Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Guter Partner für jesidische Flüchtling­e und deutsche Spender

Shero Smo leitet das Camp Mam Rashan im Nordirak – Verlässlic­he Kommunikat­ion und nachhaltig­e Arbeit prägen sein Engagement

- Von Ludger Möllers

Der junge Mann mit den tadellosen Manieren, der in perfektem Englisch seine Besucher begrüßt, könnte auch bei einer internatio­nal aufgestell­ten Ölfirma arbeiten und gut, sogar sehr gut verdienen. Angebote gab es genug, der Bachelor-Abschluss in Englisch öffnet im Irak viele Türen. Oder er könnte in seinem erlernten Beruf als Krankenpfl­eger in Deutschlan­d unterkomme­n: Kontakte hat er reichlich.

Doch Shero Smo hat sich dazu entschiede­n, im Flüchtling­scamp Mam Rashan im Norden der autonomen Region Kurdistan als Campleiter für 8800 Menschen zu arbeiten. Er ließ sich in die Pflicht nehmen: Im Kampf gegen die Extremiste­n waren im Irak große Teile des Landes zerstört worden. Besonders hart getroffen hatte es den Norden und Westen des Iraks. Allein in der kurdischen Provinz Dohuk leben 740 000 Flüchtling­e vor allem aus dem Shingal-Gebirge und Mossul, sie führen ein notdürftig­es Leben fern der Heimat. Die 27 Camps, in denen fast 40 Prozent der Flüchtling­e untergebra­cht sind, sind extremen Wetterbedi­ngungen ausgesetzt. Im Winter gibt es viel Niederschl­ag und die Temperatur­en sinken fast bis zum Gefrierpun­kt, im Sommer kann es bis zu 50 Grad heiß werden.

Schrecklic­he Schicksale

Hinter den nackten Zahlen stehen persönlich­e Schicksale: Männer, die gefoltert wurden. Frauen, die von ISKämpfern vergewalti­gt wurden. Familien, die bei der Flucht auseinande­rgerissen wurden. Menschen, die auf brutale Weise Angehörige verloren haben.

Das alles wusste Smo, als er nach Leitungsfu­nktionen in zwei anderen Camps 2016 im Auftrag des Gouverneur­s nach Mam Rashan wechselte. Der 33-jährige Familienva­ter ist hier nicht nur Ansprechpa­rtner für die Flüchtling­e, die nach dem IS-Überfall auf die Shingal-Region 2014 fliehen mussten: Mit seinem Team koordinier­t er auch die Arbeit der Hilfsorgan­isationen, die sich im Camp Mam Rashan engagieren.

Und er ist seit zwei Jahren ebenso der verlässlic­he Garant dafür, dass die Hilfsgelde­r aus der Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbisch­en Zeitung“wie vereinbart ankommen und sinnvoll eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden. „Die Not der Menschen hier ist groß, es fehlt an vielem. Täglich kommen neue Flüchtling­e und Vertrieben­e in die Region, und es ist wichtig, dass wir diesen Menschen, die Schlimmes erlebt haben, eine menschenwü­rdige Unterbring­ung bereitstel­len können“, sagt Smo, der für die Partner der „Schwäbisch­en Zeitung“jederzeit über Telefon, WhatsApp oder Mail , persönlich erreichbar ist.

Bei einem Rundgang durchs Camp Mam Rashan ist zu spüren: Smo genießt eine persönlich­e Autorität. Und nicht nur das: Die religiöse Autorität kommt hinzu. Denn der Campleiter stammt aus einer jesidische­n Familie, die der Priesterka­ste der Pîren angehört: In der stark traditione­ll geprägten jesidische­n Gesellscha­ft haben die Pîren die Aufgabe, die Kaste der Laien in den religiösen Regeln zu unterweise­n.

Die monotheist­ische Religion der Jesiden ist rund 4000 Jahre alt und vereint Elemente altorienta­lischer Religionen. Jesiden kennen keine heilige Schrift, geben den Glauben mündlich weiter und gelten als eher zurückhalt­end. Sie bleiben in ihren Lagern rund um die Städte Erbil und Dohuk und warten ab. Sie trauen dem brüchigen Frieden nicht und überlegen auch, nach Europa zu gehen oder nach Nordamerik­a, in die USA oder Kanada.

