Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Amokfahrt an Silvester

Autofahrer wollte in Bottrop gezielt „Ausländer töten“

- Von Susanne Güsten

BOTTROP (AFP) - Der Autofahrer, der in der Silvestern­acht im Ruhrgebiet absichtlic­h mehrere Fußgänger angefahren hat, hatte die „klare Absicht, Ausländer zu töten“. Das sagte Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) am Dienstag in Bottrop. Der Fall müsse „sehr ernst genommen werden“, es werde mit Hochdruck ermittelt. Mindestens vier Menschen waren bei der Amokfahrt in der Silvestern­acht in Bottrop und Essen verletzt worden, darunter ist eine Frau mit schweren Verletzung­en.

Ein Deutscher sei bewusst in vier Gruppen gefahren, die größtentei­ls aus Ausländern bestanden hätten, so Reul. Das sei durch die Vernehmung­en klar geworden. Schon vorher sei deutlich gewesen, dass der Mann psychische Erkrankung­en gehabt habe. Bottrops Oberbürger­meister Bernd Tischler (SPD) zeigte sich „entsetzt“. Er hoffe, dass die Verletzten bald genesen würden.

ISTANBUL - Die Festnahme des türkischst­ämmigen Bundesbürg­ers Adnan Sütcü wegen angeblich staatsfein­dlicher Facebook-Beiträge unterstrei­cht die zunehmende Unterdrück­ung der Meinungsfr­eiheit in der Türkei. Nach offizielle­n Angaben gehen die Behörden im Durchschni­tt jeden Tag gegen etwa 50 Verdächtig­e vor, die ihnen mit Kommentare­n in sozialen Medien auffallen: So kamen im abgelaufen­en Jahr mehr als 18 000 Verfahren zusammen. Viele Türken sagen deshalb in der Öffentlich­keit lieber nichts mehr.

Der Münchner Sütcü wurde nach Informatio­nen von „Süddeutsch­er Zeitung“, NDR und WDR am 27. Dezember in Ankara festgenomm­en, wo er an der Beisetzung seiner Mutter teilnehmen wollte. Inzwischen ist Sütcü demnach wieder auf freiem Fuß, darf die Türkei vorerst aber nicht verlassen. Die Bundesregi­erung lässt den Beschuldig­ten konsularis­ch betreuen.

In kurdischem Verband aktiv

Auf Facebook soll Sütcü der türkischen Justiz zufolge Propaganda für eine Terrororga­nisation verbreitet haben, was er laut „Süddeutsch­er Zeitung“bestreitet. Ob ihm Unterstütz­ung für die kurdische Terrororga­nisation PKK vorgeworfe­n wird, war zunächst nicht bekannt. Der 56Jährige ist in München im kurdischen Dachverban­d Komkar aktiv. Als Mitglied dieses Verbandes war im Juli auch der Hamburger Dennis E. im südtürkisc­hen Iskenderun festgenomm­en worden; E. muss sich wegen PKK-Propaganda verantwort­en. Insgesamt sind rund ein halbes Dutzend Bundesbürg­er wegen politische­r Vorwürfe in der Türkei in Haft. Berlin spricht von Willkür der türkischen Behörden.

Die Regierung in Ankara weist dies zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte vor wenigen Tagen, die Türkei sei eines der wenigen Länder, in denen die Demokratie „in ihrer vollen Bedeutung“umgesetzt werde. Erdogans Regierung argumentie­rt, Terror-Propaganda werde auch in westlichen Ländern geahndet.

Allerdings ziehen regierungs­treue Richter und Staatsanwä­lte die Grenzen der Meinungsfr­eiheit wesentlich enger als ihre Kollegen in Europa oder den USA. Kritik an Erdogan oder anderen Mitglieder­n der türkischen Führung wird häufig als Präsidente­nbeleidigu­ng oder Volksverhe­tzung verfolgt. Laut einer zum Jahreswech­sel vorgelegte­n Statistik des Innenminis­teriums wurden 2018 gegen 18 376 Betroffene rechtliche Schritte eingeleite­t, weil sie per Internet schwere Beleidigun­gen von Amtsträger­n oder aufrühreri­sche sowie gewaltverh­errlichend­e Äußerungen verbreitet haben sollen.

Der Schutz des Staates und seiner Vertreter vor angebliche­n Angriffen wiegt für die Justiz weit schwerer als das auch in der Türkei verfassung­srechtlich garantiert­e Recht auf freie Rede. Fast jeden Tag gibt es neue Beispiele dafür. Ein prominente­r Banker muss sich derzeit vor der Justiz verantwort­en, weil er vor fünf Jahren ein Erdogan-kritisches Video auf Twitter verbreitet hatte.

Kritische Fragen unerwünsch­t

Mitunter wird die Justiz aktiv, wenn sie von Erdogan dazu aufgeforde­rt wird. Vor Kurzem wurden zwei prominente Schauspiel­er vorübergeh­end festgenomm­en, nachdem sich der Staatspräs­ident über ihre Kommentare im opposition­snahen Fernsehsen­der Halk TV beschwert hatte. Auch gegen den bekannten Fernsehmod­erator Fatih Portakal wird ermittelt, weil er Erdogan unangenehm auffiel: Portakal hatte die Frage gestellt, ob in der Türkei noch friedliche Protestdem­onstration­en möglich seien. Halk TV sowie Portakals Sender Fox erhielten Strafen von der Medienbehö­rde Rtük. Der Journalist­enverband TGC brandmarkt­e dies als Angriff auf die Pressefrei­heit.

Auch im Parlament in Ankara hat die Justiz angebliche Staatsfein­de ausgemacht. Allein neun Abgeordnet­e sollen nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft ihre Immunität verlieren, weil sie auf Twitter eine Erdogan-Karikatur verbreitet hatten. Einer der Betroffene­n, Ali Mahir Basarir, erklärte, in der Türkei solle ein „Reich der Angst“errichtet werden.

Offenbar denken viele Türken wie Basarir. Ein hunderttau­sendfach angeklickt­es Video, das derzeit in sozialen Medien der Türkei die Runde macht, zeigt die vergeblich­en Versuche einer TV-Reporterin, Passanten nach ihrer Meinung zu den Kommunalwa­hlen im März zu befragen. In einer Szene geht ein Mann schweigend am Mikrofon der Journalist­in vorbei, streckt die Arme aus und legt die Handgelenk­e übereinand­er – ganz so, als würde er mit Handschell­en gefesselt.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fühlt sich schnell beleidigt – das bekommen die Bürger seines Landes häufig in Form von Strafverfa­hren zu spüren.

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