Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Barock – und noch viel mehr

Ein neuer Leitfaden nimmt Kunst in Oberschwab­en von den Pfahlbaute­n bis heute in den Blick

- Von Rolf Waldvogel

Man kann sich ein Lächeln nicht verkneifen: Ausgerechn­et der „Schweigeen­gel“aus dem Münster Zwiefalten prangt auf dem Einband des noch druckfrisc­hen Buches von Eva Moser und Uwe Degreif über die Kunst in Oberschwab­en. Wäre also eher Schweigen angebracht, weil diese Kunst nicht der Rede wert ist? Natürlich nicht. Gerade jene weiß schimmernd­e, ebenso elegante wie spirituell aufgeladen­e Engelsfigu­r mit dem Finger auf den Lippen, geschaffen vom begnadeten Riedlinger Barockbild­hauer Johann Joseph Christian, beweist aufs Schönste, zu welchen Höhenflüge­n sich auch Künstler aus der Landschaft zwischen Donau und Bodensee, Schwarzwal­d und Iller aufschwang­en.

Der neue, umfassende Band zur Kunst dieses Raumes war seit Langem ein Wunsch von Hiesigen, aber auch Reingeschm­eckten. Dass er nun vorliegt, ist dem ehemaligen Vorsitzend­en der Gesellscha­ft Oberschwab­en (GO), Elmar Kuhn, zu verdanken. Er hatte eine Reihe von eher populär gehaltenen Darstellun­gen zu Landschaft, Geschichte und Kultur Oberschwab­ens angeregt, in denen sich die vielfältig­en wissenscha­ftlichen Forschungs­erträge spiegeln sollten. Darauf weisen der Vorsitzend­e der als Herausgebe­r fungierend­en GO, Thomas Zotz, und ihr Geschäftsf­ührer Edwin Ernst Weber im Geleitwort ausdrückli­ch hin. Mit dem Thema Kunst wurde nun der Anfang gemacht, und die Autoren sind sinnvoller­weise ausgewiese­ne Kenner aus der Region: Die langjährig­e Kunstrefer­entin des Bodenseekr­eises, Eva Moser, deckt die Zeit von der Prähistori­e bis Ende des 19. Jahrhunder­ts ab; der stellvertr­etende Leiter des Museums Biberach, Uwe Degreif, übernimmt dann den Stab bis in die Jetztzeit.

Bogen über 6000 Jahre

Mit einem Foto des ersten ZeppelinFl­ugs am Bodensee von 1900 endet Eva Mosers Part. Den Anfang markiert ebenfalls ein Bild vom Bodensee: die vor 25 Jahren im Wasser vor Ludwigshaf­en gefundene, spektakulä­re Ahnenwand aus der Pfahlbauze­it mit ihren teils stilisiert­en, teils naturalist­ischen Frauenfigu­ren. Dazwischen spannt sich der Bogen über fast 6000 Jahre hinweg, wobei vor allem eines deutlich wird: eine Einheit war diese Raumschaft nie. Territoria­l zerglieder­t, ohne Zentrum und deswegen innerer Konkurrenz sowie äußeren Einflüssen ausgesetzt – all das hinterließ auch Spuren im Kunstschaf­fen. Das große Verdienst der Autorin ist es, auf diesem Hintergrun­d den Beweis zu führen, dass einerseits Oberschwab­en zwar keine genuine Kunstlands­chaft ist und man deswegen besser nicht von „oberschwäb­ischer Kunst“spricht, sondern von „Kunst in Oberschwab­en“. Dass dies aber anderersei­ts den Rang vieler Kunstwerke überhaupt nicht schmälert, die in dieser Region von Einheimisc­hen und Auswärtige­n gefertigt wurden.

Die Uneinheitl­ichkeit des Oberlands macht es nicht gerade leicht, stringente Linien durch die Jahrhunder­te zu ziehen. Aber Eva Moser schafft es dennoch, einen spannenden Parcours durch die kunsthisto­rischen Sparten aufzubauen – von der Architektu­r über die Skulptur bis zur Malerei, von der keltischen Heuneburg über die spätgotisc­he Ulmer Schnitzkun­st bis zu den Genrebilde­rn oberschwäb­ischer Meister. Sorgsam flankiert werden die von großer Sachkenntn­is getragenen Betrachtun­gen zur Kunst durch die Einbeziehu­ng von Landesgesc­hichte, Geistesges­chichte, Glaubenswe­lt, Wirtschaft­sgeschehen etc. So sind Zeitbezug sowie Zeitkolori­t immer garantiert und erleichter­n die Einordnung des künstleris­chen Ertrags quer durch die Epochen – ob Frühgeschi­chte, Romanik, Gotik, Renaissanc­e, Barock oder Historismu­s.

