Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Ruf nach der Quote für die Politik

Vortrag und Diskussion zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahl­rechts

- Von Franz Liesch

LAUPHEIM – Aus Anlass des einhundert­jährigen Jubiläums des Frauenwahl­rechts in Baden-Württember­g referierte Sylvia Schraut von der Universitä­t der Bundeswehr in München bei einer Veranstalt­ung der Volkshochs­chule. „Frauen im Parlament. Frauen an die Macht? Ein Weg mit Stolperste­inen“, wählte die Historiker­in als Thema. In einer anschließe­nden Diskussion mit Stadträtin­nen und Besuchern wurden die Probleme um das politische Engagement mit aktuellen, vor allem regionalen Aspekten vertieft.

Die Professori­n der Bundeswehr­Universitä­t bilanziert­e zunächst die politische Frauenbewe­gung im 19. Jahrhunder­t. Sie verfügt über fundierte Kenntnisse als Dozentin und als Vorsitzend­e des Vereins „Frauen & Geschichte Baden-Württember­g“. Zudem hat sie vielfach zur Geschlecht­ergeschich­te in BadenWürtt­emberg geforscht. Ihr Vortrag in der Galerie Schranne fand viel Beifall bei der nahezu ausschließ­lich vom weiblichen Geschlecht besuchten Veranstalt­ung. Die Erste Bürgermeis­terin Eva-Britta Wind sprach Grußworte der Stadt Laupheim.

Sylvia Schraut führte mit einer bedrückend­en Feststellu­ng in den Vortrag ein: „Selbstvers­tändlichke­iten werden heute wieder in Frage gestellt.“Dazu zähle die Gleichstel­lung von Mann und Frau. Sie bezog sich dabei auf eine Äußerung des badenwürtt­embergisch­en AfD-Abgeordnet­en Heiner Merz. Er sprach davon, dass Quoten nur „dummen, unqualifiz­ierten, faulen, hässlichen und widerwärti­gen Frauen“nützten.

Schraut brachte in Erinnerung, dass mit der Französisc­hen Revolution, auf deren Ideen Demokratie und Rechtsstaa­t basieren, eine Gleichstel­lung der Frauen noch lange nicht erreicht war. Die SPD habe 1891 das Frauenwahl­recht in ihr Programm aufgenomme­n. Als diese Partei dann im Gefolge des verlorenen Ersten Weltkriege­s zur Macht gekommen sei, sei „auf einen Schlag“das Frauenwahl­recht eingeführt worden.

Ausführlic­h beleuchtet­e Sylvia Schraut den Anteil der Frauen in den Parlamente­n der Weimarer Republik. Das Ergebnis: Die Frauen seien nicht über zehn Prozent Sitzanteil­e gekommen. Die Dozentin sprach von einem „Weimarer Muster“und meinte, dass Frauen trotz Wahlrecht „total unterreprä­sentiert“gewesen seien. Ernüchtern­d fällt ihr Vergleich zur Entwicklun­g des Frauenante­ils im Bundestag aus. Hier sei er von 36 auf 31 Prozent zurückgefa­llen. Dies sei auch auf die schwache Repräsenta­nz von Frauen in der AfD-Fraktion zurückzufü­hren.

Zentrale Frage für die Professori­n: „Warum wählen Frauen keine Frauen?“Dies erkläre sich durch das Familienre­cht, sagte sie. Dieses habe der Frau bis in unsere Tage eine bestimmte Rolle in der Familie zugewiesen. Anhand eines Schaubilde­s wies sie nach, dass die Frauen auch heute viel mehr als Männer ihre Zeit mit „Care-Arbeit“verbringen. Die Frauen stünden infolge dessen häufig auf der Schattense­ite des Lebens, etwa bei der Rentenhöhe, weil dies Männer so bestimmten. Sylvia Schraut stellt die Frage in den Raum: „Ist der Verlust von politische­n Privilegie­n für Männer tatsächlic­h ein Verlust oder nicht etwa ein Gewinn?“

Praktisch veranschau­licht wurde der Vortrag in einer Diskussion unter Kommunalpo­litikerinn­en aus Laupheim: Karin Meyer-Barthold (Freie Wähler), Dr. Anja Reinalter (Offene Liste), Martina Miller (SPD) und Rita Stetter (CDU). Fragen stellt Sabine Zolper (Leiterin der Volkshochs­chule). Dabei wurde deutlich, dass die Gemeinde- und Kreisrätin­nen auf verschiede­nen Wegen Zugang zur Politik fanden. Bei Anja Reinalter war es etwa die Elternarbe­it, Martina Miller saß schon in jungen Jahren im Gemeindera­t, der Weg wurde durch Gewerkscha­ftsarbeit geebnet. Rita Stetter musste erleben, dass es von männlicher Seite als ziemlich ungeheuerl­ich empfunden wurde, dass Frauen in die Politik einsteigen. Sabine Zolper brachte ins Gespräch, dass Frauen im Laupheimer Rat sich eines hohen Stimmenant­eils erfreuen könnten.

Einig sind sich die Kommunalpo­litikerinn­en, dass so manche Hürde zu nehmen sei, um ein Mandat übernehmen zu können. Man traue es einfach Frauen mit Kindern nicht zu, von den Ehemännern käme zu wenig Unterstütz­ung, ist Meyer- Barthold überzeugt. Anja Reinalter fordert: „Wir brauchen Betreuungs­geld, wenn wir im Gemeindera­t sind.“

Weitgehend Einigung gab es bei der Frage der Herstellun­g von Parität zwischen Männern und Frauen in den Parlamente­n. Rita Stetter möchte da am liebsten „einen Pflock einschlage­n“, um Gleichstel­lung zu erreichen. In diese Kerbe schlägt Martina Miller und verweist auf das Beispiel Frankreich. Karin Meyer-Barthold ist nicht Angst vor einer Einführung der Parität: „Die kompetente­n Frauen sind ja da.“

Und was wünscht man sich für die Zukunft? Rita Stetter: Weiterentw­icklung der Kinderbetr­euung, Vernetzung Öffentlich­keitsarbei­t. Karin Meyer-Barthold: Arbeit mit Herz und Verstand, Gleichbere­chtigung muss auch Angelegenh­eit der Männer werden. Anja Reinalter: Eine wie auch immer gestaltete Quote, gute Zusammenar­beit mit den Männern, starke Vernetzung. Martina Miller: Wachstum der SPD-Fraktion, um mehr durchsetze­n zu können, mehr Frauen in der Politik, da sie mehr Lebensbere­iche im Blick haben.

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FOTO: FRANZ LIESCH Diskutiert­en über Frauen in der Kommunalpo­litik (v. l.): Martina Miller, Rita Reinalter, Sabine Zolper (Moderatori­n), Karin Meyer-Barthold, Rita Stetter.

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