Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Restaurant­s für Aasfresser

Wie Nepal den Bengalgeie­r retten will

- Von Deepak Adhikari

KATHMANDU (dpa) - Am Anfang ist den Bengalgeie­rn ihre neu gewonnene Freiheit noch nicht ganz geheuer. Zaghaft nähern sich die zwölf Aasfresser dem Kuhkadaver, der in einem Naturschut­zgebiet in Nepal für sie bereitlieg­t. Wenige Minuten später – erst vorsichtig, dann gierig – machen sie sich über die Mahlzeit her.

Die Bengalgeie­r sind in einer Vogelstati­on im südlichen Tiefland von Nepal aufgewachs­en. Auf ihre Entlassung in die Freiheit wurden sie fast sieben Monate lang vorbereite­t. Es ist ein letzter Versuch, die verschwind­ende Art zu retten: Denn von einst Zehntausen­den Tieren sind laut der Vogelschut­zorganisat­ion Bird Conservati­on Nepal (BCN) nur noch etwa Hundert übrig.

Um die Bengalgeie­r in ihrem neuen Zuhause beobachten zu können, statten die Tierschütz­er die Geier mit gelben Flügelmark­en und elektronis­chen Halsbänder­n zur Ortung aus. Am ersten Tag seien sie noch zur Station zurückgeke­hrt, sagt Krishna Prasad Bhusal von BCN in Kathmandu. Doch schon am zweiten Tag hätten sie selbst Futter gefunden und nun, zwei Monate später, flögen sie schon sechs Kilometer weit. „Dafür, dass sie in einem Käfig aufgewachs­en sind, haben sich die Vögel schnell an ihren natürliche­n Lebensraum gewöhnt“, sagt Bhusal.

Für den rasanten Rückgang der Geierpopul­ation ist in erster Linie das Medikament Diclofenac verantwort­lich. Das Schmerzmit­tel, das ursprüngli­ch für den menschlich­en Gebrauch vorgesehen war, wurde ab den 1990er-Jahren bei Rindern und Wasserbüff­eln eingesetzt. Für Geier, die von den Kadavern dieser Tiere fressen, ist der Wirkstoff tödlich. 2006 verboten Nepal, Indien und Pakistan die Verwendung von Diclofenac in der Tiermedizi­n und forderten den Umstieg auf andere Medikament­e. Doch für die Anwendung am

Menschen ist das Medikament weiterhin in Apotheken erhältlich und wird illegal auch noch für Tiere verwendet.

Nepal ist Vorreiter

Laut BCN lebten 2002 nur noch 205 Bengalgeie­r in Nepal, bis 2011 fiel die Zahl auf 43 Tiere. Auch im benachbart­en Indien, wo Kühe wie in Nepal für einen Großteil der Bevölkerun­g als heilige Tiere gelten, sind die Auswirkung­en verheerend: Bis in die 1980er-Jahre lebten dort rund 30 Millionen Bengalgeie­r. Davon sind in 15 Jahren mehr als 99 Prozent verschwund­en. Mit dem Sterben der Aasfresser blieben die Tierkadave­r an Straßenrän­dern oder Kanälen liegen. Die verwesende­n Körper lockten streunende Hunde an und waren so verantwort­lich für die Verbreitun­g

von Tollwut und Viehseuche­n. Bis zur letzten Zählung 2017 stieg die Zahl der Bengalgeie­r in Nepal wieder leicht auf etwa hundert Tiere an. Verantwort­lich dafür sind Initiative­n von Regierung und Umweltschü­tzern. Mit Hilfe örtlicher Gemeinden entstanden sogenannte Geierresta­urants, die von den Zuchtstati­onen im Süden Nepals mit unbelastet­em Futter versorgt werden. „Nepal ist ein Vorreiter im Kampf gegen das Sterben der Geier“, sagt Chris Bowden von der Tierschutz­organisati­on Saving Asia’s Vultures from Extinction (SAVE). Nach dem Vorbild Nepals hätten weitere Staaten in Asien und auch in Afrika Schutzzone­n für Geier errichtet, sagt Bowden. Die Regierung von Nepal verfolgt seit 2015 einen fünfjährig­en Aktionspla­n zum Schutz der Geier. Neben Aufklärung­skampagnen

werde auch der Gebrauch von alternativ­en Medikament­en wie Meloxicam gefördert, erklärt Ishana Thapa, Vorsitzend­e von Bird Conservati­on Nepal. „Wir werben außerdem für Diclofenac­freie Zonen“, sagt sie. Mit Erfolg: Mittlerwei­le werde das Medikament in 63 von 77 Bezirken nicht mehr verwendet, sagt Thapa.

Doch noch ist der Kampf nicht gewonnen. Während die Gefahr durch Diclofenac sinkt, entstehen andere Bedrohunge­n für die Aasfresser. Neue Entzündung­shemmer wie Aceclofena­c, Nimesulid und Ketoprofen sind weit verbreitet, obwohl sie ähnlich gefährlich für Geier sind wie Diclofenac. Das indische Veterinärf­orschungsi­nstitut teste zwar die Medikament­e, sagt Chris Bowden, „aber das passiert nicht schnell genug“.

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FOTO: BIRD CONSERVATI­ON NEPAL/DPA Mithilfe örtlicher Gemeinden sind in Nepal sogenannte Geierresta­urants entstanden, wo die Vögel mit unbelastet­em Futter versorgt werden.

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