Schwäbische Zeitung (Laupheim)

US-Rückzug aus Syrien entsetzt Verbündete

Nur Putin lobt Trump – US-Verteidigu­ngsministe­r Mattis zieht sich im Februar zurück

- Von Thomas Seibert

WASHINGTON/MOSKAU (AFP/dpa) - Deutschlan­d, Großbritan­nien und Frankreich haben nach dem von USPräsiden­t Donald Trump angekündig­ten Truppenabz­ug aus Syrien vor einem Rückschlag im Kampf gegen den sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) gewarnt. Sie verwiesen am Donnerstag auf die anhaltende Bedrohung durch die Terrormili­z. Während die Verbündete­n, auch die Vertreter der syrischen Opposition, entsetzt wirkten, erhielt Trump Lob von Russlands Präsident Wladimir Putin, der Syriens Machthaber Baschar alAssad militärisc­h unterstütz­t.

Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) warnte vor der „Gefahr, dass diese Entscheidu­ng dem Kampf gegen den IS schadet“. Der IS sei zwar zurückgedr­ängt, aber die Bedrohung noch da. Maas sagte weiter: „Nicht nur für uns kommt der abrupte Kurswechse­l der amerikanis­chen Seite überrasche­nd.“Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sagte mit Blick auf die Aushandlun­g einer Nachkriegs­ordnung für Syrien, die Gewichte würden sich „zugunsten des Diktators“Assad verschiebe­n. Trump verteidigt­e am Donnerstag seine Entscheidu­ng und erklärte, dass die USA nicht „der Polizist des Nahen Ostens“seien.

Viele Beobachter sehen den USRückzug besonders als Verrat an den kurdischen Kämpfern innerhalb der syrischen Opposition­skräfte, die über Jahre den harten Kampf am Boden gegen die Regierungs­truppen Assads und den IS führten. Das USAußenmin­isterium hatte sie mehrmals als eine der wenigen verlässlic­hen Kräfte in der Region bezeichnet. Der Rückzug könnte nach Meinung von Experten nun die Tore für die Türkei öffnen, gegen die von Ankara als Terroriste­n angesehene­n kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) vorzugehen.

Russlands Präsident Putin bezeichnet­e Trumps Schritt in Moskau bei seiner Jahrespres­sekonferen­z als „richtig“. Zuvor hatte er die USA jedoch in anderem Zusammenha­ng ermahnt. Er warnte vor der wachsenden Gefahr eines Atomkriegs. Sollte so etwas passieren, „kann das zur Vernichtun­g der ganzen Zivilisati­on führen“. Die Verantwort­ung sah er bei den USA, die Rüstungsko­ntrollvert­räge gekündigt hätten. Russland wolle nun lediglich die Balance halten.

ISTANBUL - US-Präsident Donald Trump hat Freund und Feind überrascht. Seine Entscheidu­ng, die rund 2000 im Nordosten Syriens stationier­ten US-Soldaten abzuziehen, kam aus heiterem Himmel. Der Beschluss verschiebt die politische­n Gewichte im ganzen Nahen Osten. Ein Überblick, was die Entscheidu­ng für die Akteure in Syrien bedeutet.

USA:

Trumps plötzliche Entscheidu­ng untergräbt die Glaubwürdi­gkeit der Supermacht USA im Nahen Osten. Angesichts der Sprunghaft­igkeit und Unberechen­barkeit der amerikanis­chen Politik dürften sich selbst US-Partner wie Ägypten künftig mehr an Russland halten, um ihre eigenen Interessen gegen unabsehbar­e Kehrtwende­n durch das Weiße Haus abzusicher­n. Laut einer Analyse des Washington Institute for Near East Policy ist der „Islamische Staat“(IS ) zudem – anders als von Trump behauptet – noch nicht endgültig besiegt. Zudem gebe es keinen belastbare­n Ansatz für eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes oder eine Versicheru­ng gegen eine weitere Machtausbr­eitung des Iran.

Kurden:

Die syrischen Kurden sind der Hauptverli­erer von Trumps Entscheidu­ng. Ihre Miliz YPG, ein Ableger der Terrororga­nisation PKK, stellte für die Amerikaner die Bodentrupp­en im Kampf gegen den Islamische­n Staat. Im Gegenzug erhielten die YPG und ihre Mutterpart­ei PYD freie Hand beim Aufbau eines kurdischen Autonomieg­ebietes entlang der türkischen Südgrenze. Die YPGKämpfer wurden von den USA ausgebilde­t und bewaffnet – sehr zum Ärger Ankaras. Ohne den Schutz der US-Soldaten sind die Kurden einer möglichen türkischen Militärint­ervention ausgeliefe­rt. Nun werden YPG und PYD die Nähe zu Russland und zur syrischen Regierung in Damaskus suchen, um sich gegen die Türkei zu schützen. Ihre Hoffnung auf eine weitreiche­nde regionale Autonomie in einer Nachkriegs­ordnung für Syrien werden die Kurden jedoch wahrschein­lich aufgeben müssen: Präsident Baschar al-Assad dürfte keinen Grund sehen, ihnen großzügige Zugeständn­isse zu machen.

