Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vorgezogene Bescherung
Thilo Sarrazin fügt der SPD schweren Schaden zu, das ist kaum von der Hand zu weisen. Allein, an diesem Schaden trägt die SPD eine gehörige Mitschuld. Erneut tappen die Sozialdemokraten zuverlässig in die Falle, die Sarrazin ihnen gestellt hat.
Die Ankündigung eines neuen Versuchs, den früheren Berliner Finanzsenator aus der SPD auszuschließen, ist für diesen ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Kurz vor den Festtagen erhält Sarrazins Buch, das sich im September einige Wochen auf Platz eins der SachbuchBestsellerliste hielt, einen zusätzlichen Verkaufsschub. Wer an eine „Feindliche Übernahme“Deutschlands durch den Islam glaubt, die Sarrazin darin an die Wand malt, wird sein Weltbild nun bestätigt sehen. Diesem Weltbild zufolge werden kritische Stimmen mundtot gemacht, um eine von oben diktierte Politik der Zuwanderung durchzudrücken. Dass das nicht stimmt, zeigt der gänzlich andersartige Umgang der SPD etwa mit Heinz Buschkowsky, der als ehemaliger Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ebenfalls kritisch über Zuwanderung schrieb („Multikulti ist gescheitert“), ohne allerdings in pauschale Diffamierung abzugleiten.
Sarrazin legt es darauf an, die SPD zu quälen. Er weiß, dass er der Partei, in der er sich nach eigenem Bekunden immer noch „gut aufgehoben“fühlt, mit einem Austritt viel Ärger ersparen würde – und darum tut er es nicht. Aus Sicht der SPD indes wäre es klüger gewesen, Sarrazins Provokationen mit einem Achselzucken hinzunehmen und allenfalls auf das Offensichtliche hinzuweisen, nämlich dass dieser ehemalige Landespolitiker nicht im Namen der Partei spricht. Um dann die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken, als auf ein quälend langes Ausschlussverfahren, bei dem die Partei nicht viel gewinnen kann. Im Gegenteil: Selbst bei einem erfolgreichen Ausschluss durch die Parteigremien kann der Ausgeschlossene immer noch ein ordentliches Gericht anrufen und den Streit damit in die Länge ziehen. Thilo Sarrazin wird sich darauf jetzt schon freuen.
u.mendelin@schwaebische.de