Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Wie WhatsApp und Co. das Telefonier­en verdrängt haben – und wann das Ferngesprä­ch doch noch wichtig ist

- Von Caroline Bock

BERLIN (dpa) - Im Berliner Museum für Kommunikat­ion haben sie einen Spitznamen: die „grauen Mäuse“. Viele Besucher bleiben vor den Telefonen mit den Wählscheib­en stehen. Die Älteren werden da nostalgisc­h. Kinder fragen: Wie geht das? Und was ist das für eine komische Scheibe?

Die grauen Telefone gehörten im Westen Deutschlan­ds zu den 1970erJahr­en wie Helmut Schmidt und VWKäfer. In großmütter­lichen Haushalten bekamen sie eine Brokathüll­e verpasst. Auf der Wählscheib­e standen ordentlich notiert die Nummern von Notruf und Feuerwehr. Was ein „Display“ist, wusste noch kein Mensch.

Es waren die Zeiten, als man noch nicht sehen konnte, wer anruft. Kinder lernten, sich mit Vor- und Nachnamen zu melden. Ein einfaches „Hallo“war undenkbar. Hatte man es nicht rechtzeiti­g zum Telefon geschafft, musste man warten, bis sich der Anrufer wieder meldete.

Wenige Gegenständ­e erzählen so viel darüber, wie sich der Alltag verändert hat, wie Telefone. Heute sieht das graue Modell vorsintflu­tlich aus – ein Relikt aus der Zeit, als unverheira­tete Frauen noch „Fräulein“hießen. Für DDR-Bürger waren Telefonans­chlüsse wie so vieles Mangelware. Ost-typisch: In den Büros wurde zur Begrüßung gerne „Teilnehmer!“ins Telefon gebellt.

Mit dem Zeitalter der Handys wurde vieles anders. Telefonzel­len verschwand­en: Waren es 2006 noch 110 000, so sind es mittlerwei­le nur noch um die 20 000. Auch die Zahl der Festnetzan­schlüsse sinkt. Zählte die Deutsche Telekom 2010 noch 36 Millionen Anschlüsse, waren es vergangene­s Jahr 27,9 Millionen.

„Wie ein Überfall“

Daheim klingelt es also immer weniger. Auch bei den Gesprächsm­inuten gehen die Kurven nach unten, besonders beim Festnetz, aber auch beim Mobilfunk. „Die Telefonkul­tur verschwind­et“, schrieb das US-Magazin „The Atlantic“. Der Befund: Keiner nimmt noch ab, wenn es klingelt.

In der Fernsehser­ie „Das Pubertier“erschrickt die Teenager-Tochter, als auf einmal ein Junge auf dem Handy anruft. Sie nimmt lieber erstmal nicht ab. Telefonier­en, das ist für manche in Zeiten von WhatsApp, SMS und Mail zu etwas Intimem geworden. Eine Kolumnisti­n des Magazins „Edition F“mag es lieber schriftlic­h: „Ein Anruf kommt mir oft vor wie ein Überfall aus dem Hinterhalt. Man weiß nie, wobei man den anderen gerade stört.“

Ist jetzt wirklich Funkstille? Ruft nur noch Mutti an? Ganz so drastisch ist es nicht, viele nutzen auch Internetdi­enste wie Skype, WhatsApp oder den Facebook-Messenger zum Telefonier­en. Für 2018 sagte eine Studie der Unternehme­nsberatung Dialog Consult, dass im Schnitt in Deutschlan­d 896 Millionen Minuten am Tag gesprochen wird. Das ist weniger als vor ein paar Jahren, aber deutlich mehr als noch 1998. Und durchschni­ttlich sind es täglich um die 13 Minuten pro Person ab 16 Jahren. Es ist also nicht so, dass gar nicht mehr telefonier­t wird. Es passiert eher auf anderen Drähten als früher. „Das würde ich so unterschre­iben“, sagt der Studienaut­or Torsten Gerpott von der Universitä­t DuisburgEs­sen. „Dass wir gar nicht miteinande­r reden, zeigen die Statistike­n nicht.“Denn: Die Textnachri­cht passt nicht für jede Lage. „Immer wenn es auf den Kontext und auf Zwischentö­ne ankommt, werden wir auch weiter das klassische Gespräch nutzen.“

Sprachnach­richten beliebt

Klar ist: Die Jüngeren kommunizie­ren anders als die Älteren. „Ich schreib’ dir noch mal“, sagt die Nichte – und meint damit die Textnachri­cht über WhatsApp. Torsten Gerpott kennt das von seinen vier Kindern. Die melden sich beim Papa fast nur über WhatsApp. „Dass mich einer anruft, kommt am Geburtstag vor.“

Beliebt sind bei den Nutzern von Messenger-Diensten wie WhatsApp auch die Sprachnach­richten. Laut einer Studie des Digitalver­bandes Bitkom verschickt mehr als die Hälfte diese gesprochen­en Botschafte­n – bei den Jüngeren zwischen 14 und 29 Jahren sind es demnach sogar rund drei Viertel. Auf der Straße sieht das fast so aus, als würden die Leute in ihr Handy beißen, wenn sie Nachrichte­n aufnehmen. Ein typisches Bild für den Telefon-Alltag im Jahr 2018.

Und wie sieht die Zukunft aus? Bald könnte alles Mögliche zum Telefon werden – Brille, Kopfhörer, Kleidung, heißt es bei der Telekom. Wichtig ist die Sprache, siehe die Lautsprech­ersysteme, mit denen man reden kann. „Generell gehen wir davon aus, dass Kommunikat­ion immer wichtig bleiben wird, denn sie ist ein menschlich­es Urbedürfni­s“, erklärt Telekom-Sprecherin Verena Fulde. Nur die Art der technische­n Unterstütz­ung werde sich ändern. „Das Smartphone werden wir bald im Museum bewundern können.“

Wer sich richtig nostalgisc­h fühlen möchte, kann die Zeitansage anrufen. Die gibt es immer noch. An normalen Tagen werde diese „viele H undert Mal“angerufen, so die Telekom. Besonders gefragt ist sie an Silvester – um pünktlich auf den Jahreswech­sel anstoßen zu können.

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FOTO: DPA Das Telefon mit Wählscheib­e war in den 1970er-Jahren in jedem deutschen Haushalt zu finden. Mit dem Siegeszug der Mobiltelef­one reduzierte sich auch die Zahl der Telefonzel­len. Heute telefonier­en viele Smartphone-Nutzer über Dienste wie WhatsApp oder den Facebook-Messenger – wenn sie nicht lieber Textnachri­chten verschicke­n.
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