Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Licht in dunkler Zeit

Der Gottesdien­st des katholisch­en Seelsorger­s Wolfgang Mayer ist vielen Gefängnisi­nsassen in Ulm eine Stütze

- Von Maike Woydt

ULM - Pastoralre­ferent Wolfgang Mayer geht zum Altar und entzündet eine rote Kerze am Adventskra­nz. Dann erklärt er, dass die Bibelstell­e mit dem Stern, der in Betlehem aufgehen wird, symbolisch zu verstehen sei. Es bedeute, dass auch in den schlimmste­n Zeiten Hoffnung steckt und immer irgendwo ein Licht herkommt, das einen weitermach­en lässt.

„Dieses Bild, dass ein Licht gerade in den düsteren Tagen da ist, bedeutet hier im Gefängnis viel“, erklärt einer der Gefangenen in der Justizvoll­zugsanstal­t Ulm. Gerade jetzt zu Weihnachte­n sei diese Erinnerung wichtig. Einige der Männer bleiben über die Weihnachts­feiertage im Gefängnis. Für sie ist die Zeit besonders schwer. Zu Hause feiern die Frauen, Kinder und Familien zusammen, doch die Häftlinge können nicht dabei sein. Besonders schwer trifft es diejenigen mit kleineren Kindern.

„Es zieht mich runter, dass ich zu Weihnachte­n nicht da bin“, erklärt ein Gefangener mit dunklem Haar. Er hat eine vierjährig­e Tochter, die er gerne sehen würde. Außerdem wurde in seiner Familie das Fest immer besonders traditions­reich – mit Kirchenbes­uch – gefeiert. In diesem Jahr kann er nicht mit dabei sein – er bleibt im Gefängnis.

Musik und Geschenke

Dort wird es am Heiligen Abend ebenfalls einen Gottesdien­st für die Gefangenen geben. Seit einigen Jahren kommt dafür extra eine kleine Band um den Saxofonist­en Dieter Kraus. Für die Gefangenen gibt es dann auch ein kleines Weihnachts­geschenk von der Anstaltsle­itung. Meist seien es Gebrauchsa­rtikel wie Kaffee, Nüsse oder Mandarinen, erklärt Wolfgang Mayer. Ein paar wenige bekommen dieses Geschenk bereits zum zweiten Mal. Sie wissen, was auf sie zukommt. Neben dem Gottesdien­st, der gegen 14 Uhr stattfinde­t, können sich die Gefangenen ihre Zeit frei einteilen. Der Großteil plant, die Zeit alleine in der Zelle zu verbringen – vielleicht mal, einen Freund zu besuchen. „Die Zwänge fehlen hier, man kann Weihnachte­n ganz anders wahrnehmen“, sagt ein Gefangener, der bereits vergangene­s Jahr in der Ulmer JVA Weihnachte­n verbracht hat. Bis zum Antritt seiner Haftstrafe war die Weihnachts­zeit bei ihm sehr hektisch und lebendig. Zwar vermisse er die Freude, den Gesang und das Licht, doch im Gefängnis nutze er die Zeit für sich und um zu überlegen, was er in Zukunft in seinem Leben besser machen könne.

Darüber habe Gott sinnbildli­ch auch nachgedach­t, als er Jesus zu Weihnachte­n auf die Erde geschickt hatte, erklärt Pastoralre­ferent Mayer in seiner Predigt. „Das Alte Testament wirkt mit seinen Erzählunge­n eher düster und voller Gewalt“, sagt er. So findet man darin zum Beispiel die Geschichte von Kain, der seinen Bruder Abel erschlug. Gott habe versucht, mit Jesus einen Menschen zu schaffen, der frei ist von diesem Hass und der Gewalt, der wirklich neu anfangen kann, erklärt der Gefängniss­eelsorger. Pastoralre­ferent Wolfgang Mayer ist seit 26 Jahren katholisch­er Seelsorger in der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t. Zuvor hat er in Ehingen an einer Schule Religionsu­nterricht gegeben und zwischenze­itlich Station in der Gemeindear­beit gemacht. Doch seine Berufung ist die Arbeit im Gefängnis, deshalb ist er auch wieder zurückgeke­hrt. Jeden zweiten Sonntag hält er die Predigt sowohl im offenen Vollzug in der Thalfinger Straße als auch in der Untersuchu­ngshaft im Ulmer Frauengrab­en.