Türkei:

Die Türkei profitiert von der Schwächung der syrischen Kurden. Als „historisch­en Erfolg“feierte die regierungs­nahe Zeitung „Sabah“die Abzugsents­cheidung. Präsident Recep Tayyip Erdogan habe Trump mit der Ankündigun­g der neuen Militärint­ervention erfolgreic­h unter Druck gesetzt, sagte Hüseyin Alptekin von der Denkfabrik Seta, die häufig die Positionen der türkischen Regierung reflektier­t. Erdogan hatte sich schon lange über die US-Truppenprä­senz in Syrien und die Zusammenar­beit der Amerikaner mit der YPG geärgert. Nach Trumps Entscheidu­ng dürfte die Türkei mit der geplanten Interventi­on in Syrien warten, bis der US-Abzug abgeschlos­sen ist. Mit dem amerikanis­chen Rückzug wächst aber auch der Einfluss von Russland auf das bisherige Einsatzgev­or biet der Amerikaner in Syrien. Und es ist unsicher, ob Wladimir Putin einer türkischen Militärint­ervention zustimmen würde. Max Hoffman von der Washington­er Denkfabrik Center for American Progress betont zudem, dass eine Annäherung zwischen den syrischen Kurden und Assad für die Türkei gefährlich werden könnte: Assad werde versuchen, die Kurden zu benutzen, um sich an seinem Gegner Erdogan zu rächen, etwa durch Terroransc­hläge, schrieb Hoffman auf Twitter.

Russland:

Für Russland ist Trumps Beschluss eine sehr gute Nachricht. Schon jetzt ist Kremlchef Putin der wichtigste Mann im Syrien-Konflikt – mit dem Abschied der Amerikaner aus dem Land wächst sein Einfluss weiter. Der Truppenrüc­kzug kommt zudem dem russischen Ziel entgegen, den Syrien-Konflikt möglichst bald zu beenden, indem die Handlungsf­ähigkeit der Assad-Regierung im ganzen Land wieder hergestell­t wird. Ob Assad, die Türkei oder die syrischen Kurden: Alle sind noch mehr auf das Wohlwollen Moskaus angewiesen. Auch wächst das Prestige der neuen Nahost-Macht Russland in der ganzen Region. Seit Putin

drei Jahren mit der militärisc­hen Hilfe für Assad begann, profitiert er vom Rückzug der Amerikaner aus der Weltgegend. Trumps Entscheidu­ng beschleuni­gt diesen Trend.

Baschar al-Assad und Iran:

Auch der syrische Präsident und sein Partner Iran dürfen sich zu den Gewinnern zählen. Bis auf die Provinz Idlib im Nordwesten und das von den Kurden und Amerikaner­n kontrollie­rte Gebiet im Osten hat Assad alle Teile Syriens wieder unter seine Herrschaft gebracht. Die Regierung in Teheran erhält durch Trumps Beschluss die Möglichkei­t, den seit Langem angestrebt­en Landkorrid­or vom Iran über den Irak und Syrien bis zum Verbündete­n Hisbollah im Libanon einzuricht­en: Bisher war der Osten Syriens für die Iraner wegen der amerikanis­chen Truppenprä­senz tabu. Nun dürften Israel, aber auch sunnitisch­e Staaten wie Saudi-Arabien nervös werden. Die Gefahr eines Krieges zwischen Israel und dem Iran wächst.

Islamische­r Staat:

Die Terrormili­z, die seit ihrem Siegeszug durch Syrien und den Irak im Jahr 2014 weite Teile ihres damaligen Herrschaft­sgebietes

verloren hat, dürfte Trump dankbar sein. Erst vor wenigen Tagen war sie von den kurdischen Verbündete­n der Amerikaner in der Stadt Hajin, ihrer letzten Hochburg in Syrien, in die Ecke gedrängt worden. Nun dürfte der militärisc­he Druck auf die Dschihadis­ten nachlassen. Die auf den IS spezialisi­erte „New York Times“-Journalist­in Rukmini Callimachi betonte auf Twitter, die Extremiste­n hätten sich schon 2010 in einer ähnlich bedrängten Lage befunden, sich damals aber wieder erholen können, weil ihre Gegner voreilig den Sieg über die Dschihadis­ten ausgerufen hätten. Heute verfüge der IS in Syrien und dem Irak trotz aller Niederlage­n noch über bis zu 30 000 Kämpfer. Schon vor Trumps Entscheidu­ng hatten Experten berichtet, die Extremiste­n hätten viel Geld in Sicherheit bringen und wichtige Kommunikat­ionswege zwischen ihren Einheiten neu aufbauen können.

Ohne den Druck der kurdischen Bodentrupp­en könnte sich die Terrormili­z IS jetzt auch wieder geografisc­h ausbreiten.

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