Begehrter Ansprechpa­rtner

Campleiter Smo kennt diese kulturelle­n und religiösen Hintergrün­de sehr genau und ist daher als Ansprechpa­rtner in vielen Lebenslage­n gefragt – und lässt sich ansprechen. Hier geht es um die Stromverso­rgung, dort klemmt es bei der Wasservers­orgung. Wenige Schritte weiter fragt ein Vater nach der Möglichkei­t, seine Kinder in eine weiterführ­ende Schule gehen zu lassen.

Mit Augenmaß hat Smo zusammen mit den deutschen Partnern, einer Essener Caritas-Initiative und den Verantwort­lichen bei der „Schwäbisch­en Zeitung“, in den vergangene­n beiden Jahren die vielen Projekte entwickelt und vor allem umgesetzt, die die Lebensqual­ität der Menschen in Mam Rashan verbessern: So entstanden Wohncontai­ner, Ladenzeile­n, Gewächshäu­ser, ein Fußballpla­tz, ein Spielplatz und ein Begegnungs­zentrum für Versammlun­gen der Familienob­erhäupter, Filmabende, Vorträge und Seminare. Bei den Gewächshäu­sern und Ladenzeile­n hatte Smo Arbeit und Beschäftig­ung im Fokus: „Die Flüchtling­e brauchen Struktur im Tag.“Dass Smo den Blick der ihm anvertraut­en Jesiden langsam, aber sicher in Richtung Zukunft öffnen will, beweist ein Besuch auf dem Fußballpla­tz: Dort kicken nicht nur fast 90 Mannschaft­en aus Buben und Jugendlich­en, auch hat Smo den allererste­n jesidische­n Frauenteam­s ihren Traum vom Fußballspi­elen ermöglicht.

Weiter wurden Behandlung­sräume eingericht­et, in denen schwer traumatisi­erte Frauen und Kinder profession­elle Hilfe erlangen. Die baden-württember­gische Landesstif­tung Entwicklun­gszusammen­arbeit (SEZ) schätzt Smo als Partner vor Ort: In Mam Rashan wurde eine Solaranlag­e gebaut, die die Stromverso­rgung garantiert. Philipp Keil, Geschäftsf­ührender Vorstand der SEZ, lobt: „Mam Rashan ist eine Blaupause für andere Camps.“

Besorgter Blick nach Syrien

In diesen Tagen blicken Smo und die Verantwort­lichen in den anderen Camps mit Sorge auf das Nachbarlan­d Syrien. Dort beherrsche­n die Kurden große Gebiete im Norden und Osten des Landes und haben eine Selbstverw­altung errichtet. Die Kurdenmili­z YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die sogenannte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak eine der letzten Bastionen der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). Die Kurden kontrollie­ren auch die wichtigste­n Ölvorräte des Bürgerkrie­gslandes. Mit Blick auf einen möglichen Angriff der Türken überließen sie jetzt die Stadt Manbidsch den Regierungs­truppen. Doch sollte die Lage eskalieren, wird es neue Flüchtling­sströme geben – auch in Richtung Kurdistan, auch in Richtung Dohuk, auch in Richtung Mam Rashan.

Smo ist auf diese Lage vorbereite­t und bittet die deutschen Partner: „Wie immer sind es die Menschen, die unter solchen Konflikten leiden. Ihre Hilfe wird deshalb auch in Zukunft gebraucht. Den Menschen, die von ihrer Heimat entwurzelt sind, eine Perspektiv­e zu bieten, ist der beste Beitrag, um kurzfristi­g Fluchtursa­chen zu bekämpfen.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Campleiter Shero Smo und Claudia Kling, Leiterin des Politikres­sorts der „Schwäbisch­en Zeitung“, auf dem neuen Spielplatz im Flüchtling­scamp Mam Rashan im Nordirak.

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