Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Kommissare und der Geizkragen

Die beiden „Tatort“-Stars Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl spielen als Duo im Theater Ulm die Weihnachts­geschichte von Charles Dickens.

- Von Dagmar Hub

ULM - Weihnachte­n ohne Charles Dickens’ Geschichte von der Läuterung des Geizkragen­s Ebenezer Scrooge hin zum Gönner: Ddas geht für viele so wenig wie Silvester ohne „Dinner for one“. Dickens’ „A Christmas Carol“gibt es verfilmt in zahlreiche­n Varianten. Die beiden TVSchauspi­eler Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, die seit 1991 gemeinsam für den „Tatort“vor der Kamera stehen und fürs Fernsehen gerade ihren 80. Fall gelöst haben, tourten vor Weihnachte­n mit einer neuen Bühnenfass­ung des Stückes durch die Republik und füllten auch das Große Haus des Theaters Ulm mit Zuschauern, die sich von der alten Geschichte im modernen Gewand tief anrühren ließen.

Ist es eine Lesung? Eine Inszenieru­ng? Schwer zu sagen: Nemec und Wachtveitl, zwei inzwischen weißhaarig­e Herren, haben zwei Lesepulte, auf denen der Text liegt, und nutzen sie wenig, weil sie viel vom Stück szenisch auf die Bühne bringen. Dass beide – Wachtveitl, der eine jahrzehnte­lange Sprecherka­rriere hinter sich hat, und Nemec, der ursprüngli­ch am Salzburger Mozarteum studiert hatte – Schauspiel­profis mit dem perfekten Wissen darüber sind, was ankommt, das merkt man schnell.

Libor Símas moderne Inszenieru­ng setzt aber neben der starken Bühnenpräs­enz der beiden Schauspiel­er auch auf Lichteffek­te: Die fünf Engelchen des Streichqui­ntetts sitzen auf leuchtende­n Podesten, die ein bisschen wie die sprichwört­lichen rosa Wölkchen wirken, und ihre Feder-Flügel werden in den gruseligen Momenten der Geschichte so angestrahl­t, dass sie zu brennen scheinen.

„We Wish You A Merry Christmas“spielt das Streichqui­ntett, untermalt von zartem Triangel-Bimmeln, doch so fröhlich ist Ebenezer Scrooges Weihnachts­abend nicht; das Lied gleitet in dissonante Klänge ab. Weihnachte­n ist Unfug, sagt Scrooge. Er ist Geldverlei­her, reich und sehr einsam.

Was Dickens ihm in einer Weihnachts­nacht – sieben Jahre nach dem Tod seines Compagnons Jacob Marley – geschehen lässt, ist bekannt: Marleys Geist erscheint ihm, schwer leidend unter der Last der Ketten des Geldes, die er sich im Lauf des Lebens geschmiede­t hat. Der Untote schickt Scrooge drei Geister der Weihnacht: den der Vergangenh­eit, den der Gegenwart und den der Zukunft. Scrooge sieht Weihnachts­abende seiner Kindheit und Jugend, er sieht das Weihnachte­n seiner Zeit bei armen, aber einander verbundene­n Menschen und das Weihnachte­n im Gefängnis und im Siechenhau­s, und er darf einen Blick in die Zukunft tun hin auf sein Sterben und auf die Erleichter­ung der Menschen über den Tod des unbeliebte­n Geldverlei­hers.

Nein, so will Scrooge nicht in der Erinnerung der Menschen bleiben. So wie im Albtraum will er nicht enden, und er wandelt sich – wird zum Wohltäter und erhöht gleich das Gehalt seines Schreibers Cratchit deutlich.

Die Sozialkrit­ik Dickens’, zu Weihnachte­n 1883 erschienen, kann nicht eins zu eins auf die Gegenwart übertragen werden. So moralisier­end sie im Grunde ist, wenn sie die Grusel-Novelle durchzieht, so anrührend ist sie doch. Miroslav Nemec agiert als Charakter von Ebenezer Scrooge sehr überzeugen­d, seine musikalisc­hen Talente kommen in tänzerisch­en Einlagen zum Tragen.

Komödianti­sches als befreiende­s Element

Udo Wachtveitl schlüpft in alle anderen Rollen des Stückes und schafft als Geist immer wieder auch klamaukige Szenen, etwa, wenn er sich knackend seinen Kiefer zurechtrüc­kt. Vielleicht aber ist so viel Komödianti­sches als befreiende­s Element nötig, um das Publikum aus der Rührung herauszuho­len, beispielsw­eise, wenn die Familie des behinderte­n kleinen Tim in einer imaginiert­en Zukunft den Tod des Kindes betrauert.

Nein, Scrooge will beitragen, dass die Welt ein bisschen besser wird. Und er will selbst dereinst geachtet und geliebt in Erinnerung bleiben und nicht als kettenbela­dener Untoter ein Leben im Jenseits führen. Ein bisschen Eigennutz steckt hinter der rührenden Läuterung des Geizkragen­s schon auch. Starker Beifall!

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl brillierte­n am Theater Ulm in „A Christmas Carol“von Charles Dickens’.

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