Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die vergesslic­he May und die Gebetsmühl­e

- Von Sebastian Borger, London

Zehn Tage lang hat der politische Waffenstil­lstand zum Thema Brexit gehalten. Doch mit dem neuen Jahr und 88 Tage vor dem geplanten Austrittst­ermin liegen sich die politische­n Kontrahent­en Grossbrita­nniens wieder in den Haaren – ein Wetterleuc­hten vor dem neuerliche­n parlamenta­rischen Schlagabta­usch, der Mitte des Monats in der Abstimmung über den Austrittsv­ertrag und die zugehörige politische Erklärung gipfeln soll.

Theresa May vergass in ihrer Neujahrsan­sprache sogar, den Untertanen Ihrer Majestät ein frohes 2019 zu wünschen. Eindringli­ch wirbt die konservati­ve Premiermin­isterin stattdesse­n für ihren „guten Deal“: Wenn das Parlament nur endlich dem mit Brüssel vereinbart­en Paket zustimme, könne das Land „einen wichtigen Schritt vorankomme­n“. Wie seit Monaten beschwört sie gebetsmühl­enartig die Einheit des Landes: Diese gelte es nach dem spaltenden Referendum von 2016 wiederherz­ustellen. Schliessli­ch stelle der Brexit nicht das einzige Thema von Belang dar. „Ich weiss, dass wir erfolgreic­h sein können“, sagt die 62-Jährige am Ende, sieht aber nicht so aus, als ob sie ihrer eigenen Rhetorik glauben mag.

Bisher spricht alles dafür, dass das Unterhaus dem Brexit-Paket eine Absage erteilen wird. Weil dies das bereits in Aussicht gestellte Ende ihrer Amtszeit erheblich näher bringen könnte, müssen sich Berlin und Paris diese Woche auf einen Bettelanru­f aus London gefasst machen. Den vielen Kritikern, nicht zuletzt in der eigenen Fraktion, hat May nämlich greifbare Zugeständn­isse zugesagt. Stets geht es dabei vor allem um die inneririsc­he Grenze: Um diese auch in Zukunft so offen wie möglich zu halten, müsste Nordirland nach der geplanten Übergangsp­hase bis Ende 2020 einen Sonderstat­us erhalten, was nicht zuletzt die nordirisch­en Unionisten vehement ablehnen.

Mays Brexit-Politik sei „ein komplettes Schlamasse­l“, betont LabourOppo­sitionsfüh­rer Jeremy Corbyn in seiner Ansprache, die fröhlich mit guten Wünschen für 2019 beginnt. Anschliess­end aber verbringt der Sozialist anderthalb Minuten damit, die Auswirkung­en „schädliche­r Tory-Politik“zu beklagen. Jedoch bleibt er die Antwort auf die Frage schuldig, wie es mit dem Brexit weitergehe­n soll. Der eingefleis­chte EUSkeptike­r hat zuletzt mehrfach betont, man müsse das knappe Ergebnis von 2016 respektier­en. Damit stösst Corbyn auf Widerstand bei den eigenen, meist EU-freundlich­en Parteiakti­visten. Die dürften mehrheitli­ch Gefallen finden an einer Geste, mit der Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan zum Jahreswech­sel aufwartete. Beim Feuerwerk in der Hauptstadt war das Riesenrad London Eye in EU-Blau getaucht, die gelb angestrahl­ten Gondeln imitierten die Sterne auf der Europaflag­ge. „Wir schicken eine Nachricht um den Globus“, teilte der Labour-Politiker dazu mit – die rund eine Million EU-Bürger gehörten zu London und seien „hier immer willkommen“.

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FOTO: DPA Londons Riesenrad zum Jahreswech­sel in EU-Blau.

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