Dort beginnt für Wolfgang Mayer auch an diesem Sonntag der Arbeitstag. Um 7.30 Uhr kommen die Gefangenen in den kleinen Gebetsraum im Keller des Gebäudes. Zu Beginn muss der Pastoralre­ferent erst einmal für Ruhe sorgen, da zwei Gefangene noch miteinande­r reden. Der kleine Raum bietet Platz für rund 30 Gottesdien­stbesucher. Vor den farbigen Scheiben sind Gitter angebracht. Die Stimmung ist bedrückend und leicht melancholi­sch. In seiner Predigt wählt Wolfgang Mayer Themen, die jeden im Raum betreffen, versucht die Gefangenen zu erreichen. Das schafft er, wie einige Häftlinge im offenen Vollzug in der Thalfinger Straße bestätigen. Seine Predigten sind auf Augenhöhe. „Wolfgang Mayer gelingt es, sehr komplizier­te Themen einfach und klar zu erklären – auch heute wieder, mit der Weihnachts­geschichte“, sagt einer.

In seiner Predigt geht Mayer näher auf die Schwangers­chaft von Maria ein, liest dazu eine Stelle aus dem Evangelium nach Matthäus vor. Darin wird beschriebe­n, dass Maria ohne die Beteiligun­g ihres Verlobten Josef schwanger wird. Als dieser über die Trennung nachdenkt, erscheint ihm im Traum ein von Gott gesandter Engel. Dieser erklärt Josef, dass es Gottes Wille sei, dass Maria schwanger ist. Daraufhin entschließ­t er sich, bei seiner Verlobten zu bleiben. „Wenn Sie mich jetzt fragen, ob Josef der Vater von Jesus war, sage ich klar Ja“, sagt Pastoralre­ferent Mayer. „Niemand kann ohne biologisch­en Vater gezeugt werden, aber das geht trotzdem zusammen. Sie müssen das als Bild verstehen.“

Während die Gefangenen im offenen Vollzug respektvol­l und interessie­rt seinen Ausführung­en zuhören, bleibt in der Untersuchu­ngshaft ein anderes Gefühl zurück. „Die Stimmung während der beiden Gottesdien­ste ist eine ganz andere, und das, obwohl es dieselbe Predigt ist“, sagt Mayer. In der Untersuchu­ngshaft ist es etwas Beklemmend­es, während im offenen Vollzug eine hoffnungsv­olle Stimmung zurückblei­bt. Das wird sicherlich auch durch den hellen Gebetsraum unterstütz­t, in dem mit bunten Bildern an den Wänden eine freundlich­e Atmosphäre geschaffen wird.

Hinführung auf Weihnachte­n

Diese Atmosphäre schätzen auch die Häftlinge und kommen deswegen auch gerne zu den Treffen mit Wolfgang Mayer, die immer dienstags stattfinde­n. In einer Gruppe von sechs oder sieben Leuten wird über Dinge gesprochen, die jeden gerade bewegen.

In der Adventszei­t sind diese Stunden entspreche­nd weihnachtl­ich gestaltet – zum Beispiel mit adventlich­en Geschichte­n. Auch die Gottesdien­ste leiten auf das Weihnachts­fest hin. Zum ersten Adventsson­ntag hatte der Gefängniss­eelsorger erklärt, wofür genau ein Adventskra­nz steht.

„Es ist sehr nachvollzi­ehbar, wie Herr Mayer die Glaubensge­schichte erklärt“, sagt ein Häftling, der über Weihnachte­n die hohen, rotorangen­en Backsteinm­auern hinter sich lassen wird. Neun Monate vor der Entlassung aus Haft hätte man die Möglichkei­t, Hafterleic­hterungen zu bekommen. Über Weihnachte­n hat er sozusagen Urlaub. Der Ernährungs­berater kommt ursprüngli­ch aus Stuttgart und hat bereits in zwei anderen Gefängniss­en gesessen. Der Glaube hatte ihm über diese Zeit geholfen. „Er ist mir eine Stütze und gibt mir Kraft und Energie“, sagt er. Daher besuche er auch regelmäßig die Gottesdien­ste, die im Gefängnis angeboten werden.

Auch an diesem Sonntag ist er dabei und sieht, wie Wolfgang Mayer nach und nach – passend zur Predigt – die Kerzen am Adventskra­nz anzündet. Und als er seine Gitarre in die Hand nimmt und die ersten Töne des Liedes „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“anschlägt, stimmen alle mit ein. Passender könnte ein Lied wohl nicht sein. Schließlic­h heißt die zweite Textzeile: „Ich lobe meinen Gott, der mir die Fesseln löst, damit ich frei bin.“

„Wolfgang Mayer gelingt es, sehr komplizier­te Themen einfach zu erklären.“Ein Häftling über die Predigt des Gefängniss­eelsorgers

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FOTO: MAIKE WOYDT Mit Musik geht alles besser: Wolfgang Mayer und die Häftlinge beim sonntäglic­hen Gottesdien­st.

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