Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Ruf nach der Quote für die Politik
Vortrag und Diskussion zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts
LAUPHEIM – Aus Anlass des einhundertjährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts in Baden-Württemberg referierte Sylvia Schraut von der Universität der Bundeswehr in München bei einer Veranstaltung der Volkshochschule. „Frauen im Parlament. Frauen an die Macht? Ein Weg mit Stolpersteinen“, wählte die Historikerin als Thema. In einer anschließenden Diskussion mit Stadträtinnen und Besuchern wurden die Probleme um das politische Engagement mit aktuellen, vor allem regionalen Aspekten vertieft.
Die Professorin der BundeswehrUniversität bilanzierte zunächst die politische Frauenbewegung im 19. Jahrhundert. Sie verfügt über fundierte Kenntnisse als Dozentin und als Vorsitzende des Vereins „Frauen & Geschichte Baden-Württemberg“. Zudem hat sie vielfach zur Geschlechtergeschichte in BadenWürttemberg geforscht. Ihr Vortrag in der Galerie Schranne fand viel Beifall bei der nahezu ausschließlich vom weiblichen Geschlecht besuchten Veranstaltung. Die Erste Bürgermeisterin Eva-Britta Wind sprach Grußworte der Stadt Laupheim.
Sylvia Schraut führte mit einer bedrückenden Feststellung in den Vortrag ein: „Selbstverständlichkeiten werden heute wieder in Frage gestellt.“Dazu zähle die Gleichstellung von Mann und Frau. Sie bezog sich dabei auf eine Äußerung des badenwürttembergischen AfD-Abgeordneten Heiner Merz. Er sprach davon, dass Quoten nur „dummen, unqualifizierten, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen“nützten.
Schraut brachte in Erinnerung, dass mit der Französischen Revolution, auf deren Ideen Demokratie und Rechtsstaat basieren, eine Gleichstellung der Frauen noch lange nicht erreicht war. Die SPD habe 1891 das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufgenommen. Als diese Partei dann im Gefolge des verlorenen Ersten Weltkrieges zur Macht gekommen sei, sei „auf einen Schlag“das Frauenwahlrecht eingeführt worden.
Ausführlich beleuchtete Sylvia Schraut den Anteil der Frauen in den Parlamenten der Weimarer Republik. Das Ergebnis: Die Frauen seien nicht über zehn Prozent Sitzanteile gekommen. Die Dozentin sprach von einem „Weimarer Muster“und meinte, dass Frauen trotz Wahlrecht „total unterrepräsentiert“gewesen seien. Ernüchternd fällt ihr Vergleich zur Entwicklung des Frauenanteils im Bundestag aus. Hier sei er von 36 auf 31 Prozent zurückgefallen. Dies sei auch auf die schwache Repräsentanz von Frauen in der AfD-Fraktion zurückzuführen.
Zentrale Frage für die Professorin: „Warum wählen Frauen keine Frauen?“Dies erkläre sich durch das Familienrecht, sagte sie. Dieses habe der Frau bis in unsere Tage eine bestimmte Rolle in der Familie zugewiesen. Anhand eines Schaubildes wies sie nach, dass die Frauen auch heute viel mehr als Männer ihre Zeit mit „Care-Arbeit“verbringen. Die Frauen stünden infolge dessen häufig auf der Schattenseite des Lebens, etwa bei der Rentenhöhe, weil dies Männer so bestimmten. Sylvia Schraut stellt die Frage in den Raum: „Ist der Verlust von politischen Privilegien für Männer tatsächlich ein Verlust oder nicht etwa ein Gewinn?“
Praktisch veranschaulicht wurde der Vortrag in einer Diskussion unter Kommunalpolitikerinnen aus Laupheim: Karin Meyer-Barthold (Freie Wähler), Dr. Anja Reinalter (Offene Liste), Martina Miller (SPD) und Rita Stetter (CDU). Fragen stellt Sabine Zolper (Leiterin der Volkshochschule). Dabei wurde deutlich, dass die Gemeinde- und Kreisrätinnen auf verschiedenen Wegen Zugang zur Politik fanden. Bei Anja Reinalter war es etwa die Elternarbeit, Martina Miller saß schon in jungen Jahren im Gemeinderat, der Weg wurde durch Gewerkschaftsarbeit geebnet. Rita Stetter musste erleben, dass es von männlicher Seite als ziemlich ungeheuerlich empfunden wurde, dass Frauen in die Politik einsteigen. Sabine Zolper brachte ins Gespräch, dass Frauen im Laupheimer Rat sich eines hohen Stimmenanteils erfreuen könnten.
Einig sind sich die Kommunalpolitikerinnen, dass so manche Hürde zu nehmen sei, um ein Mandat übernehmen zu können. Man traue es einfach Frauen mit Kindern nicht zu, von den Ehemännern käme zu wenig Unterstützung, ist Meyer- Barthold überzeugt. Anja Reinalter fordert: „Wir brauchen Betreuungsgeld, wenn wir im Gemeinderat sind.“
Weitgehend Einigung gab es bei der Frage der Herstellung von Parität zwischen Männern und Frauen in den Parlamenten. Rita Stetter möchte da am liebsten „einen Pflock einschlagen“, um Gleichstellung zu erreichen. In diese Kerbe schlägt Martina Miller und verweist auf das Beispiel Frankreich. Karin Meyer-Barthold ist nicht Angst vor einer Einführung der Parität: „Die kompetenten Frauen sind ja da.“
Und was wünscht man sich für die Zukunft? Rita Stetter: Weiterentwicklung der Kinderbetreuung, Vernetzung Öffentlichkeitsarbeit. Karin Meyer-Barthold: Arbeit mit Herz und Verstand, Gleichberechtigung muss auch Angelegenheit der Männer werden. Anja Reinalter: Eine wie auch immer gestaltete Quote, gute Zusammenarbeit mit den Männern, starke Vernetzung. Martina Miller: Wachstum der SPD-Fraktion, um mehr durchsetzen zu können, mehr Frauen in der Politik, da sie mehr Lebensbereiche im Blick haben.