Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die etwas andere Krippe
In Heidelberg thematisieren seit knapp zwei Jahrzehnten Weihnachtsfiguren auch heikle Themen wie den Missbrauchsskandal und den Hambacher Forst
HEIDELBERG (epd) - Ertrinkende Flüchtlinge, Dieselskandal, Hambacher Forst, Ökumenisches Miteinander oder Missbrauch in der katholischen Kirche: Was sich liest wie ein Jahresrückblick, wird derzeit in der katholischen Jesuitenkirche Heidelberg als Weihnachtskrippe dargestellt. Die aktuelle „Krippe am Fluss“ist vielleicht eine der sozialkritischsten in Deutschland.
Links oben steht in vier Metern Höhe Justitia, die den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche thematisiert. In der Mitte sind vor der Heidelberger Stadtkulisse rund 60 Zentimeter große Krippenfiguren zu sehen: etwa der frühere Präsident von Südafrika, Nelson Mandela, der Reformator Martin Luther, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, Taizé-Gründer Frère Roger oder Mutter Theresa.
Rechts wird der Hambacher Forst thematisiert und ragt fast fünf Meter empor. „Die meisten Figuren wurden von Insassen aus dem ehemaligen Altstadtknast hergestellt“, sagt Hermann Bunse, Pastoralreferent, ehemaliger Seelsorger der Altstadthaftanstalt und vor 18 Jahren Erfinder der „Krippe am Fluss“. Die Krippe provoziere jedes Jahr „im liebevollen und geiststarken Sinn“, findet der Seelsorger.
Scharenweise drängen immer wieder Besucher in die Kirche. Mal sind es einfach nur Neugierige, die von der ungewöhnlichen Weihnachtskrippe erfahren haben, mal sind es Touristengruppen, die von Heidelberger Stadtführern zu der politischen Krippeninstallation geführt werden. Schließlich wird die außergewöhnliche Szenerie mittlerweile auch vom Heidelberger Stadtmarketing beworben.
„Wir hatten jährlich bislang so um die 30 000 Besucher pro Saison“, erzählt Bunse, doch dieses Jahr seien „es spürbar mehr“. Dazu trage auch bei, dass dieses Mal der Missbrauch in der Katholischen Kirche thematisiert wird. „Das spricht sich einfach herum“, erklärt sich der Pastoralreferent das zunehmende Interesse, außerdem habe auch das Fernsehen schon darüber berichtet. Seitens der katholischen Kirche habe es bislang „absolut keine Reaktion gegeben“, sagt Bunse.
Die Besucher reagieren unterschiedlich auf die aktuelle Krippe. „Das gibt’s doch gar nicht“, meint etwa Helga Gantel aus Darmstadt, erstaunt über die vielen politischen Botschaften dieser Krippe. „Ich finde das ziemlich mutig“, sagt Helmut Bratzold aus Speyer und meint besonders die Thematisierung des Missbrauchsskandals.
Kürzlich hatte sich Bunse zufolge im Besucherbuch jemand darüber aufgeregt, dass die Figuren Adam und Eva nackt dargestellt sind. „Da gab es aber gleich entsprechende Gegenreaktionen im Buch“, sagt Bunse schmunzelnd und lobt den Diskurs der Besucher.
Vor einigen Jahren hatte eine Frau in der Presse moniert, dass in der Krippe ein Clown dem Christuskind eine Rose überbrachte. Als Reaktion darauf erfanden die Krippenbauer den „Unmut“als Figur. Ihm zur Seite wurde ein „Bankster“gestellt, der dem Kind die Masken seiner Gier bringt. „In dieser Szene werden aktuelle Sorgen der Menschen an die Krippe gebracht.“Es gebe insgesamt aber nur wenig Beschwerden, sagt Bunse. Vielmehr signalisiere die Mehrheit der Betrachter „mit entspannter Mimik das Geschehen mit großer Freude.“Die Krippe kann laut Bunse auch ausgeliehen und nicht nur in der Adventszeit gezeigt werden, schließlich stellen nur zwei bis drei Szenen die Weihnachtsgeschichte dar.
Kosten entstünden dabei nur für den Transport, die zehn bis fünfzehn Mitarbeiter des Krippenteams helfen auch vor Ort beim Aufbau. Vor einigen Jahren etwa wurde die Krippe an der evangelischen Studentenkirche in Erlangen gezeigt. „Damit haben wir auch ein ökumenisches Zeichen gesetzt“, sagt Bunse.
Seit dem Jahr 2000 gibt es die „Krippe am Fluss“, jährlich wächst die Zahl der dargestellten Figuren, mittlerweile stehen über 80 davon in der sechs Meter breiten und fünf Meter hohen Landschaft. Für die porträthaften Figuren wurde ein Gestalter gesucht, sagt der Theologe.
„Das Spezielle der Weihnachtsbotschaft ist, dass Gott nicht in barocker Prachtentfaltung hoch zu Ross über die Brücke kommt“, heißt es in einem Begleitbüchlein. Vielmehr werde der Gottessohn unter der zugigen Brücke als „Erdling“geboren, niedrig und gering, schreiben die Autoren weiter. „Genau diese Erniedrigung Gottes wollten die Krippenbauer mit der Stadtarchitektur Heidelbergs mit den berühmten Wahrzeichen der Stadt, dem Schloss und der Alten Brücke deutlich machen“, erklärt Bunse.
Die Krippenlandschaft kann bis zum 6. Januar täglich von 9.30 bis 17 Uhr in der Jesuitenkirche angeschaut werden.