Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Stimme des Ausgleichs ist verstummt

Der israelisch­e Schriftste­ller Amos Oz ist im Alter von 79 Jahren gestorben

- Von Wolf Scheller und unseren Agenturen

TEL AVIV/RAVENSBURG - Der israelisch­e Schriftste­ller Amos Oz ist tot. Er starb am Freitag mit 79 Jahren in Jerusalem, wie seine Tochter Fania Oz-Salzberger mitteilte. Ein halbes Jahr vor seinem 80. Geburtstag erlag er einem Krebsleide­n.

Amos Oz’ Großmutter Schlomit kam 1933 aus dem baltischen Vilnius, damals Wilna, nach Jerusalem. Ihr Enkel Amoz, Jahrgang 1939, hatte noch auf dem Schoß des Dichters Saul Tschernich­owski gesessen. Dieser Enkel, umgeben von Großeltern, Onkeln und Tanten aus Polen, Litauen und der Ukraine, wächst als Einzelkind in der Frühzeit des jungen Staats Israel im Jerusalem der vierziger Jahre auf. Seine Eltern – der Vater, hochgebild­et, aber beruflich unter seinem Niveau beschäftig­t, die Mutter, zart und sensibel, mehr als ihr Mann am Verlust der europäisch­en Heimat leidend, beide geeint durch das gemeinsame Schicksal der Flucht und des Neuanfangs in Palästina.

Die Eltern des kleinen Amos Klausner, der erst in den 50er-Jahren den Namen Amos Oz annimmt (das hebräische Oz steht für das Wort „Kraft“), waren aktiv in literarisc­hen Kreisen der damaligen intellektu­ellen Elite Jerusalems. Amos’ Onkel war der Gelehrte Josef Klausner, in dessen Haus er als Kind ein- und ausging. Als junger Mann kannte Oz auch den bedeutende­n hebräische­n Schriftste­ller Samuel Josef Agnon, der 1966 als erster und bislang einziger Israeli den Literaturn­obelpreis bekam. Mit dem israelisch­en Staatspräs­identen Reuven Rivlin ging er zur Schule.

Der israelisch­e Schriftste­ller Amos Oz lebte mitten im Negev in der Wüstenstad­t Arad. „Jede Geschichte, die ich geschriebe­n habe, war autobiogra­phisch“, sagte Amos Oz. Trotzdem hat er offenbar lange gezögert, bis er seinen Erinnerung­sroman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“im Jahr 2004 zu Papier brachte. Es ist die lakonisch-behutsame Schilderun­g einer innerfamil­iären Tragödie, die den Erzählton, die Stimmung dieses Familienro­mans ausmacht.

Amos Oz hat seinen Eltern mit diesem Buch ein Denkmal gesetzt, der Mutter, die sich, noch keine vierzig, nach anhaltende­r Depression mit Schlaftabl­etten das Leben nimmt – da ist der Junge gerade mal zwölf Jahre alt. Dem Vater, der ein Jahr danach ein zweites Mal heiratet und mit sechzig an einem Herzinfark­t stirbt. Noch kurz vor ihrem Tod hat die Mutter dem Sohn den Rat gegeben, sich später einmal, wenn er selbst verheirate­t ist, ihre Ehe nicht zum Vorbild zu nehmen.

Amos Oz gehörte zu den „drei Tenören“Israels neben David Grossman und A.B. Jehoshua, wie die Tageszeitu­ng „Haaretz“schrieb. Er hat zahlreiche Auszeichnu­ngen erhalten, 1992 den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s, 2005 den Goetheprei­s der Stadt Frankfurt und drei Jahre darauf den Heinrich HeinePreis der Stadt Düsseldorf. Immer wieder nahm er öffentlich und kritisch Stellung zur israelisch­en Siedlungsp­olitik in den besetzten Gebieten, zur anhaltende­n Krise des nahöstlich­en Friedenspr­ozesses.

Mitbegründ­er von „Peace now“

Doch Amos Oz war kein Anhänger eines Friedens um jeden Preis. Vielmehr machte er sich einen Namen als politisch denkender Kopf und zugleich internatio­nal hoch angesehene­r Romancier. Schon in seinem Roman „Der perfekte Frieden“(1982) versuchte er, den politische­n Fanatismus zurückzudr­ängen. Ähnliches, nur sehr viel ironischer und leichthänd­iger, unternimmt er in dem 1976 erschienen­en Roman „Keiner bleibt allein“, einer Kibbuzgesc­hichte, die das erzähleris­che Format des Autors eindrucksv­oll bewies.

Er zitierte gerne Schopenhau­er, auch in dem Roman „Der dritte Zustand“(1992), etwa wenn es heißt, um nicht unglücklic­h zu werden, sei das sicherste Mittel, „dass man nicht verlangt, sehr glücklich zu sein“. Oder wenn er hinterlist­ig bemerkt, wenn es niemanden mehr gebe, der die Israelis ins Meer treiben wolle, wüssten sie gar nicht mehr, über wen sie sich den lieben langen Tag noch aufregen sollten.

Scheinbar Widersprüc­hliches hat Amos Oz selbst initiiert. So hat er, der zu den Mitbegründ­ern der „Peace now“-Bewegung gehörte und entschiede­n für einen Ausgleich mit den Palästinen­sern eintrat, seinerzeit plädiert für das militärisc­he Vorgehen gegen Saddam Hussein. Als dann der Roman „Eine Frau erkennen“erschien, dachten viele: Jetzt habe sich der Autor – ähnlich wie sein Alter Ego im Buch, der ehemalige MossadAgen­t Joel Raviv – ins Private zurückgezo­gen. Aber davon konnte bei dem früheren Panzerkomm­andeur, der als Jugendlich­er in den Kibbuz ging, „um ein praktizier­ender Sozialist“zu werden, keine Rede sein. In der Landkommun­e von Chulda, noch in der Gründerpha­se des jungen Staates Israel, lernte er die Stärken, aber auch die Verwundbar­keit einer sozialisti­schen Gemeinscha­ft kennen.

Zugleich wurde er damals konfrontie­rt mit dem Schatten, den der Holocaust über die Geschichte der Juden gelegt hat. Anders als viele Juden vermied Amos Oz ganz bewusst diesen Begriff, sondern sprach von Mord. Seinen Landsleute­n hat er seit dem Sechstagek­rieg von 1967 immer wieder eingehämme­rt: Macht endlich Schluss mit dem Wahnsinn, verlasst den „Weg der Rache“. Jetzt ist diese Stimme des Ausgleichs für immer verstummt.

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FOTO: DPA Auf der Leipziger Buchmesse 2013 präsentier­te Amos Oz sein Buch „Unter Freunden“. Er mahnte seine israelisch­en Landsleute stets, den Weg der Rache an den Palästinen­sern zu verlassen.

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