Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Tonträger ohne Ton
Der moderne Mensch, so weiß es die Wissenschaft spätestens seit Erfindung des Weckers, kommt nicht mehr zur Ruhe. Allüberall verfolgt ihn das unbarmherzige Ticken, Dudeln und Klingeln der modernen Welt. Kaum kommen wir irgendwo an, wollen wir auch schon wieder weg. Ist es gerade heute, denken wir über gestern nach. Und wenn wir genug über gestern nachgedacht haben, zerbrechen wir uns den Kopf über morgen. Dabei ist das Einzige, worüber wir wirklich und wahrhaftig verfügen, jene winzige Lücke in der Unendlichkeit der Zeit, die Vergangenheit und Zukunft trennt.
Wen wundert es da, dass Schlafstörungen und nervöse Zustände um sich greifen. Natürlich hat die galoppierende Konsumgesellschaft auch für solche Probleme, die es ohne sie gar nicht gebe, eine fabelhafte Lösung: Es hat sich flugs eine Art Hochleistungsberuhigungsindustrie gebildet, die mit maximalem Druck an der Entspannung des Menschen arbeitet. Zum Beispiel gibt es Walfischlaute auf CD, die einen angespannten Geist angeblich ohne Umwege ins Reich der totalen Entspanntheit befördern.
Und weil wir immer weniger Zeit haben, einmal das Fenster zu öffnen, wenn es regnet, um den Tropfen beim Tröpfeln zu lauschen, gibt es Geräuschtonträger mit tausenderlei Wetterlagen. Damit wir wetterunabhängig Fenster und Türen gleich ganz geschlossen halten können. Der letzte Schrei in Sachen Beruhigungsschallplatte aber ist: Stille. Ein akustischer Hauch von nichts. In Zeiten wie diesen hat der Tonträger ohne Ton bestimmt das Potenzial für die Hitparaden. (nyf)
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