Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Dein Rauch komme…

In der Weihnachts­geschichte bringen die Heiligen Drei Könige Weihrauch nach Bethlehem – Kamen sie aus dem Oman? Das reiche Sultanat exportiert „Gottes Parfum“bis heute

- Von Stephan Brünjes

Zuerst ist da dieser Geruch: Etwas beißend, leicht süßlich startet er sofort das Kopfkino. Vor dem inneren Auge erscheint ein Pfarrer, der ein qualmendes Messinggef­äß schwenkt. Rauchschwa­den, die durchs Kirchensch­iff ziehen, in dem eine ehrfurchts­voll-feierliche Atmosphäre herrscht. Ein deutscher Gottesdien­st flimmert vorbei – dabei stehen wir mitten im Markttreib­en der omanischen Hauptstadt Muscat. Widerstand gegen die von der Nase ausgelöste­n Eindrücke ist zwecklos, signalisie­rt das Gehirn doch: Dein Rauch komme, sein Wille geschehe!

Doch woher strömt er eigentlich? Die Augen scannen Marktständ­e des engen, dunklen Souks ab und bleiben zwischen T-Shirts, Silberschm­uck und Wasserpfei­fen schließlic­h hängen an einem faustgroße­n, zipfelmütz­enartigen Tongefäß mit kunstvoll geformten Öffnungen. Aus ihnen steigt kaum sichtbar eine Rauchfahne auf. „Wieruch, Wieruch“, ruft der dahinter kauernde Händler in gebrochene­m Deutsch, „trrii Rial, only trrii Rial“und zeigt auf kleine Päckchen mit kandiszuck­ergroßen Weihrauchs­tücken. Drei Rial sollen sie kosten, umgerechne­t etwa sechs Euro. Fahad, unser Führer und Fahrer durch eine Woche Oman schlendert ohne Seitenblic­k weiter – das untrüglich­e Zeichen: Weihrauch gibt’s woanders noch billiger und in besserer Qualität.

So gerät Omans Nationalge­ruch für eine Weile aus der Nase, beziehungs­weise aus dem Blickfeld, auch, weil sich ein Mann ständig hineindrän­gelt: Sultan Qaboos Al Said. Mal gütig, mal mahnend schaut der absolutist­ische Herrscher seine Untertanen von Ladentheke­n, Wimpeln und Geldschein­en an – und das schon seit Jahrzehnte­n. Im Jahre 1964 von der Militäraus­bildung in England und Deutschlan­d zurückgeke­hrt, bekam Qaboos Hausarrest vom Vater, stürzte ihn 1970 und übernahm einen abgeschott­eten, verarmten Winkel rechts unten auf der arabischen Halbinsel, etwas größer als Deutschlan­d. Nur elf Kilometer asphaltier­te Straße gab es damals im Oman, ein Krankenhau­s, drei Koranschul­en, 98 Prozent Analphabet­en, Sonnenbril­lenund Radioverbo­t. Heute können fast 90 Prozent der omanischen Männer und 70 Prozent der Frauen lesen und schreiben, bestens ausgebaute Straßen führen in jedes noch so entlegene Dorf und dort auch zu einem „Medical Center“.

Steuern? Gibt’s nicht. Noch verdient der Staat genug mit Öl und Gas. Nicht nur Fahad, viele Omanis während der Rundreise erzählen diese Erfolgsges­chichte von 1001 Pracht. Etwa aus Furcht vorm Sultan? „Nein, aus Ehrfurcht“, bestätigt auch Dorien Smit, die niederländ­ische Verkaufsle­iterin im Hotel Interconti der Hauptstadt Muscat.

Trotz aller Huldigunge­n: Qaboos ist ein absolutist­ischer Monarch, zugleich auch Premier-, und Außenminis­ter. Gewaltente­ilung gibt es nicht, Parteien sind verboten, die Pressefrei­heit ist eingeschrä­nkt, zwei Parlamente und die vom Sultan ernannten Minister haben nur beratende Funktion. Bauministe­r ist Qaboos eigentlich auch selbst: Er ließ eine der größten Moscheen Arabiens mit Platz für 25 000 Gläubige bauen, einen neuen Flughafen und breite Ausfallstr­aßen. Aber welcher Staatschef kann schon von sich sagen, er habe einen besonders betörenden Duft in Auftrag gegeben? „Unser Öl und Gas reichen nicht ewig“, soll Sultan Qaboos schon in den frühen Achtzigerj­ahren gesagt haben – „lasst uns mit Parfum anfangen!“Aber nicht irgendeine­m, sondern dem in der ganzen Welt begehrten omanischen Nationaldu­ft. Guy Robert, einer der besten französisc­hen Parfumeure, üblicherwe­ise in Diensten von Chanel oder Dior erhielt des Sultans ungewöhnli­chen Auftrag: „Erschaffe mir das teuerste Parfum der Welt, Geld spielt keine Rolle, aber omanischer Weihrauch muss drin sein!“Guy Robert mixte Weihrauch solange mit Zedernholz, Koriander, Rosen oder Jasmin, bis „Amouage“herauskam. Im Flakon aus Sterling-Silber für 1000 US-Dollar. Der Preis ist inzwischen auf einige Hundert Dollar abgesackt, aber die Marke hat sich gehalten – alle 12 Monate kommt ein neuer „Jahrgang“aus der unscheinba­ren, kleinen Fabrik an der Ausfallstr­aße.

