Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Warum die EU-Kommission gegenüber Italien nachgibt

- Von Daniela Weingärtne­r

Auf einmal gibt sich Eurokommis­sar Valdis Dombrovski­s versöhnlic­h. Italien habe auf die Kritik an seinen Haushaltsp­länen reagiert und das geplante Defizit von 2,4 auf 2,04 Prozent gesenkt. Die Wachstumse­rwartung von einem Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) sei realistisc­h. Die teuersten Projekte der populistis­chen Regierung – Rücknahme der Rentenrefo­rm und eine neue Grundsiche­rung – seien aufs nächste und übernächst­e Haushaltsj­ahr verschoben worden. Deshalb könne das Defizitver­fahren gestoppt werden.

Hat sich also die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone auf Drängen der EU-Experten tatsächlic­h einen maßvollen, finanzierb­aren Haushalt verordnet? Nein. Unpopuläre Strukturre­formen hat die Regierung in Rom nicht angepackt. Deshalb scheint schon ein Prozent prognostiz­iertes Wachstum zu hoch gegriffen. Investitio­nen in Infrastruk­tur, Forschung und Bildung kommen in dem geplanten Budget zu kurz. Mit Brüsseler Fördermitt­eln, wie am Mittwoch von der EU-Kommission angeregt, kann diese Lücke nicht gefüllt werden – schon gar nicht, wenn die Mittel wegen des britischen Austritts deutlich knapper werden. Und das Aufschiebe­n der Wahlgesche­nke bedeutet ja auch nur, dass die Rechnung ein bis zwei Jahre später präsentier­t wird.

Warum also diese Nachgiebig­keit gegenüber einer Regierung, die keine Gelegenhei­t auslässt, sich über die Kommission in Brüssel lustig zu machen und antieuropä­ische Vorbehalte zu nähren? Die Antwort auf diese Frage sollte man nicht in Rom, sondern in Paris suchen. Europas Hoffnungst­räger Emmanuel Macron ist durch die Gelbwesten­proteste so unter Druck geraten, dass auch er nicht ohne Geschenke an die Unzufriede­nen und eine teilweise Revision seiner Reformplän­e auskommt. Das französisc­he Defizit, soviel ist jetzt schon klar, wird im kommenden Jahr erneut die rote Linie von drei Prozent des BIP durchbrech­en.

Die Angst vor Anti-Europäern

Angesichts dieser Situation steckt die EU-Kommission in einer echten Klemme. Wendet sie die Stabilität­sregeln korrekt an, bringt sie damit die Wähler sowohl in Frankreich als auch in Italien gegen sich auf. Die mögliche Quittung, die proeuropäi­sche Parteien dafür bei der Europawahl im kommenden Juni kassieren könnten, bereitet vielen in Brüssel schlaflose Nächte.

Deshalb flötete der französisc­he EU-Kommissar Pierre Moscovici am Mittwoch, die EU-Kommission sei doch nicht der Feind des italienisc­hen Volkes. Man sei keine kalte Kontrollma­schine, sondern eine Institutio­n, die den Menschen diene. Natürlich müsse der politische Kontext berücksich­tigt werden, wenn Regeln angewendet würden. Die Wähler in den Ländern, die die Spielregel­n einhalten, werden das nicht gerne hören. Auch sie könnten sich aus Frust über die Laxheit der Kommission verstärkt rechtslast­igen Parteien zuwenden. Es ist ja das Teuflische am wiedererst­arkten Nationalis­mus, dass er keinen Gedanken an das Gemeinwohl verschwend­et und die nationalen Interessen über alles andere stellt. Wenn also die EUKommissi­on populistis­chen Tendenzen in einem Fall nachgibt, bringt sie automatisc­h die Wähler in einem anderen Land gegen sich auf.

Es war keine gute Idee, der Regierung in Rom einen Freifahrsc­hein auszustell­en. Wenn die Hüterin der Verträge ihre Aufgabe nicht mehr darin sieht, eben diese Verträge durchzuset­zen, stellt sich schnell die Frage, wozu man den Kontrollap­parat in Brüssel überhaupt noch braucht.

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