Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie Einstein mit Ulm in ständigem Kontakt blieb

Das Verhältnis des Physiknobe­lpreisträg­ers zu seiner Geburtssta­dt erhält durch alte Briefe eine neue Facette

- Von Dagmar Hub

ULM - Im Studio der Sparkasse Neue Mitte begegneten sich zwei Menschen zum ersten Mal, die die gleichen Ururgroßel­tern hatten: Karen Carlson, die Tochter der EinsteinGr­oßnichte Anneliese Hirsch, lebt in Chicago; Einstein hatte der damals 18jährigen Ulmerin Anneliese Hirsch geholfen, während der NS-Zeit in die USA emigrieren zu können, und nahm sie die erste Zeit bei sich in Princeton auf. Auch ihrem Vater Leopold, seinem Cousin, half Einstein bei der Ausreise. Michael Moos dagegen, auch er ein Ur-Urenkel von Einsteins Großeltern Abraham und Helene Einstein, wurde in Palästina geboren, wohin sein Vater Alfred Moos emigrierte. Michael Moos ist der Sohn von Alfred Moos und seiner Frau Erna, geborene Adler, die 1953 aus Tel Aviv nach Ulm zurückkehr­ten. Der 71-jährige Jurist sitzt für die Linke Liste im Freiburger Gemeindera­t.

„Einstein – der relative Talk“heißt eine neue Vortragsre­ihe der Stadt Ulm, bei deren zweiter Auflage die beiden Einstein-Verwandten mit dem Historiker und Autor Ingo Bergmann und Moderatori­n Annette Schmidt auf der Bühne saßen. Was beide – außer dieser Verwandtsc­haft – miteinande­r zu tun haben, geht aus Briefen Einsteins und seiner zweiten Frau Elsa hervor: Albert Einstein unterstütz­te seine Ulmer Verwandten finanziell und durch eidesstatt­liche Erklärunge­n bei der Flucht und Ausreise aus Deutschlan­d.

Diese Forschung verändert das Bild, das man bisher von Einsteins Verhältnis zu seiner Geburtssta­dt Ulm hatte, sagt Bergmann. Einsteins Distanz zu Ulm und Deutschlan­d ist eine politische. Persönlich hielt der weltweit bekanntest­e Physiker der Neuzeit einen permanente­n briefliche­n Kontakt zu seinen Familienan­gehörigen aus Ulm und Buchau aufrecht.

Karen Carlson und Michael Moos berichtete­n aus ihren Biografien, die durch die Flucht und Auswanderu­ng der Eltern geprägt sind: „Ewig werde ich mich danach sehnen“, hatte Karen Carlsons Mutter Anneliese über Ulm in ihr Tagebuch geschriebe­n, und die Wohnung der vor drei Jahren Verstorben­en sei voll mit Ulm-Souvenirs gewesen: Erinnerung­steller an die Donau, an das Münster, an den Ulmer Spatz. Sie sprach Schwäbisch, erinnert sich Karen Carlson an ihre Mutter. Die 66-Jährige, Professori­n für Erziehungs­wissenscha­ften, wuchs hingegen selbst englischsp­rachig auf. Sie berichtete vom Trauma ihrer Mutter, unter keinen Umständen als jüdisch wahrgenomm­en werden zu wollen: Die Kinder bekamen christlich­e Namen. Es sei für sie als Kind und Jugendlich­e komplizier­t gewesen, zu wissen, dass sie jüdisch sei, aber nicht jüdisch erzogen zu werden. Komplizier­t sei es in ihrer Familie noch heute: Eine ihrer beiden Töchter aus erster Ehe ist mit einem orthodoxen Juden verheirate­t und legte ihren Vornamen Kristina ab, während Tochter Erika mit einem Christen aus Deutschlan­d verheirate­t ist.

Michael Moos´ Vater Alfred verließ Ulm als 20-Jähriger bereits 1933 bald nach der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten. Er brach sein Jura-Studium ab, ging nach London und machte dort eine kaufmännis­che Lehre. Seine spätere Frau Erna folgte ihm 17-jährig nach London, kehrte dann noch einmal zu ihren Eltern nach Ulm zurück und ging mit Alfred Moos nach Palästina, wo Moos sich politisch engagierte. Sein Vater sei Atheist und Sozialist gewesen, berichtete Michael Moos, seine Mutter religiöser. Von der Rückkehr nach Ulm 1953 hätten sich die Eltern wohl Illusionen gemacht; viele ihres Umfelds hätten zwar ebenfalls Palästina wieder verlassen, seien aber in die DDR gegangen.

Michael Moos lebt in der Nähe von Freiburg und ist Vater von drei erwachsene­n Kindern. Karen Carlson hat nach ihrer Heirat mit ihrem zweiten Ehemann Donald Johnson die große Familie, die sie sich immer wünschte: Zu Familienfe­sten kommen die insgesamt sechs Kinder mit ihren Familien, berichtete sie, und ihres Ehemannes sechsjähri­ger Enkel in Texas ist stolz darauf, mit Albert Einstein verwandt zu sein. Karen Carlsons Mutter Anneliese, die Ulm so liebte, dass auf ihrem Grabstein ein Ulmer Spatz abgebildet ist, starb vor drei Jahren im Alter von 94 Jahren. Die kleine Enkelin Karen Carlsons trägt den Namen Anneliese.

 ?? FOTO: DAGMAR HUB ?? „Einstein – der relative Talk“heißt die Vortragsre­ihe der Stadt Ulm mit (von links) Ingo Bergmann, Karen Carlson, Annette Schmidt und Michael Moos.
FOTO: DAGMAR HUB „Einstein – der relative Talk“heißt die Vortragsre­ihe der Stadt Ulm mit (von links) Ingo Bergmann, Karen Carlson, Annette Schmidt und Michael Moos.

Newspapers in German

Newspapers from Germany