Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Da, wenn man ihn braucht
Mario Gomez hat das Toreschießen nicht verlernt
STUTTGART - Früher hat sich Mario Gomez noch geärgert, als man die Minuten zählte. Jede Zeigerumdrehung, in der er nicht das tat, was er am besten konnte: Tore schießen. Misstrauen schwang bei diesen Rechnereien mit, die Unterstellung, dass dieser Gomez alles verlernt habe, und zumeist tröstete sich der Nationalstürmer in diesen seltenen Phasen seines Sportlerlebens damit, dass das nun mal so sei bei einem Stürmer und in der Medienlandschaft.
Diesmal war es ein wenig anders: Knapp 700 Minuten war Mario Gomez bis zu seinem Doppelpack beim 2:1 gegen Hertha BSC am Samstag ohne Treffer, auch, weil der gebürtige Riedlinger kaum Gelegenheiten dazu hatte. Zu oft blieb das VfB-Spiel mittel-, ideen- und konturenlos. Wenn es die Mannschaft nicht schaffe, Bälle in den Sechzehner zu bringen, sei er vielleicht der Falsche, sprach Gomez also, dann müsse womöglich ein anderer spielen, ein anderer Typ als er, der Strafraumstürmer. Und dann? Kamen die Bälle doch, und Gomez knipste. Entschwand den Berlinern Verteidigern, als es galt, eine Kopfballvorlage von Gonzalez abzustauben. Und setzte selbst einen Kopfball in den Winkel, auf Flanke von Kapitän Christian Gentner, den er zuvor selbst bedient hatte.
Auch Gomez schwieg nach der gelungenen Aufholjagd, Gentner, dessen Vater nach dem Spiel starb, ist sein bester Kumpel in der Mannschaft. Nur ein Geburtsmonat trennt die beiden 33-Jährigen, zusammen wurden sie 2007 mit dem VfB Meister. Trainer Markus Weinzierl allerdings hatte Gomez zuvor gewürdigt: „Für Mario freue ich mich besonders. Ich habe immer an ihn geglaubt. Er hat einen großen Namen, deshalb steht er schneller in der Kritik, und die torlosen Minuten werden gezählt. Aber er wird wieder mehr Tore machen. Wenn es uns gelingt, öfter gefährlich in den Strafraum zu kommen, wird seine Quote wieder steigen.“
Tatsächlich ist die Rate vor dem Duell heute bei seinem Ex-Club VfL Wolfsburg (20.30 Uhr/Sky) wieder ganz adäquat: Fünf Treffer stehen für Gomez nach 15 Spielen zu Buche, 46 Prozent der (lediglich elf) VfB-Tore hat er damit geschossen, immerhin. Vereinsübergreifend liest sich die Bilanz beeindruckender: 168 Bundesligatreffer erzielte Gomez in 312 Spielen, am meisten seit Samstag für den VfB (76 in 152) vor den Bayern (75 in 115) und Wolfsburg (17 in 45), wo er den VfL am Ende als Kapitän mit seiner Sein Reich ist der Strafraum: Mario Gomez (2.v.re.) erzielt das 1:1 gegen Hertha BSC. Den Berlinern Rune Jarstein, Fabian Lustenberger und Jordan Torunarigha bleibt nur die Zuschauerrolle.
Effizienz vor dem Abstieg rettete. Ein Kunststück, das ihm in der vorigen Rückrunde auch in Stuttgart gelang, wo ihn Manager Michael Reschke als Retter brauchte und wo sie ihn mit angeblich sechs Millionen Euro pro anno auch fürstlich honorieren.
„Toreschießen ist nun mal das Einzige, was ich kann“, sagte Gomez im Herbst nach seinem Doppelpack beim 3:3 in Freiburg. Das klang lustig und ein wenig kokettierend, denn natürlich weiß Gomez auch, dass man trotz aller Tiki-Taka-Moden exakt diese Fähigkeit immer am meisten brauchen wird im Fußball. Dennoch hat sich die Rolle des Ex-Nationalspielers
gewandelt: Gomez sieht sich mit seiner Routine auch als Helfer und Berater für die Jungen, und sein Spiel hat er zwangsläufig noch mehr reduziert auf die Box, den 665,28 Quadratmeter kleinen Strafraum.
„Ich fühle mich noch frisch“
Ein Auftritt wie 2009 beim 4:1 gegen den späteren Meister Wolfsburg, als ihm vier Tore gelangen – teils im Alleingang von der Mittellinie –, ist dem 33-Jährigen schon altershalber nicht mehr möglich, und bevor die Experten den Verlust an Tempo monieren wie bei seinem oberschwäbischen Kollegen Holger Badstuber, tut es Gomez
inzwischen lieber selbst: „2007 stand ich an der Mittellinie, Hitz hat den Ball über die Abwehr geschlagen, und ich bin hinterhergespurtet. Heute komme ich den Spielern nicht mehr so einfach davon, das ist die Realität. Aber ich fühle mich noch frisch und kann der Mannschaft durch mein Spiel helfen.“
Vorerst bis 2020 – dann läuft sein Vertrag aus – will Gomez noch angreifen in Stuttgart, den Verein wechseln will er nicht mehr. „Ich gehe stark davon aus, dass ich beim VfB meine Karriere beende“, erzählte er beim Weihnachtsbesuch beim Fanclub „0711“Denkendorf. Dort berichtete der Jungvater auch, dass er später einmal definitiv kein Trainer werde („Das ist Fakt“) und dass der VfB einst mit 16, als er beim SSV Ulm 1846 spielte, gar nicht sein Traumverein war: „Ich weiß nicht warum, aber ich wollte damals eigentlich weiter weg. Mein Vater hat mir aber klar gesagt, dass er mich nicht abholen wird, wenn ich in Gladbach oder Hamburg lebe und dann Heimweh bekomme. ,Aber wenn du in Schduaget bisch ...‘“, sagte er. „Also bin ich zum VfB gewechselt.“
Und da brauchen sie ihn weiter, im Abstiegskampf, auch heute in Wolfsburg.