaufen und Co. – Wie eine Oma und ihre Enkelin das Medium Podcast für sich entdecken
STUTTGART - „Weißt du, was ,Tinder’ ist?“, fragt Kim ihre 92 Jahre alte Großmutter. Die sitzt neben ihr am Esstisch und schaut verdutzt: „Kinder?“„,Tinder’, Oma, ,Tinder’!“, wiederholt die 31-Jährige und erklärt, was es mit der Dating-App auf sich hat. Oma Inge überlegt kurz: „Ne, also ich würd’s nicht tun. Da seh’ ich ja die Fingernägel von dem Mann nicht.“– eine ganz normale Unterhaltung, wie sie wohl bei jedem Zweiergespann vorkommt, zwischen dem rund 60 Jahre Altersunterschied liegt. Doch bei Kim Hoss und Inge Ziehm kommt eine entscheidende Kleinigkeit hinzu: ihre Gespräche sind im Internet abrufbar – als Podcast.
Mit der aktuellen Folge sind die beiden bereits zum 15. Mal auf Sendung. Neben „Tinder“stehen dieses Mal aber auch andere jugendliche Modeerscheinungen auf der Agenda: „Kennst du den Begriff ,Komasaufen’?“. Oma Inge erklärt „Ja. Also wenn du Kummer hast, dann ...“Enkelin Hoss unterbricht sofort: „Nein, Oma; Koma! Saufen, bis du im Koma bist.“
Ein „erfundenes“Wort
Missverständnisse, die so gut wie in jeder Folge vorkommen und einen zum Schmunzeln bringen. Ebenso charmant ist auch Ziehms nicht vorhandenes Technikverständnis. Die 92-Jährige wusste anfangs auch nicht, was „Podcast“überhaupt bedeutet. „Ich dachte erst, es ist ein Wort, das Kim erfunden hat“, sagt Ziehm und lacht, „das steht nämlich nicht in meinem Dictionary.“
Angefangen hat alles im vergangenen Juni. Damals besuchte Hoss ihre Oma in ihrer Seniorenwohnung im Stuttgarter Norden, weil sie am Stammbaum der Familie arbeiten wollte. Eine Stunde lang lieferte Oma Inge Geburtsdaten, Sterbedaten und Namen, bis sie sich an ihre Schwester erinnerte. Sie erzählte ihrer Enkelin davon, wie deren Großtante vor etlichen Jahren von der eigenen Familie verstoßen worden war – wegen eines unehelichen Kindes. Diese Geschichte packte Hoss so sehr, dass sie sie heimlich mit ihrem Handy aufnahm und sich abends zu Hause noch einmal anhörte. „Als ich das gehört habe, habe ich gedacht, da müssen wir mehr daraus machen.“Sie erzählte Oma Inge von der Idee, einen Podcast mit ihr aufzunehmen, „und seither treffen wir uns immer mittwochs“, sagt Hoss.
Seit Juli kann man der „Podcast Oma“also nun einmal wöchentlich lauschen: wie sie 15 bis 30 Minuten lang Haselnussschnaps schlürfen, Pralinen essen und früher mit heute vergleichen. Die Themen wählt Hoss spontan aus, ein Drehbuch oder ähnliches gibt es nicht. Die Damenrunde bequatscht einfach alles, was die wissbegierige Enkelin von ihrer Großmutter erfahren will oder was ihre Instagram-Follower von der „Podcast Oma“wissen wollen. „Was macht eine Oma eigentlich so den ganzen Tag?“oder „Was würdest du deinem 22-jährigen Ich sagen“– diesen Fragen stellt sich Ziehm wacker und genießt die Zeit mit ihrer Enkelin, um die sie viele beneiden würden. Rückfragen an ihre Enkelin stellt Ziehm aber nicht: „Von euch jungen Leuten weiß ich ja alles.“
Die offene Art von Oma Inge kommt so gut an, dass sich in den vergangenen Monaten eine ganze Fangemeinde um sie gebildet hat. „Oma wurde hier schon zweimal auf der Straße erkannt“, berichtet Hoss. „Mehrmals“, fügt Ziehm hinzu. Die Gemüsefrau zum Beispiel. „Und einmal sogar jemand aus dem Auto, als die Ampel rot war: ,Hallo! Sie waren doch im Fernsehen’“, soll die Fahrerin Ziehm zufolge gerufen haben. Das war kurz nachdem sie und ihre Enkelin eine Einladung vom SWR erhalten hatten. „Mir schwillt dabei nicht der Kamm“, sagt die nahe Stettin geborene Ziehm in bestem Hochdeutsch, „aber es ist schon witzig, dass man sich für so eine Alte interessiert.“„Für manche bist du die Tagesschau, Oma“, fügt Hoss hinzu. Dass die Idee mit dem Podcast sich so herumsprechen würde, hätte auch sie selbst nicht gedacht. 11 000 „Plays“bringe eine Folge, rund fünf Mails trudeln wöchentlich unter der Mailadresse inge@diepodcastoma.de ein. Knapp drei Finger breit – so dick ist Ziehms blauer Fanpostordner, in dem alle Mails landen, die Hoss ihr bei jedem Treffen ausgedruckt mitbringt. Dass Gott und die Welt nun über Oma Inges Fortschritte beim Qigong-Kurs Bescheid wissen oder Hoss’ Hang zu häufigem Gelächter kennen, stört Ziehm nicht. „Wir haben ja nichts zu verlieren“, sagt sie. Thementechnisch schrecken die Podcast-Produzentinnen vor nichts zurück. Außer an Politik, da wagen sie sich nicht ran.
Duo gibt nicht alles preis
Trotz der frechen, ehrlichen und oft zügellosen Gedankengänge: schützende Pseudonyme haben die beiden nicht für sich erfunden. Egal ob Mikro an oder aus, laut Hoss gibt es da keinen Unterschied. Dennoch achtet die 31-Jährige beim Schnitt darauf, dass sich am Ende keiner schämen muss: „Wir vermitteln das Gefühl, dass wir nahbar sind, geben aber nicht alles preis.“
Diese Einstellung sagt offenbar auch einigen Verlegern zu. Mehrere hätten schon danach gefragt, ob die beiden ihren Audiokaffeeklatsch als Buch veröffentlichen möchten. Und auch Hoss habe darüber nachgedacht, Geld mit dem Podcast zu verdienen. Bislang ist der nur eine Art Hobby und eine Möglichkeit, mehr Zeit mit ihrer Oma zu verbringen. „Wir wollen nicht reich werden, aber eine Bereicherung sein“, sagt Hoss, „vielleicht kann man von uns ja noch was lernen.“„Die jungen Frauen bestimmt“, fällt ihr Ziehm ins Wort.