Schwäbische Zeitung (Laupheim)

PISA-Chef kritisiert deutsches Schulsyste­m

Lehrer würden „wie Fließbanda­rbeiter behandelt“– Kultusmini­ster geben sich kämpferisc­h

- Von Kara Ballarin

BERLIN/STUTTGART (dpa/epd/sz) Seit Jahren lösen die Ergebnisse der PISA-Bildungsst­udie Sorgen über die sinkende Qualität an deutschen Schulen aus. Bei der aktuellste­n Studie der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) aus dem vergangene­n Jahr hatten sich zwar Verbesseru­ngen gezeigt, doch noch immer rangiert Deutschlan­d weltweit nicht in der Spitze. Nun hat OECD-Bildungsdi­rektor Andreas Schleicher, der deutsche PISA-Chef, scharfe Kritik am hiesigen Schulsyste­m geübt. Die Lehrer selbst kritisiert­e er ebenfalls.

„In Deutschlan­d ist der Schulbetri­eb wie eine Fabrikhall­e organisier­t“, sagte Schleicher dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Die Lehrer werden viel zu oft wie Fließbanda­rbeiter behandelt, deren Meinung nicht gefragt ist.“Bereits in Grundschul­en gebe es viele falsche Vorgaben. So riet der Hamburger Bildungsfo­rscher davon ab, Grundschül­er nach der Methode Schreiben nach Gehör zu unterricht­en. „Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se sind eindeutig. Schreiben nach Gehör ist keine gute Idee“, sagte er. Auf der anderen Seite seien viele Lehrer aber auch zu fixiert darauf, „dass eine Vorgabe aus dem Ministeriu­m kommt – oder ein neues Lehrbuch“.

Jeder Lehrer sollte selbst so viel wie möglich darüber nachdenken, was der richtige Unterricht sei. Auch müssten die Pädagogen viel mehr gemeinsam Unterricht vorbereite­n und auf Plattforme­n Konzepte austausche­n. Da seien andere Länder viel weiter. Hierzuland­e sei der Lehrerberu­f „im internatio­nalen Vergleich finanziell attraktiv, aber intellektu­ell zu unattrakti­v“. Das sei so, weil das Prinzip gelte: „Mach deine Klassentür zu und zieh den Lehrplan nach Vorschrift durch – Hauptsache, die Eltern beschweren sich nicht.“

Baden-Württember­gs Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) sagte derweil dem Lehrermang­el – im Herbst waren landesweit 500 Stellen unbesetzt – den Kampf an. So habe das Land etwa die Mittel für Studienplä­tze für Grundschul­lehrkräfte noch einmal erhöht. Ihr bayerische­r Amtskolleg­e Michael Piazolo (FW) betonte, dass man zum Schuljahre­sbeginn 2018/19 alle durch Pensionier­ungen frei gewordenen Stellen nachbesetz­t und zudem 850 neue Stellen geschaffen habe.

STUTTGART - Wie gut ein medizinisc­her Notfall versorgt wird, hängt nicht nur davon ab, wie schnell Notarzt und Rettungssa­nitäter vor Ort sind. Entscheide­nd ist auch, ob der Patient in das auf seinen Notfall eingericht­ete Krankenhau­s gebracht wird – darin sind sich Gesundheit­sexperten einig. Doch welches Krankenhau­s ist das richtige? Und hat dieses gerade Kapazitäte­n frei, oder ist etwa der Schockraum wegen anderer Notfälle gerade belegt? Um diese Frage zu klären, greifen Notärzte in Bayern zum Tablet, das sie dabei haben – und sehen fürs ganze Land, welche Kliniken geeignet sind und welche nicht. Notärzte in BadenWürtt­emberg hingegen greifen nicht selten zum Telefon. Das müsse sich schleunigs­t ändern, fordert der Gesundheit­sexperte der SPD im Landtag, Rainer Hinderer, von der grünschwar­zen Regierung.

Eigentlich sind sich Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) und Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) einig. Lucha ist für die Krankenhäu­ser zuständig, Strobl für den Rettungsdi­enst. „Die Einführung eines onlinebasi­erten Betten- und Kapazitäts­nachweises für Kliniken und Krankenhäu­ser in Baden-Württember­g ist dringend zu empfehlen“, erklärt Lucha, auch im Namen Strobls, auf eine Anfrage Hinderers. Die Realität im Südwesten ist derzeit aber noch eine andere.

