Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Journalistischer Betrugsfall erschüttert den „Spiegel“
Reporter hat Geschichten gefälscht – Nachrichtenmagazin spricht von „schwerster publizistischer Krise“– Kommission soll Vorgänge aufklären
HAMBURG (dpa) - Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“hat einen schweren journalistischen Betrugsfall im eigenen Haus aufgedeckt und öffentlich gemacht. Ein Reporter habe in „großem Umfang seine eigenen Geschichten gefälscht und Protagonisten erfunden“, heißt es in einem auf Spiegel Online am Mittwoch veröffentlichten Bericht. „Das ist die vielleicht schwerste publizistische Krise beim ,Spiegel’“, erklärte die neue Chefredaktion um Steffen Klusmann am Mittwoch in Hamburg.
„Es sind alle erschüttert. Das trifft ins Mark“, sagte Geschäftsführer Thomas Hass. Die „Spiegel“-Leitung will eine Kommission aus internen und externen Experten einsetzen, um den Fälschungen nachzugehen. „In die öffentliche Fake-News-Debatte werden wir jetzt eingeordnet werden. Dem müssen wir uns stellen“, sagte der stellvertretende Chefredakteur Dirk Kurbjuweit.
Der dem Gesellschaftsressort zugeordnete Reporter hat die Vorwürfe nach Angaben der „Spiegel“-Führung eingeräumt. Er habe sein Büro am Sonntag ausgeräumt und seinen Vertrag am Montag gekündigt. Der Journalist schrieb erst als freier Mitarbeiter für den „Spiegel“, seit anderthalb Jahren war er als Redakteur fest angestellt. Von ihm sind dem „Spiegel“zufolge seit 2011 knapp 60 Texte im Heft und bei Spiegel Online erschienen.
Aufgedeckt worden sei der Fall nach internen Hinweisen und eigenen Recherchen, erläuterte Ullrich Fichtner, ebenfalls Mitglied der neuen Chefredaktion. „Wenn er in der Recherche nicht weitergekommen ist, hat seine Fantasie eingesetzt“, berichtete Fichtner über den Reporter. „Nachträglich war es für uns schwer, in den Texten nachzuvollziehen, was Wahrheit ist, was Lüge. Der Kollege hat das ganz schön schlau gemacht. Unklar ist, ob es überhaupt ,Spiegel’Geschichten von ihm gibt, die völlig sauber sind.“
Verdacht im November 2018
Der neue Chefredakteur Klusmann sagte: „Alle Verantwortlichen für die Zusammenarbeit mit dem Autor sind bereit, zu dieser Verantwortung zu stehen.“Erste Verdachtsmomente hatte es laut „Spiegel“nach einem im November 2018 veröffentlichten Text gegeben.
Der Journalist habe in mehreren Fällen eingeräumt, Geschichten erfunden oder Fakten verzerrt zu haben. Auch sei er Protagonisten, die er in seinen Storys zitiert habe, nicht begegnet.
Vor seiner Zeit beim „Spiegel“hatte der Journalist für mehrere andere Medien gearbeitet. Er hat im Jahr 2010 auf freier Basis auch für den dpa-Basisdienst drei längere Korrespondentenberichte aus Israel verfasst. dpa prüfe diese Texte und deren Zustandekommen.
Der Journalist war für seine Geschichten mehrfach ausgezeichnet worden. Der Deutsche Reporterpreis teilte mit: „Wir sind entsetzt und wütend über die geradezu kriminelle Energie“, mit der der Redakteur die Organisatoren des Preises sowie die Juroren, die ihm diese Auszeichnung verliehen hätten, getäuscht habe. Die Jury berate nun über eine Aberkennung. Die Ulrich-Wickert-Stiftung entzog dem Ex-„Spiegel“-Autoren den Peter-Scholl-Latour-Preis. „Ich bin tief erschüttert über diesen Betrug“, teilte der frühere „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert mit. „Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Gut eines Journalisten.“
Die Ergebnisse der internen „Spiegel“-Kommission sollen öffentlich dokumentiert werden, „um die Vorgänge aufzuklären und um Wiederholungsfälle zu vermeiden“, wie es auf Spiegel Online heißt. „Wir werden prüfen, inwiefern hier das Verifikationssystem nicht funktioniert hat“, sagte Klusmann. Beim „Spiegel“werden die Texte von der Ressortleitung und der Dokumentation auf Fakten gegengecheckt.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) reagierte betroffen auf den Betrugsfall. „Der vermeintliche Reporter hat nicht nur dem ,Spiegel’ großen Schaden zugefügt, sondern die Glaubwürdigkeit des Journalismus in den Dreck gezogen“, sagte DJV-Vorsitzender Frank Überall.