Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Warum die EU-Kommission gegenüber Italien nachgibt
Auf einmal gibt sich Eurokommissar Valdis Dombrovskis versöhnlich. Italien habe auf die Kritik an seinen Haushaltsplänen reagiert und das geplante Defizit von 2,4 auf 2,04 Prozent gesenkt. Die Wachstumserwartung von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sei realistisch. Die teuersten Projekte der populistischen Regierung – Rücknahme der Rentenreform und eine neue Grundsicherung – seien aufs nächste und übernächste Haushaltsjahr verschoben worden. Deshalb könne das Defizitverfahren gestoppt werden.
Hat sich also die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone auf Drängen der EU-Experten tatsächlich einen maßvollen, finanzierbaren Haushalt verordnet? Nein. Unpopuläre Strukturreformen hat die Regierung in Rom nicht angepackt. Deshalb scheint schon ein Prozent prognostiziertes Wachstum zu hoch gegriffen. Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Bildung kommen in dem geplanten Budget zu kurz. Mit Brüsseler Fördermitteln, wie am Mittwoch von der EU-Kommission angeregt, kann diese Lücke nicht gefüllt werden – schon gar nicht, wenn die Mittel wegen des britischen Austritts deutlich knapper werden. Und das Aufschieben der Wahlgeschenke bedeutet ja auch nur, dass die Rechnung ein bis zwei Jahre später präsentiert wird.
Warum also diese Nachgiebigkeit gegenüber einer Regierung, die keine Gelegenheit auslässt, sich über die Kommission in Brüssel lustig zu machen und antieuropäische Vorbehalte zu nähren? Die Antwort auf diese Frage sollte man nicht in Rom, sondern in Paris suchen. Europas Hoffnungsträger Emmanuel Macron ist durch die Gelbwestenproteste so unter Druck geraten, dass auch er nicht ohne Geschenke an die Unzufriedenen und eine teilweise Revision seiner Reformpläne auskommt. Das französische Defizit, soviel ist jetzt schon klar, wird im kommenden Jahr erneut die rote Linie von drei Prozent des BIP durchbrechen.
Die Angst vor Anti-Europäern
Angesichts dieser Situation steckt die EU-Kommission in einer echten Klemme. Wendet sie die Stabilitätsregeln korrekt an, bringt sie damit die Wähler sowohl in Frankreich als auch in Italien gegen sich auf. Die mögliche Quittung, die proeuropäische Parteien dafür bei der Europawahl im kommenden Juni kassieren könnten, bereitet vielen in Brüssel schlaflose Nächte.
Deshalb flötete der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici am Mittwoch, die EU-Kommission sei doch nicht der Feind des italienischen Volkes. Man sei keine kalte Kontrollmaschine, sondern eine Institution, die den Menschen diene. Natürlich müsse der politische Kontext berücksichtigt werden, wenn Regeln angewendet würden. Die Wähler in den Ländern, die die Spielregeln einhalten, werden das nicht gerne hören. Auch sie könnten sich aus Frust über die Laxheit der Kommission verstärkt rechtslastigen Parteien zuwenden. Es ist ja das Teuflische am wiedererstarkten Nationalismus, dass er keinen Gedanken an das Gemeinwohl verschwendet und die nationalen Interessen über alles andere stellt. Wenn also die EUKommission populistischen Tendenzen in einem Fall nachgibt, bringt sie automatisch die Wähler in einem anderen Land gegen sich auf.
Es war keine gute Idee, der Regierung in Rom einen Freifahrschein auszustellen. Wenn die Hüterin der Verträge ihre Aufgabe nicht mehr darin sieht, eben diese Verträge durchzusetzen, stellt sich schnell die Frage, wozu man den Kontrollapparat in Brüssel überhaupt noch braucht.