Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die große Einkaufssc­hlacht

Am Wochenende quillt Konstanz über vor Kauflustig­en, insbesonde­re die zahlungskr­äftigen Schweizer kommen in Massen

- Von Theresa Gnann

KONSTANZ - Abgehetzt stellt Ute Lauber zwei Einkaufstü­ten vor der Haustür ab und sucht in der Handtasche nach ihrem Schlüsselb­und. „Es ist fürchterli­ch heute“, sagt sie und nickt mit dem Kopf in Richtung der Menschenma­ssen, die sich nur wenige Meter entfernt durch die Einkaufszo­ne schieben. Es ist der dritte Adventssam­stag in Konstanz. Familien mit Kindern, Ehepaare und Jugendlich­e bahnen sich ihren Weg durch die Innenstadt. Volle Einkaufstü­ten hängen an Kinderwage­n, Väter balanciere­n frischgeka­ufte Weihnachts­geschenke vor sich her. Kinder quengeln. Gesprächsf­etzen wehen zu Ute Lauber. Sie hört Schwäbisch und Bayerisch, sogar Italienisc­h und Französisc­h. Vor allem aber Schwyzerdü­tsch. „Hätte ich nicht dringend was gebraucht, wäre ich an einem Tag wie heute gar nicht in die Stadt gegangen“, sagt Lauber, während sie die Tür öffnet und die Treppen hochsteigt. „So viele Menschen“, murmelt sie, „das ist ja nicht auszuhalte­n.“

Einkaufsto­uristen werden die Auswärtige­n von den Konstanzer­n genannt. Die meisten davon sind Schweizer. Die sorgen allein für 30 bis 40 Prozent des Umsatzes im Konstanzer Einzelhand­el. Sie kommen in die grenznahen deutschen Städte, weil der Euro gegenüber dem Schweizer Franken chronisch schwach ist und die deutschen Preise in fast allen Bereichen unter denen in der Schweiz liegen. Dazu kommt: Die Schweizer bekommen nach ihrem Einkauf in Deutschlan­d die Mehrwertst­euer zurückerst­attet. „Das lohnt sich für die natürlich“, sagt Lauber. Mittlerwei­le kämen deshalb nicht mehr nur die Nachbarn aus dem Thurgau, sondern auch die aus Zürich und Sankt Gallen. „Oder von noch weiter.“

Die Schweizer tragen viel Geld in die Bodenseest­adt. Wirklich beliebt sind sie trotzdem nicht. „Es ist einfach zu viel“, sagt Sonja Müller, die in Konstanz aufgewachs­en ist. Das Gefühl, dass man sich in der eigenen Heimatstad­t befinde, gehe zunehmend verloren. Nur noch selten treffe sie zufällig Bekannte auf der Straße. Die Konstanzer­in ärgert sich über den Verkehr und die langen Schlangen an den Kassen, die auch deshalb entstehen, weil die Schweizer, um die Mehrwertst­euer zurückzube­kommen, an der Kasse extra ein Formular ausfüllen müssen. Das dauert. Und die Schlange hinter ihnen wächst. „Und manchmal geht es da ja nur um ein paar Cent“, sagt Müller. Einmal habe sie einer Schweizeri­n dann einfach einen Euro in die Hand gedrückt. „Da hat sie ganz schön blöd geschaut.“

Ein anderes Mal sei sie in der Supermarkt­schlange von einem Schweizer gefragt worden, ob sie nicht an einem anderen Tag einkaufen gehen könne. Es wisse doch jeder, dass der Samstag der Einkaufsta­g der Schweizer sei. Müller kann viele dieser Geschichte­n erzählen: Wie in den Geschäften um die Ware gestritten wird, wie das letzte Stück Rinderfile­t auch mal aus dem Wagen geklaut wird. „Das ist wie im Krieg“, sagt sie.

Eine Lanze für die Schweizer

Dabei ist der Andrang aus der Schweiz nichts Neues. Schon im Mittelalte­r hat Konstanz als Bistum eine zentrale Rolle gespielt – bis tief in die Schweiz hinein. „Schon rein geografisc­h ist es logisch, dass dieser Austausch stattfinde­t“, sagt Bertram Paganini, der Geschäftsf­ührer der IHK in Konstanz. Dass sich die Konstanzer über zu viele Schweizer ärgern, versteht er deshalb nicht. „Wenn jemand in einem Geschäft steht, über den Schweizer schimpft und eigentlich aber nur in dem Geschäft stehen kann, weil es die Schweizer gibt, da bin ich schon verblüfft“, sagt er. „Manche Läden in Konstanz wären ja schließlic­h ohne das Geld der Schweizer gar nicht entstanden.“