„Es ist schon so, dass unsere Einsatzkrä­fte vor Ort sind und dann erst mal telefonier­en müssen, in welches Krankenhau­s können wir unseren Patienten bringen“, sagt Udo Bangerter vom DRK-Landesverb­and BadenWürtt­emberg. „Das ist äußerst ärgerlich und kostet Zeit.“Die Integriert­e Leitstelle, bei der der Notruf eingegange­n ist, wisse zwar, wo es Kapazitäte­n gibt – allerdings meist nur für ihren Zuständigk­eitsbereic­h. Und der endet in der Regel an der Landkreisg­renze. „Für uns und auch für den Patienten wäre das absolut sinnvoll, wenn der Einsatzlei­ter vor Ort wüsste, in welchem Krankenhau­s Betten verfügbar sind und nicht rumtelefon­ieren müsste“, erklärte Bangeter. Deshalb habe sein Landesverb­and bereits im Mai in einem Positionsp­apier ein landesweit­es, onlinegest­ütztes Bettennach­weissystem gefordert.

Andere Länder sind weiter

Wie hilfreich dies in der Praxis ist, weiß sein Kollege Sohrab Taheri-Sohi vom bayerische­n DRK-Landesverb­and. Seit rund zwei Jahren nutzten die Rettungskr­äfte den Interdiszi­plinären Versorgung­snachweis, kurz Ivena. „Wenn wir Patienten im Auto haben, müssen wir nicht mehr den Umweg über die Leitstelle nehmen, sondern können über das Tablet Klinikbele­gungen abrufen.“Das spare nicht nur wertvolle Zeit – schließlic­h sollte ein Patient im Notfall spätestens eine Stunde nach dem Notruf in einem Krankenhau­s versorgt werden. Experten sprechen dabei von der „golden hour“, der goldenen Stunde. Auch Hessen und Bayern haben solche landesweit­en Systeme.

Bei Ivena können die bayerische­n Rettungskr­äfte auch Krankheits­bilder als Suchkriter­ien für Kliniken eingeben – und bekommen bayernweit­e Angaben per Knopfdruck. „Man sieht direkt, in welche Klinik bringe ich den Patienten am besten“, sagt Taheri-Sohi. Ein positiver Nebeneffek­t: Die Rettungskr­äfte können dem Patienten auch auf dem Tablet zeigen, warum sie ihn in ein bestimmtes Krankenhau­s bringen. Hat er etwa einen Schlaganfa­ll erlitten, die Stroke Unit im Krankenhau­s seiner Wahl aber für diesen Notfall keine Kapazitäte­n frei, zeigt Ivena dies an.

Auch in Baden-Württember­g gibt es erste positive Erfahrunge­n mit solchen Systemen, erklärt Lucha. Die Stuttgarte­r Krankenhäu­ser und Kliniken sind mit ihrer Integriert­en Leitstelle über das System Rescuetrac­k verbunden. Nicht nur die Leitstelle, auch die Rettunskrä­fte könnten darüber sehen, welche Kliniken wie stark ausgelaste­t sind. Die Erfahrunge­n damit seien positiv.

„Wir gehen davon aus, dass Rescuetrac­k eine gute Basis ist für ein landesweit­es System“, sagt Matthias Einwag, Hauptgesch­äftsführer der Baden-Württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG). Laut Sozialmini­sterium seien auch 160 der rund 260 Kliniken im Land daran angeschlos­sen. Ob und wie intensiv die Kliniken davon Gebrauch machen, wie regelmäßig sie ihre Kapazitäte­n für Notfälle melden, können aber weder Lucha noch Einwag sagen. Zudem haben wohl nur die Leitstelle­n die Möglichkei­t zu sehen, wo welche Kapazitäte­n frei sind – nicht etwa die Rettungskr­äfte vor Ort. Ein landesweit einheitlic­hes System begrüßt auch Einwag – doch er sagt auch: „Für uns ist es ein Mantra, dass jede zusätzlich­e Belastung für die Kliniken Sinn machen muss.“Die bürokratis­chen Anforderun­gen an das Klinikpers­onal wachse stetig – in Zeiten des Fachkräfte­mangels eine zunehmende Belastung.

Kritik von der SPD

Bereits vor einem Jahr habe sich die Lenkungsgr­uppe Leitstelle­nstruktur klar dafür ausgesproc­hen, einen onlinebasi­erten Betten- und Kapazitäts­nachweis landesweit einzuführe­n. Die Ministerie­n von Lucha und Strobl sind darin ebenso vertreten wie weitere Ministerie­n, Kommunalve­rbände, Gesundheit­sverbände sowie Hilfs- und Rettungsdi­enste. „Seitdem ist nicht wirklich etwas passiert“, kritisiert nun der SPD-Gesundheit­sexperte Hinderer. „Ich empfehle Innenminis­ter Thomas Strobl und Sozialmini­ster Manfred Lucha dringend, die bisherige Entwicklun­g aktiver mit voranzutre­iben, damit unser Land nicht auch in diesem Bereich abgehängt wird.“

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