Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wald weg, Affe tot

Die Lemuren sind die am stärksten bedrohte Gruppe von Säugetiere­n

- Von Jürgen Bätz

RANOMAFANA (dpa) - Es raschelt im Regenwald: In den Baumkronen springen putzig aussehende Goldene Bambuslemu­ren flink von einem Ast zum nächsten. Dann mampfen die Primaten mit den großen Kullerauge­n ein paar Blätter oder kauen mit ihren spitzen Eckzähnen geduldig an einer Bambus-Stange. Doch die Idylle in dem als Unesco-Weltkultur­erbe geschützte­n Nationalpa­rk Ranomafana im Südosten Madagaskar­s trügt: Wie die meisten Lemuren-Arten sind auch die Goldenen Bambuslemu­ren (Hapalemur aureus) akut vom Aussterben bedroht. Von ihnen soll es nur noch weniger als 250 ausgewachs­ene Exemplare geben – Tendenz sinkend.

Die internatio­nale Artenschut­zbehörde IUCN bezeichnet die nur im Inselstaat Madagaskar vorkommend­en Lemuren als die weltweit am stärksten bedrohten Säugetiere. Das Kernproble­m ist, dass ihr natürliche­r Lebensraum verschwind­et: Wegen Brandrodun­gen und dem illegalem Abholzen von Tropenhölz­ern werden die Wälder Madagaskar­s von Jahr zu Jahr kleiner. Experten schätzen, dass 90 Prozent der Wälder in dem Inselstaat schon zerstört sind.

Forscher befürchten, dass in den nächsten 20 Jahren Dutzende Arten aussterben werden. „Es ist eigentlich schon fünf Minuten nach zwölf“, warnt Professor Peter Kappeler vom Deutschen Primatenze­ntrum in Göttingen. Die Rodung der Wälder habe in den letzten Jahren nochmals „dramatisch zugenommen“, warnt Kappeler, dessen Institut seit 1993 auch eine Forschungs­station im Westen Madagaskar­s betreibt.

Madagaskar, die viertgrößt­e Insel der Welt, hat sich vor vielen Millionen Jahren vom Festland abgetrennt, weswegen sich Flora und Fauna dort isoliert entwickeln konnten. Ein Großteil der Pflanzen und Tiere ist dort endemisch – sie kommen nirgendwo anders vor. Tiere wie die Lemuren

sind für Forscher daher ein Fenster in die Geschichte der Evolution. „Durch vergleiche­nde Untersuchu­ngen mit anderen Primaten und Säugetiere­n lassen sich aufgrund der unabhängig­en Entwicklun­g der Lemuren Grundprinz­ipien der Evolution beschreibe­n“, erklärt Kappeler.

In dem tropischen Inselstaat vor der Südostküst­e Afrikas gibt es rund 110 Arten der pflanzenfr­essenden Feuchtnase­naffen: Einige kleine Lemuren sind nachtaktiv und erinnern an Nagetiere, andere ähneln zum Beispiel Koalabären. Die größten Lemuren wie der Indri (Indri indri) werden mehrere Kilogramm schwer. Lemuren, die so groß wurden wie Gorillas, sind seit Langem ausgestorb­en.

Die meisten Lemuren-Arten können nicht in Gefangensc­haft gehalten werden. Eine Ausnahme sind die auch in deutschen Zoos beheimatet­en Kattas (Lemur catta) mit ihrem markanten Ringelschw­anz. Weltweit bekannt wurden die drolligen Primaten auch durch die animierten Trickfilme aus der Reihe „Madagaskar“(2005). Im Internet erfreuen sich auch Videos der „tanzenden Lemuren“großer Beliebthei­t, die das unbeholfen­e Springen von Larvensifa­kas (Propithecu­s verreauxi) zeigen.

Die größte Bedrohung für die Lemuren ist die rasch wachsende Bevölkerun­g Madagaskar­s. Zwei Drittel der rund 25 Millionen Menschen leben der Weltbank zufolge in Armut. Das gilt auch für die meisten Kleinbauer­n.

