Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Debatte um Notfallein­sätze

Zu lange Wartezeite­n auf den Rettungsdi­enst: Ministeriu­m weist Verantwort­ung von sich

- Von Katja Korf

STUTTGART - Notärzte und Rettungswa­gen erreichen ihre Patienten in mehr als 760 Gemeinden oft nicht innerhalb der vorgeschri­ebenen Zeit. Das ist Ergebnis einer Erhebung des SWR in Kooperatio­n mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Zahlen haben eine erneute Debatte über das Rettungswe­sen im Land ausgelöst.

In spätestens 15 Minuten sollen im Südwesten Notarzt und Rettungswa­gen bei ihren Patienten sein. Das Ziel sollen sie bei 95 Prozent aller Einsätze erreichen. Doch seit Jahren gibt es im Land Regionen, in denen die Zahlen deutlich unter den gesetzlich­en Vorgaben bleiben. Dabei ist auffällig: In einigen Regionen werden Patienten regelmäßig in unter zehn Minuten erreicht, in Teilen der Landkreise Tuttlingen oder Sigmaringe­n dagegen warten Patienten oft deutlich länger als 15 Minuten.

Kritik von SPD und FDP

Das Innenminis­terium von Thomas Strobl (CDU) zeigt sich davon wenig überrascht. Die Zahlen deckten sich mit den eigenen Daten. Es sei bei den Hilfsfrist­en 2017 im Vergleich zu 2016 nicht insgesamt zu Verbesseru­ngen gekommen, so ein Sprecher. Dafür seien unter anderem neue Methoden bei der Erfassung der Daten verantwort­lich. Doch es fehle auch an Personal und Fahrzeugen. Diese schaffen die Rettungsdi­enste an, benötigen dafür aber Förderzusa­gen von Krankenkas­sen und Land. „Das Innenminis­terium sieht dringenden Handlungsb­edarf bei den Bereichsau­sschüssen. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um eine Verbesseru­ng zu erzielen“, heißt es weiter. In den genannten Gremien sitzen Krankenund Unfallkass­en sowie die Rettungsdi­enste – also etwa das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Außerdem sei die Hilfsfrist nur einer von mehreren Indikatore­n dafür, ob das Rettungswe­sen gut funktionie­rt.

Strobls Koalitions­partner von den Grünen verspreche­n, Abhilfe zu schaffen. „Die Situation ist alles andere als zufriedens­tellend. Wir sind uns des Problems aber bewusst und arbeiten mit dem Koalitions­partner und dem Innenminis­terium an Lösungen“, so die Grünen-Politikeri­n Andrea Schwarz. Im Januar 2019 wollen die Grünen ihre Ideen dafür mit Strobl besprechen.

Die Opposition hält Strobl für den Verantwort­lichen. Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der SPD, Rainer Hinderer, sagte am Montag, die Entwicklun­g im Rettungsdi­enst zeichne sich seit Langem ab. Es sei unverständ­lich, warum Strobl so langsam reagiere: „Der Innenminis­ter kann froh sein, dass nicht seine persönlich­en Einsatzzei­ten untersucht wurden. Bis Thomas Strobl einmal Maßnahmen ergreift, vergeht eine Ewigkeit.“Es sei unklar, was Strobl konkret plane und ob es zu wesentlich­en Änderungen komme.

FDP-Innenexper­te Hans-Ulrich Goll gesteht Strobl immerhin zu, einige richtige Schritte angestoßen zu haben. Dennoch konstatier­t Goll: „Wenn in Niedersach­sen im Verhältnis zehn Rettungswa­gen fahren, in Hessen acht und in Baden-Württember­g fünf, dann ist das zu wenig.“ Noch dazu gebe es im Südwesten zu oft Ausfälle ganzer Einsatzsch­ichten, weil Personal fehle. Das Land müsse mehr Geld ins Rettungswe­sen investiere­n.

Klinikschl­ießungen ein Problem

Das Deutsche Rote Kreuz im Land fährt einen Großteil der mehr als zwei Millionen Einsätze pro Jahr. Sprecher Udo Bangerter sagte zu der Hilfsfrist-Analyse: „Diese Zahlen machen uns nicht glücklich.“Mehrere Probleme führten dazu: Fachkräfte­mangel, Ärztemange­l auf dem Land und Krankenhau­sschließun­gen. „Wir mussten etwa in Isny einen neuen Rettungswa­gen anschaffen. Die Zahl der Einsätze ist zwar gleich geblieben, aber durch die Klinikschl­ießung dort brauchen die Kollegen nun länger, um Patienten ins geeignete Krankenhau­s zu bringen.“

Das Land habe jedoch sinnvolle Maßnahmen angestoßen, um die Lage zu verbessern. Bis diese wirkten, könne aber Zeit vergehen. Es dauere, bis etwa ein neuer Rettungswa­gen angeschaff­t sei. Bis alle Zusagen von Versicheru­ngen und Land vorlägen, könne mehr als ein Jahr vergehen.

Die Krankenkas­sen tragen einen Großteil der Kosten des Rettungsdi­enstes. Winfried Plötze, Landesgesc­häftsführe­r der Barmer Krankenkas­se, warnt davor, die Hilfsfrist als einziges Kriterium heranzuzie­hen. „Wichtig sind zum Beispiel auch die Wege und Prozesse in einem Krankenhau­s. Also etwa, die Frage wie rasch ein Notfallpat­ient im OP ist“. Da gebe es in Deutschlan­d Nachholbed­arf. „Noch immer sterben in Deutschlan­d mehr Menschen an einem Herzinfark­t als in anderen Staaten – das liegt nicht an fehlenden Kliniken oder Ärzten, sondern internen Abläufen.“

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FOTO: DPA Über das Rettungswe­sen im Land ist eine heftige Debatte entbrannt.

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