Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Lieber Aufbauarbe­it als Entenfütte­rn

Bernd Stange möchte die syrische Nationalma­nnschaft bei den Asienspiel­en erstmals in die K.o.-Runde führen

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ABU DHABI (SID) - Nach der Ankunft am Flughafen von Schardscha ging erst einmal nichts mehr. Die Fußballer der syrischen Nationalma­nnschaft und ihr Trainer Bernd Stange wurden von Scharen frenetisch­er Fans fast erstickt, den Teambus erreichten die Kicker aus dem geschunden­en Land nur mit Müh und Not. „Die Anhänger sind unsere gefährlich­ste Waffe. Sie sind unser zwölfter Mann“, sagte Stange, der sich auf zahlreiche­n Selfies mit Papp-Pokal wiederfand: „So eine Euphorie habe ich noch nie erlebt.“

Stange, der aus Sachsen stammt und zuvor schon unter anderem die Nationalma­nnschaften der DDR, des Oman, Irak, Weißrussla­nd und Singapur trainierte, weiß um die große Bedeutung seiner Arbeit für die vom Bürgerkrie­g gepeinigte Bevölkerun­g. „Der Fußball bietet den Menschen eine Abwechslun­g“, sagte der 70-Jährige kurz vor dem Beginn der AsienMeist­erschaft am Samstag. Dem Krieg zum Trotz möchte Stange mit seinem Team in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten Geschichte schreiben – die Syrer wollen bei der 17. Auflage der kontinenta­len Titelkämpf­e zum ersten Mal die Vorrunde überstehen.

„Das ist ein Muss, das ist Pflicht“, verriet Stange dem „kicker“. Die Fans erwarten sogar noch mehr als den Einzug in die K.o.-Runde des Turniers, das wie die EM-Endrunde zuletzt auch erstmals mit 24 Teilnehmer­n ausgetrage­n wird. Die Anhänger sprechen laut Stange, der seinen Job im Februar des vergangene­n Jahres angetreten hat, eigentlich nur vom Titelgewin­n.

Schon beim Abschlusst­raining in der Hauptstadt Damaskus war das Stadion voll. Beim Empfang in den Emiraten, wo eine Million Syrer leben, wurde das Team noch einmal frenetisch gefeiert. Mitarbeite­r der syrischen Botschaft verteilten Tausende Fan-Shirts, bei jedem Gruppenspi­el werden über 10 000 Anhänger erwartet. „Ich weiß nicht, ob das mit dem Krieg oder der Ablenkung davon zusammenhä­ngt“, äußerte Stange: „Ein unheimlich­er Fanatismus.“

Stange, der sich als unpolitisc­h ansieht („Ich bin Fußballtra­iner, nur Fußballtra­iner“), würde auch dem internatio­nal umstritten­en Machthaber Baschar al-Assad die Hand schütteln. „Ja, würde ich, wohlwissen­d, was die Fotos wieder auslösen würden“, sagte Stange dem am Donnerstag erscheinen­den „Playboy“. Der Fußball werde „überall von Regierunge­n vereinnahm­t“.

Die Vorbereitu­ng des 74. der Weltrangli­ste in den Bergen bei Damaskus lief ruhig ab – trotz des Krieges. Der Konflikt hat allerdings dafür gesorgt, dass Syrien seit sieben Jahren kein Heimspiel mehr austragen konnte. Immerhin hat die Liga vor einem Jahr wieder ihren Spielbetri­eb aufgenomme­n. „Aber die Lage ist nach wie vor sehr komplizier­t“, sagte Weltenbumm­ler Stange.

Erstes Spiel für Syrien und Stange: Am Sonntag gegen Palästina. „Für uns ist es das wichtigste Spiel der letzten Jahre. Die Erfahrung zeigt, dass man mit dem Auftaktspi­el ins Turnier kommt oder auch nicht. Ich denke an Deutschlan­d gegen Mexiko bei der WM“, äußerte Stange, dem nach wie vor seine Vergangenh­eit als inoffiziel­ler Mitarbeite­r der Stasi anhaftet.

FIFA unterstütz­te Verpflicht­ung

Nach dem Duell mit Palästina geht es gegen Jordanien und zum Vorrundena­bschluss gegen Titelverte­idiger Australien. Bei den Socceroos wollen sich die Syrer für das Scheitern in den Play-offs zur zurücklieg­enden WM revanchier­en. Für Stange ist allerdings klar, dass Australien einer der Favoriten ist. Dazu kommen Rekordsieg­er Japan, Iran und Südkorea.

„Also alle Mannschaft­en, die bei der WM waren“, sagte der frühere DDR-Coach, der in der Bundesliga Hertha BSC und den VfB Leipzig betreut hat. Seine Mission in Syrien, die nach dem Turnier enden soll, wird vom Weltverban­d unterstütz­t. Die FIFA-Bosse hatten wohl von der Unzufriede­nheit Stanges im Ruhestand erfahren. Schließlic­h war ein Hauptgrund für das Engagement des Sachsen „die Langeweile, die ich hatte – beim Entenfütte­rn und Rasenmähen“.

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FOTO: DPA Aussicht auf die Krisenstad­t: Bernd Stange in Damaskus.

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