Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ist in den neuen Straßenbahnen zu wenig Platz für Rollstuhlfahrer?
Die E-Rollstuhlfahrer des Projekts Freizeit- und Lebensgestaltung der Caritas Ulm benutzen die Straßenbahn fast täglich. Einer der Gruppe, die meist zu dritt unterwegs ist, ist Oliver Maier.
Doch aus Sicht des Ulmers ist der neue Typ Avenio ein Rückschritt zum alten Combino. Denn in den alten Zügen können an der vorderen Tür zwei Rollis nebeneinander mitfahren. Im neuen Fahrzeug nur noch einer.
„Für unsere Gruppe ist also nicht möglich, den Avenio mit zwei ERollis zu benutzen. Wenn wir also beispielsweise ins Kino möchten, müssen wir praktisch mit drei Bahnen fahren oder warten bis ein Combino kommt“, sagt Maier. Eigentlich hätte er gedacht, dass das Ziel sei, Barrieren im öffentlichen Nahverkehr wo immer mögIn lich abzubauen. Mit den neuen Fahrzeugen werde aber sehenden Auges eine Verschlechterung der Beförderungssituation in Kauf genommen. Und das erklärte Ziel eines barrierefreien öffentlichen Nahverkehrs bis 2022 gerate weiter in die Ferne.
Bei den für die Straßenbahnen zuständigen Stadtwerken (SWU) ist das Anliegen bekannt. Allerdings seien den SWU die Hände gebunden. Es sei eine gesetzmäßig zu erfüllende Norm, dass Rollstuhlfahrer in neu zugelassenen Straßenbahnen nur noch in Fahrtrichtung transportiert werden dürfen. Und zwar aus Sicherheitsgründen: Zum einen, um die Rollstuhlfahrer selbst bei plötzlichen Bremsungen zu schützen. Und zum anderen um Mitfahrer vor kippenden Rollstühlen zu bewahren. den alten Combino-Straßenbahnen dürfen Rolli-Fahrer noch quer zur Fahrtrichtung sitzen, weil die Fahrzeuge „Bestandsschutz“genießen, so André Dillmann, der Chef der SWU-Verkehr.
In Zusammenarbeit mit Behindertenverbänden sei der Stellplatz in den neuen Avenio-Zügen entwickelt worden. Dazu gehöre auch eine – optisch an ein Bügelbrett erinnernde – Anlehnhilfe. Für zwei Rollstuhlfahrer-Stellplätze hätten drei weitere Sitzreihen entfallen müssen. Dies sei aus Sicht der Betreiber zu viel.
Die „Multifunktionsfläche“im hinteren Bereich sei „aus statischen Gründen“nicht mit einer schweren Rampe ausgestattet. Die Statik sei auch der Hinderungsgrund für eine „mobile Rampe“, die Rollstuhlfahrer Oliver Maier in einer Mitteilung an unsere Zeitung vorschlägt. Sämtliche Versuche ohne Rampe in den hinteren Teil der Straßenbahn zu gelangen und einen Höhenunterschied von acht Zentimetern zu überwinden, fehl geschlagen, so Maier. „Leider wurden unsere Erwartungen an den Avenio schwer enttäuscht.“Linie-2-Projektleiter Ralf Gummersbach macht für die mangelnde Zugänglichkeit ohne Rampe auch fehlende Normen für die Größe von Rollstuhlrädern verantwortlich. Ein Höhenunterschied von acht Zentimetern sei zwar „nahezu ebenerdig“.
Doch gerade bei Rollstühlen mit kleinen Rädern immer noch zu viel. Leider, so Gummersbach, gehe der Trend bei den Rollstuhlkonstrukteuren auch zu immer kleineren Rädern. (heo)