Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Union streitet über Einwanderung
Koalition bringt Einwanderungsgesetz auf den Weg – Kritik aus der Wirtschaft
BERLIN (dpa) - Die Bundesregierung will mehr Fachkräfte nach Deutschland locken und abgelehnten Asylbewerbern mit Job eine Chance auf Daueraufenthalt geben. „Im Kern geht es darum, dass wir nicht die Falschen abschieben“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Berlin zu den neuen Regeln, die am Mittwoch beschlossen wurden. Innerhalb der Union sind Teile des Gesetzes jedoch umstritten. Fraktionschef Ralph Brinkhaus kündigte „intensive Diskussionen“an.
BERLIN - „Ein historischer Tag für Deutschland“– nach etwa 30 Jahren Debatte gibt sich die Bundesrepublik laut Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein modernes Einwanderungsrecht. Nach Akademikern sollen nun auch Arbeitnehmer ohne Uni-Abschluss aus Ländern außerhalb der EU leichter hier arbeiten können. Gleich zwei Gesetze verabschiedete das Bundeskabinett am Mittwoch, um mit Hilfe von ausländischen Bewerbern den Fachkräftemangel zu bekämpfen. In der Unions-Bundestagsfraktion aber rührt sich weiter Widerstand gegen die geplante Öffnung.
Nicht nur Diplom-Ingenieure und Hochschulabsolventen brauchen die Firmen hierzulande. Händeringend suchen die Betriebe nach Technikern, Software-Spezialisten auch ohne Uni-Diplom, nach Handwerkerinnen oder Pflegern. Wenn diese Menschen keinen Pass aus einem EULand hatten, konnten sie bisher schwer hierherkommen. Dies soll das Fachkräftezuwanderungsgesetz ändern, das die Minister von Union und SPD beschlossen. Wichtig sei, die berufliche Bildung der Hochschulbildung gleichzustellen, betonte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Im Fokus stehen Fachkräfte mit Deutschkenntnissen und einer Ausbildung in ihrem Heimatland. Weil die Abschlüsse international sehr unterschiedlich sind, soll die Anerkennung von Qualifikationen erleichtert werden. Und es wird die Möglichkeit geschaffen, noch fehlende Kenntnisse und Fertigkeiten nachträglich in Deutschland zu erwerben. Häufig liefert eine Ausbildung in Asien, Afrika oder Osteuropa eine solide Grundlage, enthält aber nicht alle hier verlangten Inhalte.
Das zweite Gesetz regelt den Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern, die hierzulande bereits arbeiten. Die Regierung will ihnen eine „Beschäftigungsduldung“anbieten. Es geht um berufstätige Asylbewerber, die trotz der Ablehnung ihres Antrages nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können – etwa weil die Kriegslage in Syrien dies derzeit nicht zulässt. Sie sollen einen Aufenthaltsstatus von 30 Monaten erhalten. Dafür müssen sie aber sieben Kriterien erfüllen. Den Status erhält nur, wer mindestens ein Jahr geduldet ist, wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, wer 18 Monate lang mindestens 35 Stunden die Woche sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und wer seine Identität zweifelsfrei nachweisen kann. „Das sind schon sehr strenge Voraussetzungen, aber notwendige“, sagte Bundesinnenminister Seehofer. Die Regelungen gelten erst einmal bis Mitte 2022 und laufen dann weiter, wenn sie sich bewähren.
Genau daran zweifeln Unternehmer, die bereits Asylbewerber mit unsicherem Status beschäftigen. „Wir halten einen großen Teil der Ansätze für nicht praxistauglich“, heißt es in einer Stellungnahme der Unternehmerinitiative Bleiberecht, zu deren Initiatoren Vaude-Chefin Antje von Dewitz (Tettnang) und Brauereiinhaber Gottfried Härle (Leutkirch) gehören. Sie kritisieren, dass es keine Lösung für Arbeitnehmer im Status der Gestattung gibt – Menschen, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind und deren Asylverfahren sich bis heute hinziehen. Sie würden die überwiegende Mehrheit der beschäftigten Asylbewerber ausmachen. Auch die geforderte Identitäsklärung sei „sehr kompliziert“.
Intensive Prüfung im Bundestag
Doch gerade die vielen, hohen Hürden und die Befristung sollen die Bedenken in der Union gegen die Öffnung Deutschlands für Zuwanderer aus aller Welt entkräften. Noch vor drei Jahren wäre in seiner Partei ein Einwanderungsgesetz ein „Ding der Unmöglichkeit“gewesen, sagte CSUChef Seehofer bei der Vorstellung der Pläne. Doch auch dieser Kompromiss mit der SPD stößt auf Bedenken. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) kündigte eine genaue Prüfung im Bundestag an. „Die Vorlage der Bundesregierung wird im neuen Jahr in der Unionsfraktion intensiv diskutiert werden“, sagte Brinkhaus. Gesprächsbedarf gebe es insbesondere beim Vorschlag für die längerfristige Duldung von abgelehnten Asylbewerbern. Hier fürchten vor allem konservative Abgeordnete den so genannten Schienenwechsel – dass also Asylverfahren missbraucht werden könnten, um sich hier erst einen Arbeitsplatz und dann einen dauerhaften Aufenthalt zu sichern. „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Asylrecht als Ersatz-Einwanderungsrecht genutzt wird“, betonte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg.
Allerdings müssen CDU und CSU bei jeder Änderung nicht nur den Koalitionspartner SPD überzeugen. Auch die Wirtschaft warnt vor weiteren Einschränkungen. „Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Bremsklotz Nummer 1 für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“, betonte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Es ist wichtig, dass die Pläne im parlamentarischen Verfahren nicht verwässert werden.“Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, sagte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Kein Verständnis hätten kleinere und mittelständische Firmen, wenn Mitarbeiter nicht bleiben dürfen, die in den Betrieben schon jahrelang integriert sind und gebraucht werden.“
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) kündigte an, sich im anstehenden Bundesratsverfahren für eine „optimale Ausgestaltung im Detail“einsetzen zu wollen. „Gerade im wirtschaftsstarken BadenWürttemberg haben wir in vielen Bereichen einen riesigen Bedarf an Fachkräften. Wir werden unseren wirtschaftlichen Erfolgskurs nur halten können, wenn auch verstärkt internationale Fachkräfte aus Drittstaaten zu uns kommen“, sagte Hoffmeister-Kraut.