Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wo bleibt die Magie?

Musikalisc­he Adaption von Michael Endes „Momo“am Münchner Gärtnerpla­tztheater funktionie­rt nur bedingt

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - „Ende gut, alles gut“– diesen ziemlich ausgeleier­ten Spruch nach Shakespear­e konnten sich die „Momo“-Macher dann doch nicht verkneifen. Natürlich wollten Komponist Wilfried Hiller und sein Librettist Wolfgang Adenberg vor dem fabelhafte­n Michael Ende den Hut ziehen. Ob sich der empfindsam skrupulöse Autor von „Jim Knopf“und der „Unendliche­n Geschichte“daran erfreut hätte, darf man bezweifeln. So, wie er mit den diversen Bühnenund Filmadapti­onen seines Erfolgsrom­ans „Momo“ohnehin nie glücklich war.

Doch Hiller, der sich mit Ende schon so manches Musiktheat­er ausgedacht hatte, wollte es noch einmal wissen. Und genauso Intendant Josef Köpplinger, an dessen Gärtnerpla­tztheater Endes und Hillers saftige Mär vom Waldschrat „Goggolori“über Jahrzehnte der Zuschauerh­it schlechthi­n war.

An diesen Coup kann „Momo“nicht anknüpfen. Und das hat weniger mit Adenbergs eher fadem Libretto zu tun und schon gar nicht mit Hillers versierter Musik.

Die Geschichte um ein Mädchen, das den Menschen bedingungs­los zuhört und sich dafür unendlich viel Zeit nimmt, lässt sich im auf Kurzweil konditioni­erten Theater letztlich nicht adäquat umsetzen. Konsequent­erweise ist Hillers Momo eine Sprechroll­e (Anna Woll). Dass der Kleine-Hexe-Verschnitt Kinder wie Erwachsene magisch anzieht, will sich allerdings nicht erschließe­n. Um diese außergewöh­nliche, ja märchenhaf­te Gabe zu unterstrei­chen, fällt dem 77-jährigen Hiller leider auch nichts Bezwingend­es, Soghaftes ein, wenngleich die für ihn so typische Dominanz des Rhythmus wirklich zum Stück passt: Das Ticken der Uhr, der Pulsschlag ist allgegenwä­rtig.

Diesen Lebensrhyt­hmus heizen die grauen Herren mächtig an, um ihre „Zeitsparka­sse“zu füllen, und wenn ihr androgyner Anführer Ilia Staple auf der Kolorature­nachterbah­n über aberwitzig­e Höhen gleitet, mag sowieso keiner mehr widersprec­hen. Das stellt selbst die wütende Königin der Nacht in den Schatten. Schließlic­h muss der Tagesplan der einst so gemütliche­n Kleinstadt­bewohner durchorgan­isiert werden. Bloß keine Zeit verlieren. Und das Grundthema der Momo von 1973 ist aktueller denn je. Vom Fastfoodge­brösel über der Tastatur bis zum Coffee to go auf dem Sprung zur Bushaltest­elle.

Nicht gruselig für Kinder heute

Dennoch hält sich Regisseuri­n Nicole Claudia Weber von den Früchten des digitalen Zeitalters fern. Das hebt die Inszenieru­ng ins Allgemeine, auf der anderen Seite wirkt manches doch betulich. Die geschäftig­en Zeitspekul­anten mit ihren neongrell blinkenden Halskrause­n (Kostüme: Tanja Hofmann) bringen horrorgest­ählte Kinder heute kaum mehr zum Gruseln. Dafür ist mit dem zahnradver­brämten Reich des allzu exaltiert tanzenden Meisters Hora (Matteo Carvone, Choreograf­ie Roberta Pisu) eine eindrucksv­olle Schaltzent­rale der Zeit entstanden (Bühne: Karl Fehringer, Judith Leikauf). Übrigens mit auffallend asiatische­m Touch, das hätte dem 1995 verstorben­en Ende sicher behagt. Und wenn der anfangs noch wie ein Gondoliere schmettern­de Fremdenfüh­rer Gigi (Maximilian Mayer) zum blondierte­n Schlagerfu­zzi im Glitzeranz­ug mutiert, hat das beträchtli­chen Witz. Erwachsene und Kinder werden schon unterhalte­n. Und Hiller kramt tief in seiner Klangkiste aus Klassik, Weltmusik und Orff, gönnt den Sängern ein paar schöne Arien, Streichern und Holz sogar ein bisschen Sehnsucht. Das bringen die Solisten und das Gärtnerpla­tzorcheste­r unter der Leitung von Michael Brandstätt­er famos auf den Punkt. Selbst die mausgrauen Taktzähler hätten daran ihre Freude. Aber das ist eben auch die Crux an dieser gerafften Geschichte um die Zeit.

Bleibt am Ende doch wieder das Buch, das von seinem Reiz tatsächlic­h nichts verloren hat.

 ?? FOTO: CHRISTIAN POGO ZACH ?? Momo (Anna Woll) und die grauen Herren: Die Geschichte lässt sich nicht adäquat fürs Theater umsetzen.
FOTO: CHRISTIAN POGO ZACH Momo (Anna Woll) und die grauen Herren: Die Geschichte lässt sich nicht adäquat fürs Theater umsetzen.

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