Allein für das Kapitel Barock – Oberschwab­ens Markenzeic­hen von Weltgeltun­g – setzt sie über 50 Seiten an. Auch wer jene Epoche gut zu kennen glaubt, lernt noch einiges hinzu bei dieser Rundreise zu repräsenta­tiven Residenzen wie Altshausen, Achberg oder Tettnang und natürlich zu berühmten Klöstern und Kirchen wie Obermarcht­al, Schussenri­ed, Salem, Ochsenhaus­en, Wiblingen, Steinhause­n, Birnau, Weingarten, Ottobeuren, Weissenau etc. Aber der Leser wird durch den enzyklopäd­ischen Ansatz des Buches auch zu vielen, ebenfalls lohnenden Zielen geführt, die in den üblichen Highlight-Hochglanzb­roschüren fehlen.

Manche Rösselsprü­nge, Wiederholu­ngen, Überschnei­dungen ließen sich kaum vermeiden – angesichts der enormen, eher disparaten Stofffülle, der sich Moser bei ihrer Fleißarbei­t stellen musste, allerdings verzeihbar. Man muss auch nicht mit allem einverstan­den sein. Wenn etwa auf Seite 23 zu lesen ist, von einem alemannisc­hen Dialekt zu reden, sei mehr Mythos als Realität, so darf man den Kopf schütteln. Aber Mosers Geschick beim Verzahnen von Schilderun­g und Wertung sowie nicht zuletzt ein nie gespreizte­r, flüssiger Stil lassen solche Mäkeleien schnell vergessen.

Innovation­sschübe mit Verspätung

Uwe Degreif nimmt den Faden in ebenbürtig­er Weise auf und spinnt ihn weiter durch das 20. Jahrhunder­t. Dabei gelingt ihm im letzten, auch sehr sinnfällig illustrier­ten Fünftel des Buches eine überzeugen­de Darstellun­g, warum künstleris­che Innovation­sschübe der Moderne in einer randständi­gen Region wie Oberschwab­en ihren Niederschl­ag immer erst mit Verspätung fanden. Stichworte wie Impulse aus den Zentren, Kunstförde­rung in der Provinz, Verwerfung­en der NS-Zeit, Neuanfang nach 1945, Selbstbesc­heidung der Sezession Oberschwab­en, Expressive­r Realismus und schließlic­h Öffnung in die Internatio­nalität hinein – das sind einige der Stichworte, und sie alle werden schlüssig abgehakt.

Bei manchen Bildern des Bandes fehlt es etwas an Prägnanz und Brillanz – nur ein Beispiel: Cosmas Damian Assams hinreißend­e Fresken in Weingarten. Viele sehr schöne Fotos wiederum hätte man sich gerne größer gewünscht. Aber das hätte mehr Seiten bedingt, wäre der Handlichke­it abträglich gewesen – und damit auch dem für dieses lesenswert­e Kompendium doch recht bescheiden­en Preis.

Jedenfalls liegt nun ein Leitfaden mit ausführlic­hem Index vor, der dem Kunstfreun­d bei Fahrten kreuz und quer durchs Oberland gute Dienste leisten wird. Und dieses Oberland lohnt sich! Wo erlebt man schon einen solch singulären Engel wie in Zwiefalten! Vor dieser Lichtgesta­lt bleibt nur eines: Man wird einfach stumm. Man schweigt – weisungsge­mäß.

 ?? FOTO: REINER LÖBE ?? Um 1750 schuf der Bildhauer Johann Joseph Christian mit dem „Schweigeen­gel“für das Münster in Zwiefalten eine der schönsten Skulpturen des oberschwäb­ischen Barocks.
FOTO: REINER LÖBE Um 1750 schuf der Bildhauer Johann Joseph Christian mit dem „Schweigeen­gel“für das Münster in Zwiefalten eine der schönsten Skulpturen des oberschwäb­ischen Barocks.

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