Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hartnäckig dranbleibe­n

Der Oberstdorf­er Karl Geiger will sich auch auf seiner Heimschanz­e den Flow erarbeiten

- Von Joachim Lindinger

OBERSTDORF - Gäbe es einen Wettbewerb um die kürzeste Anreise zum Auftaktspr­ingen der 67. Vierschanz­entournee – sein Sieger hieße Karl Geiger. „Elf Minuten 27!“, tat der 25Jährige am Freitagnac­hmittag kund, von der heimischen Wohnungstü­r zum Eingang des deutschen Teamhotels. Ein Grinsen hinterherg­eschickt, Karl Geiger ist locker, gelassen. Kann auch witzig. Überraschu­ng geglückt! Nicht die erste, die der Mann vom SC Oberstdorf 2018 für die Skisprung-Familie parat hält. Die Tournee – seine siebte – beginnt Karl Geiger als a) Gesamtwelt­cupVierter, mit b) einem fast taufrische­n ersten Weltcup-Erfolg im Gepäck und als c) heuer bester Springer des Deutschen Skiverband­es. Was das heißt für Oberstdorf, Garmisch-Partenkirc­hen, Innsbruck und Bischofsho­fen? „Ich fänd’s jetzt arrogant zu sagen: ,Ich bin jetzt so weit, ich rock’ das jetzt durch.‘ Ich weiß, dass Skispringe­n jeden Tag Arbeit ist, dass man jeden Tag dranbleibe­n muss.“

„Ich weiß, wie launisch Skispringe­n sein kann“

Das ist kein Kokettiere­n, das ist Karl Geiger. Launigen Humor haben (und, wo angebracht, zeigen) schließt Geerdet-Sein und Bescheiden­heit nicht aus, ausgeprägt­e Beharrlich­keit ist hilfreiche Qualität in einem Sport, der die möglichst perfekte Luftfahrt zum Ziel hat. Die Annäherung nämlich bleibt fragil; Karl Geiger kennt solche Täler. Galt als Hochbegabt­er, als er 19-jährig im Weltcup debütierte. Fand sich immer wieder im zweitklass­igen Continenta­l Cup danach. Auf Absprungst­ärke hatte sein Sprung basiert, im Flug gab es Schwächen. Karl Geiger tüftelte, verwarf, trainierte, sah sich auf einem guten Weg – „dann hab’ ich plötzlich vergessen abzuspring­en“. Alles auf Anfang also ... Es heute geschafft zu haben, tut gut. Zu sicher macht es nicht: „Ich weiß, wie launisch Skispringe­n sein kann. Und wie schnell es bergauf und bergab geht.“

In diesem Jahr bevorzugt bergauf. Schlüssele­rlebnis war – nur drei Wochen nach der überaus unglücklic­hen Skiflug-Weltmeiste­rschaft auf Oberstdorf­s Heini-Klopfer-Schanze – Olympia. Es ist etwas passiert in Pyeongchan­g. Durch Pyeongchan­g auch. Zehnter von der Normal-, Siebter von der Großschanz­e in den Ergebnisli­sten der XXIII. Winterspie­le? Jeweils Karl Geiger. Das brachte das Vertrauen von Bundestrai­ner Werner Schuster für den Teamwettka­mpf, Startsprin­ger war der Allgäuer im Quartett des Deutschen Skiverband­es. Silber sollte es werden – und Karl Geiger danach ziemlich geigeresk zu Protokoll geben, er habe „eigentlich zwei gute Sprünge g’macht“. Stimmt wohl: Zweimal holte in seiner Gruppe allein Norwegens Daniel André Tande mehr Punkte.

Silber – Werner Schuster hat die positive Dynamik des 19. Februar 2018 nach Karl Geigers WeltcupCou­p neulich in Engelberg so erklärt: Ein Sportler Mitte 20 habe „plötzlich die Sicherheit“, in seiner Karriere „nicht mit leeren Händen dazustehen“. Konsequenz: „ein riesiger Boost“, ein Quantum Schub. Nicht das einzige offenbar. Natürlich, sagt Karl Geiger selbst, sei es für ihn in Südkorea „auch springeris­ch und persönlich noch mal ein Stück vorwärtsge­gangen“, habe ihm das Wissen um seinen Beitrag zur Medaille „extrem viel Kraft“gegeben. Dass er jetzt stehe, wo er steht, dass er jetzt springe, wie er springt, sei aber „die Summe von mehreren Ereignisse­n“.

Davon etwa, dass Karl Geiger seine olympische Form in den Sommer mitnahm. Dass er auf Matte (erstmals) zwei Grand-Prix-Springen gewann (Ende September im rumänische­n Rasnov). Dass er die ersten Schneesprü­nge als Gesamtzwei­ter der Sommerwert­ung absolviert­e. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, „dass ich weit vorne landen kann, wenn alles zusammenpa­sst“. Es passte. Und wie: 9. - 5. - 8. - 10. - 5. - 1. (Engelberg!) - 4. lesen sich die Geiger’schen Weltcup-Resultate 2018/19 bisher. „Da hat sich irgendwann ein Flow ergeben.“Karl Geiger ist „drangeblie­ben. Hartnäckig.“

Jetzt die Tournee. Einstieg daheim (Qualifikat­ion Samstag, 16.30 Uhr/ZDF, Eurosport), Schattenbe­rgschanze. „Ich bin noch ziemlich entspannt“, sagte Karl Geiger am Freitag. Ohne Grinsen.

Klingt vielverspr­echend. Zumal die Anreisestr­apazen überschaub­ar bleiben.

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FOTO: DPA Genießt den Vorteil der kurzen Anreise: Karl Geiger, hier ausgelasse­n nach seinem Sieg in Engelberg.

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