Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die vergessliche May und die Gebetsmühle
Zehn Tage lang hat der politische Waffenstillstand zum Thema Brexit gehalten. Doch mit dem neuen Jahr und 88 Tage vor dem geplanten Austrittstermin liegen sich die politischen Kontrahenten Grossbritanniens wieder in den Haaren – ein Wetterleuchten vor dem neuerlichen parlamentarischen Schlagabtausch, der Mitte des Monats in der Abstimmung über den Austrittsvertrag und die zugehörige politische Erklärung gipfeln soll.
Theresa May vergass in ihrer Neujahrsansprache sogar, den Untertanen Ihrer Majestät ein frohes 2019 zu wünschen. Eindringlich wirbt die konservative Premierministerin stattdessen für ihren „guten Deal“: Wenn das Parlament nur endlich dem mit Brüssel vereinbarten Paket zustimme, könne das Land „einen wichtigen Schritt vorankommen“. Wie seit Monaten beschwört sie gebetsmühlenartig die Einheit des Landes: Diese gelte es nach dem spaltenden Referendum von 2016 wiederherzustellen. Schliesslich stelle der Brexit nicht das einzige Thema von Belang dar. „Ich weiss, dass wir erfolgreich sein können“, sagt die 62-Jährige am Ende, sieht aber nicht so aus, als ob sie ihrer eigenen Rhetorik glauben mag.
Bisher spricht alles dafür, dass das Unterhaus dem Brexit-Paket eine Absage erteilen wird. Weil dies das bereits in Aussicht gestellte Ende ihrer Amtszeit erheblich näher bringen könnte, müssen sich Berlin und Paris diese Woche auf einen Bettelanruf aus London gefasst machen. Den vielen Kritikern, nicht zuletzt in der eigenen Fraktion, hat May nämlich greifbare Zugeständnisse zugesagt. Stets geht es dabei vor allem um die innerirische Grenze: Um diese auch in Zukunft so offen wie möglich zu halten, müsste Nordirland nach der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020 einen Sonderstatus erhalten, was nicht zuletzt die nordirischen Unionisten vehement ablehnen.
Mays Brexit-Politik sei „ein komplettes Schlamassel“, betont LabourOppositionsführer Jeremy Corbyn in seiner Ansprache, die fröhlich mit guten Wünschen für 2019 beginnt. Anschliessend aber verbringt der Sozialist anderthalb Minuten damit, die Auswirkungen „schädlicher Tory-Politik“zu beklagen. Jedoch bleibt er die Antwort auf die Frage schuldig, wie es mit dem Brexit weitergehen soll. Der eingefleischte EUSkeptiker hat zuletzt mehrfach betont, man müsse das knappe Ergebnis von 2016 respektieren. Damit stösst Corbyn auf Widerstand bei den eigenen, meist EU-freundlichen Parteiaktivisten. Die dürften mehrheitlich Gefallen finden an einer Geste, mit der Londons Bürgermeister Sadiq Khan zum Jahreswechsel aufwartete. Beim Feuerwerk in der Hauptstadt war das Riesenrad London Eye in EU-Blau getaucht, die gelb angestrahlten Gondeln imitierten die Sterne auf der Europaflagge. „Wir schicken eine Nachricht um den Globus“, teilte der Labour-Politiker dazu mit – die rund eine Million EU-Bürger gehörten zu London und seien „hier immer willkommen“.