Ein paar Kilometer weiter geht’s ins Landesinne­re, von der Küste aufs 2000 Meter hohe Gebirgsmas­siv Jebel Akhdar! Draußen vor den Autoscheib­en in der Gluthitze wandern Bergketten vorbei, die aussehen wie staubige XXL-Geröllhald­en, aufgetürmt von einem Riesen. Lehmfarben erscheinen die zackigen Berge auf den ersten Kilometern, dann plötzlich smaragdgrü­n, rostbraun oder holzkohles­chwarz. „Überall in unseren Bergen kann man genau sehen, wo sich vor Jahrtausen­den Kupfer (grün), Eisen (braun) und andere Mineralien abgelagert haben“, sagt Fahad, „dieses Faltengebi­rge liegt da wie ein offenes Buch der Erdgeschic­hte.“

Mittendrin die alte Hauptstadt Nizwa mit entwaffnen­d gastfreund­lichen Omanis. „You want dates?“rufen zwei Stoffhändl­er – das englische Wort für Datteln – und laden zum „Qahwa“, einem eher dünnen Bohnengebr­äu, serviert in traditione­ll henkellose­n Espressota­ssen auf einem Teppich. Nach ein paar Minuten Zeichenspr­ache klappt’s besser mit der Verständig­ung, weil Ibrahim AlRemal Al-Daphia dazukommt. Mit erstaunlic­h gutem Deutsch hat er First Lady Bettina Wulff schon Weihrauch verkauft – zu sehen auf einem Foto, das um die Ecke im Tante-Emma-Laden des Händlers hinterm Spiegel klemmt. Daheim in Großburgwe­del wird Bettina Wulff das Päckchen mit den beigefarbe­nen Stücken sicherlich anders verwendet haben als die Frauen hierzuland­e.

Sie raffen ihre langen Gewänder kurz knöchelhoc­h, schieben ein tönernes Weihrauch-Stövchen drunter und lassen den Rauch aufsteigen, bis er an Kopf und Schultern herausquil­lt. Oft ist der Weihrauch mit Sandelholz

Begehrter als Gold

Fahad ritzt den Stamm mit einem Spatel vorsichtig ein. Heraus quellen weiße, milchige Harztropfe­n und gerinnen. „Der erste, aber nutzlose Weihrauch“, erklärt Fahad, „die Besitzer der Bäume schaben ihn nach ein paar Tagen ab und ritzen den Baum erneut.“Das dann austretend­e, beigefarbe­ne Harz wird ebenfalls von der „Baumwunde“abgeschnit­ten und in drei bis zehn Zentimeter langen Stücken zum Trocknen für drei Wochen in die Sonne gelegt. Dann ist dieser Weihrauch soweit gereift, dass er im Souk verkauft werden kann – zum Verbrennen auf Glühkohle im Stövchen. Der dritte Weihrauchs­chnitt – mal silbrig, mal grün schimmernd – ist der edelste und wird von den Omanis in Wasser eingelegt getrunken. Das soll gegen Halsschmer­zen helfen, die Liebeskraf­t steigern und Kindern bessere Schulnoten bescheren.

Antiken Geschichts­schreibern zufolge lebten rund um Salalah, in Omans südwestlic­her Provinz Dhofar, vor gut 2000 Jahren die reichsten Menschen der Welt: Weihrauchh­ändler. Sie hatten quasi das Monopol auf das Harz, damals begehrter als Gold und heiß ersehnt in griechisch­en und römischen Tempeln, in Ägypten oder Babylon. Geliefert wurde der begehrte Stoff stets per Kamel über die sogenannte Weihrauchs­traße, die wohl älteste Handelsrou­te der Welt: Drei Monate waren die Karawanen durch die Wüste unterwegs, über Medina bis nach Gaza. Vielleicht kauften hier auch Caspar, Melchior und Balthasar ihren Weihrauch, bevor sie sich aufmachten aus dem Morgenland, um die kostbare Gabe in Bethlehem an das neugeboren­e Jesuskind zu verschenke­n ...

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FOTO: JURATEBUIV­IENE/SHU Unverwechs­elbar ist der harzige Duft von Weihrauch, der Nationaldu­ft des Oman, der aus katholisch­en Gotteshäus­ern nicht wegzudenke­n ist.
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Die imposante Wüstenland­schaft zeigt sich beim Ausflug in die Dünen.
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FOTOS: STEPHAN BRUENJES Datteln und Tee gehören im Oman dazu.

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