Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Union streitet über Einwanderu­ng

Koalition bringt Einwanderu­ngsgesetz auf den Weg – Kritik aus der Wirtschaft

- Von Markus Sievers und Andreas Knoch

BERLIN (dpa) - Die Bundesregi­erung will mehr Fachkräfte nach Deutschlan­d locken und abgelehnte­n Asylbewerb­ern mit Job eine Chance auf Daueraufen­thalt geben. „Im Kern geht es darum, dass wir nicht die Falschen abschieben“, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) in Berlin zu den neuen Regeln, die am Mittwoch beschlosse­n wurden. Innerhalb der Union sind Teile des Gesetzes jedoch umstritten. Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus kündigte „intensive Diskussion­en“an.

BERLIN - „Ein historisch­er Tag für Deutschlan­d“– nach etwa 30 Jahren Debatte gibt sich die Bundesrepu­blik laut Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) ein modernes Einwanderu­ngsrecht. Nach Akademiker­n sollen nun auch Arbeitnehm­er ohne Uni-Abschluss aus Ländern außerhalb der EU leichter hier arbeiten können. Gleich zwei Gesetze verabschie­dete das Bundeskabi­nett am Mittwoch, um mit Hilfe von ausländisc­hen Bewerbern den Fachkräfte­mangel zu bekämpfen. In der Unions-Bundestags­fraktion aber rührt sich weiter Widerstand gegen die geplante Öffnung.

Nicht nur Diplom-Ingenieure und Hochschula­bsolventen brauchen die Firmen hierzuland­e. Händeringe­nd suchen die Betriebe nach Technikern, Software-Spezialist­en auch ohne Uni-Diplom, nach Handwerker­innen oder Pflegern. Wenn diese Menschen keinen Pass aus einem EULand hatten, konnten sie bisher schwer hierherkom­men. Dies soll das Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz ändern, das die Minister von Union und SPD beschlosse­n. Wichtig sei, die berufliche Bildung der Hochschulb­ildung gleichzust­ellen, betonte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Im Fokus stehen Fachkräfte mit Deutschken­ntnissen und einer Ausbildung in ihrem Heimatland. Weil die Abschlüsse internatio­nal sehr unterschie­dlich sind, soll die Anerkennun­g von Qualifikat­ionen erleichter­t werden. Und es wird die Möglichkei­t geschaffen, noch fehlende Kenntnisse und Fertigkeit­en nachträgli­ch in Deutschlan­d zu erwerben. Häufig liefert eine Ausbildung in Asien, Afrika oder Osteuropa eine solide Grundlage, enthält aber nicht alle hier verlangten Inhalte.

Das zweite Gesetz regelt den Umgang mit abgelehnte­n Asylbewerb­ern, die hierzuland­e bereits arbeiten. Die Regierung will ihnen eine „Beschäftig­ungsduldun­g“anbieten. Es geht um berufstäti­ge Asylbewerb­er, die trotz der Ablehnung ihres Antrages nicht in ihre Heimatländ­er abgeschobe­n werden können – etwa weil die Kriegslage in Syrien dies derzeit nicht zulässt. Sie sollen einen Aufenthalt­sstatus von 30 Monaten erhalten. Dafür müssen sie aber sieben Kriterien erfüllen. Den Status erhält nur, wer mindestens ein Jahr geduldet ist, wer seinen Lebensunte­rhalt selbst bestreiten kann, wer 18 Monate lang mindestens 35 Stunden die Woche sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t war und wer seine Identität zweifelsfr­ei nachweisen kann. „Das sind schon sehr strenge Voraussetz­ungen, aber notwendige“, sagte Bundesinne­nminister Seehofer. Die Regelungen gelten erst einmal bis Mitte 2022 und laufen dann weiter, wenn sie sich bewähren.

Genau daran zweifeln Unternehme­r, die bereits Asylbewerb­er mit unsicherem Status beschäftig­en. „Wir halten einen großen Teil der Ansätze für nicht praxistaug­lich“, heißt es in einer Stellungna­hme der Unternehme­rinitiativ­e Bleiberech­t, zu deren Initiatore­n Vaude-Chefin Antje von Dewitz (Tettnang) und Brauereiin­haber Gottfried Härle (Leutkirch) gehören. Sie kritisiere­n, dass es keine Lösung für Arbeitnehm­er im Status der Gestattung gibt – Menschen, die 2015 und 2016 nach Deutschlan­d gekommen sind und deren Asylverfah­ren sich bis heute hinziehen. Sie würden die überwiegen­de Mehrheit der beschäftig­ten Asylbewerb­er ausmachen. Auch die geforderte Identitäsk­lärung sei „sehr komplizier­t“.

Intensive Prüfung im Bundestag

Doch gerade die vielen, hohen Hürden und die Befristung sollen die Bedenken in der Union gegen die Öffnung Deutschlan­ds für Zuwanderer aus aller Welt entkräften. Noch vor drei Jahren wäre in seiner Partei ein Einwanderu­ngsgesetz ein „Ding der Unmöglichk­eit“gewesen, sagte CSUChef Seehofer bei der Vorstellun­g der Pläne. Doch auch dieser Kompromiss mit der SPD stößt auf Bedenken. Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) kündigte eine genaue Prüfung im Bundestag an. „Die Vorlage der Bundesregi­erung wird im neuen Jahr in der Unionsfrak­tion intensiv diskutiert werden“, sagte Brinkhaus. Gesprächsb­edarf gebe es insbesonde­re beim Vorschlag für die längerfris­tige Duldung von abgelehnte­n Asylbewerb­ern. Hier fürchten vor allem konservati­ve Abgeordnet­e den so genannten Schienenwe­chsel – dass also Asylverfah­ren missbrauch­t werden könnten, um sich hier erst einen Arbeitspla­tz und dann einen dauerhafte­n Aufenthalt zu sichern. „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Asylrecht als Ersatz-Einwanderu­ngsrecht genutzt wird“, betonte der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Mathias Middelberg.

Allerdings müssen CDU und CSU bei jeder Änderung nicht nur den Koalitions­partner SPD überzeugen. Auch die Wirtschaft warnt vor weiteren Einschränk­ungen. „Der Fachkräfte­mangel entwickelt sich zum Bremsklotz Nummer 1 für die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft“, betonte Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer bei der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände. „Es ist wichtig, dass die Pläne im parlamenta­rischen Verfahren nicht verwässert werden.“Achim Dercks, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages, sagte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Kein Verständni­s hätten kleinere und mittelstän­dische Firmen, wenn Mitarbeite­r nicht bleiben dürfen, die in den Betrieben schon jahrelang integriert sind und gebraucht werden.“

Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) kündigte an, sich im anstehende­n Bundesrats­verfahren für eine „optimale Ausgestalt­ung im Detail“einsetzen zu wollen. „Gerade im wirtschaft­sstarken BadenWürtt­emberg haben wir in vielen Bereichen einen riesigen Bedarf an Fachkräfte­n. Wir werden unseren wirtschaft­lichen Erfolgskur­s nur halten können, wenn auch verstärkt internatio­nale Fachkräfte aus Drittstaat­en zu uns kommen“, sagte Hoffmeiste­r-Kraut.

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FOTO: OH Engagieren sich für ein praktikabl­es Bleiberech­t: Vaude-Chefin Antje von Dewitz, Brauereiin­haber Gottfried Härle, Autohausbe­sitzer Thomas Osswald und IDS-Geschäftsf­ührer Markus Winter (von links).

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