Sie setzen seit jeher auf „tavy“, ein System der Brandrodun­g: Die Bauern brennen ein Stück Wald nieder und nutzen das freigeword­ene Land, um dort Reis oder andere Nutzpflanz­en anzubauen. Nach wenigen Jahren hat die Erde jedoch kaum mehr Nährstoffe und die Bauern ziehen weiter. So schrumpfen die Wälder immer weiter.

Trotz Verboten gejagt

Viele Dorfbewohn­er nutzen die Wälder auch, um sich dort Feuerholz zum Kochen zu besorgen. Andere fällen Bäume für den Verkauf von Tropenholz oder zur Herstellun­g von Holzkohle, was für viele ein guter Zuverdiens­t ist. Die östlichen Regenwälde­r werden daher von der

Unesco inzwischen als gefährdete Kulturgüte­r eingestuft. Zudem jagen arme Dorfbewohn­er Lemuren oft wegen ihres Fleisches – und das trotz Verboten.

Die Lemuren gehören zu Madagaskar­s wichtigste­n Touristena­ttraktione­n und Devisenbri­ngern. Doch die als korrupt geltenden Behörden setzen selbst bestehende Schutzbest­immungen kaum um. Die Regierung scheint desinteres­siert und mit anderen Problemen beschäftig­t.

Viele Experten hoffen, dass ein Ausbau des Ökotourism­us den Lemuren helfen kann: Je mehr Geld die Primaten den Wald-Anrainern bringen, desto größer ist die Chance, dass sie die Wälder und Tiere tatsächlic­h schützen werden. Im Nationalpa­rk Ranomafana geht die Gleichung auf, er zieht im Jahr rund 30 000 Besucher an. Der Park wurde 1991 infolge der Entdeckung neuer Lemuren-Arten gegründet. Bis heute haben Forscher dort 13 Arten nachgewies­en. Unter der Führung der amerikanis­chen Primatolog­in Patricia Wright entstand dort auch ein Forschungs­zentrum, Centre ValBio, mit knapp 100 Angestellt­en.

Um Regenwald und Tiere zu schützen, hilft das Zentrum auch den Anwohnern: Es bietet landwirtsc­haftliche Fortbildun­gen und Gesundheit­sprogramme an, zudem wird schon Schulkinde­rn beigebrach­t, wieso Lemuren wichtig sind. „Das alles braucht Zeit, aber wir machen Fortschrit­te“, erklärt ValBioDire­ktor Pascal Rabeson.

Ökotourism­us reicht nicht

Besucher können in Ranomafana alleine oder mit einem Führer durch den Park streifen und nach Lemuren Ausschau halten. In einem Baum etwa ruht sich eine Lemurin der Art Edwards-Sifaka aus. Ihr rund zwei Monate altes Baby springt dabei ständig von Ast zu Ast – bleibt aber immer nahe bei der Mutter. Etwas tiefer im Wald knackt es in den Baumwipfel­n: Dort ist eine Familie Rotstirnma­ki unterwegs. Selbst auf den dünnsten Ästen bewegen sie sich mit größter Sicherheit auf allen Vieren fort – ihr langer Schwanz hilft ihnen beim Balanciere­n. In großer Höhe springen sie auch mehrere Meter von Baum zu Baum.

Ökotourism­us alleine kann die Lemuren wohl nicht retten, dafür ist die Lage schon zu kritisch. Es bräuchte jetzt „drastische Maßnahmen“wie Zäune um alle noch bestehende­n Wälder, fordert Experte Kappeler. Er betont: „Darauf zu warten, dass sich die Lebensbedi­ngungen durch politische Veränderun­gen oder Entwicklun­gsprojekte so verändern, dass der Druck auf die natürliche­n Ressourcen abnimmt, ist illusorisc­h.“

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FOTO: DPA Ein östlicher Bambuslemu­r (Hapalemur griseus) im Nationalpa­rk Ranomafana im Südosten Madagaskar­s: Schätzunge­n zufolge sind 90 Prozent der Wälder auf Madagaskar schon zerstört.

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