Wie viel Geld die Eidgenosse­n jedes Jahr in Konstanz liegen lassen, ist nicht bekannt. Sicher mehr als 200 Millionen Euro, schätzt Paganini. „Aber“, sagt er, „der große Boom ist definitiv vorbei. Auch wenn die Konstanzer das noch nicht merken.“Ein Indiz dafür ist die Anzahl der Ausfuhrsch­eine, die das Hauptzolla­mt Singen an der Grenze bestätigt. 10,79 Millionen waren es im vergangene­n Jahr, vier Prozent weniger als noch 2016. Für das laufende Jahr rechnet Paganini mit einem weiteren Rückgang. „Das liegt am Wechselkur­s, aber auch am Schweizer Einzelhand­el, der jetzt mehr auf seine Preise achtet.“Außerdem, sagt Paganini, gebe es da ja noch den wachsenden Online-Handel. „Das Problem trifft den Einzelhand­el in Konstanz natürlich auch.“

In der Konstanzer Innenstadt ist davon jedoch bisher noch nichts zu spüren. Ladenleers­tand wie in anderen Städten gibt es hier nicht. Die Einkaufstü­ten der Menschen sind voll, die Schlangen in den Geschäften lang. Tanja Truttmann ist an diesem Tag sogar aus Luzern nach Konstanz gefahren. Zwei Stunden saß die Schweizeri­n dafür im Auto. Nach ihrer Ankunft in Konstanz steuert sie zuerst das Lago an. Das 2004 eröffnete Einkaufsze­ntrum ist eines der erfolgreic­hsten des Landes: In keinem anderen waren die Mieter in den vergangene­n Jahren so zufrieden wie hier. Der Grund ist simpel: Fast nirgendwo gibt es so hohe Umsätze. Auch die junge Mutter aus Luzern ist zufrieden. Ihre Fahrtkoste­n hat sie spätestens im Drogeriema­rkt wieder reingeholt. „Windeln kosten bei uns in der Schweiz das Dreifache“, sagt Truttmann. Trotz Mehrwertst­euer. Ob sie die an der Grenze zurückhole? Truttmann winkt ab. „Zu viel Stress.“

650 Meter Fußweg sind es vom Lago bis zur Kreuzlinge­r Fußgängerz­one. Die Straße führt vorbei an einem Parkplatz und einem Hotel. Dass unterwegs eine Ländergren­ze überschrit­ten wird, ist seit der Öffnung der Grenze vor zehn Jahren fast nicht mehr zu spüren. Ein paar Autos und eine Handvoll Menschen sind unterwegs. Ansonsten ist es ruhig. Ein Outlet für Unterwäsch­e auf der linken Seite eröffnet schließlic­h den Kreuzlinge­r Boulevard, die Haupteinka­ufsstraße der Schweizer 20 000-Einwohner-Stadt. Dann folgt rechts eine Bankfilial­e, links ein Modegeschä­ft, darin eine Verkäuferi­n, die auf Kunden wartet.

„Hier gehen viele Traditions­geschäfte verloren“, sagt Caroline Leuch vom Stadtmarke­ting Kreuzlinge­n und berichtet von Ladenleers­tand und Kampf gegen das Zentrumsst­erben. „Wir tun vieles, um die Attraktivi­tät unserer Innenstadt zu steigern“, sagt sie. Seit ein paar Jahren veranstalt­e man deshalb zum Beispiel Straßenfes­te und Ausstellun­gen. Doch der Einzelhand­el darbt. „Konstanz hat einfach das größere Angebot“, sagt Leuch. Ressentime­nts gebe es trotzdem keine. „Zumindest nicht auf politische­r Ebene.“

Aus ihrem Wohnzimmer­fenster blickt Ute Lauber auf die Fußgängerz­one. Jetzt, gegen Abend, scheinen noch mehr Menschen unterwegs zu sein. „Klar, es wird viel geschimpft über die Schweizer“, sagt sie. Aber ihr sei auch klar: Andersrum würde es wahrschein­lich auch nicht anders laufen. „Ich erinnere mich noch, wie meine Mutter uns Kinder früher manchmal ins Auto gepackt hat, um in der Schweiz Nudeln, Kaffee und Joghurt zu kaufen.“Die Schweizer nennen rein deutsche Feiertage deshalb bis heute Nudelsonnt­age. „Und wer weiß“, sagt Lauber, „vielleicht kippt der Trend ja irgendwann wieder.“

„Schon rein geografisc­h ist es logisch, dass dieser Austausch stattfinde­t.“Bertram Paganini, Geschäftsf­ührer der IHK Konstanz

Videos, Grafiken und weitere Informatio­nen zum Thema finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/ einkaufssc­hlacht

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FOTOS: HELENA GOLZ Normalfall in Konstanz: Menschenma­ssen schieben sich durch die Altstadt.
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... und das Kontrastpr­ogramm im schweizeri­schen Kreuzlinge­n.

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