Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Und ewig bläst der Gegenwind
Wer Winterurlaub auf der Nordseeinsel Hallig Hooge macht, trifft nur selten auf Gleichgesinnte
Sehnsucht nach Entschleunigung
Im Sommer wird Hallig Hooge von Touristen überspült, die bei Tagesausflügen für ein paar Stunden über die Hallig laufen, den Film im Sturmflutkino gucken, ein Krabbenbrot essen und dann wieder zum Hafen hetzen. „Aber im Winter ist es ruhig“, sagt Karen Tiemann, die zusammen mit ihrem Mann in einem Reetdachhaus von 1750 auf der Backenswarft wohnt. „Da kann man mal rausgehen an den Deich oder zum Kaffeetrinken zu den Nachbarn.“Im Sommer hat die gebürtige Hoogerin dafür wenig Zeit. „In meiner Kindheit gab es im Winter keine Gäste, nur zu den Feiertagen. Die Saison ging bis Ende September.“Das hat sich inzwischen geändert. Aber auch heute sind im Winter nur die wenigsten Ferienwohnungen vermietet. Es gibt Tage, da hat nicht ein einziges Restaurant geöffnet – nicht mal Karen Tiemanns Café Zum Blauen Pesel.
Am Sonntagmorgen in der schönen, kleinen Halligkirche aus dem 17. Jahrhundert ist die Zahl der Gottesdienstbesucher Im Winter liegt eine einzigartige Stimmung über Hallig Hooge und ihren Nachbarinseln.
überschaubar. Man hört den Wind draußen pfeifen. Unter der niedrigen Holzdecke hängt ein Schiffsmodell. Einen eigenen Pastor hat Hallig Hooge derzeit nicht, die Stelle soll 2019 wieder besetzt werden. Den Gottesdienst hält noch einmal Matthias Petersen, Pastor im Ruhestand, der dafür aus Kiel angereist ist. Im vergangenen Winter hat er vier Monate lang hier gelebt. „Die Hallig ist ein besonderer Ort“, sagt Petersen. „Und der Winter hier ist wunderschön. Ich merke dann so etwas wie Entschleunigung, der Takt ist langsamer.“Petersen kann dem viel abgewinnen: „Hallig Hooge ist die Sehnsucht nach dem anderen Leben, die bei mir aber nicht so weit geht, dass ich ganz hierherziehen würde“, sagt er.
Die Hallig ist klein, die Wege von Warft zu Warft sind kurz. Aber was
viele Besucher hier empfinden, ist das genaue Gegenteil: ein Gefühl von Weite und Unendlichkeit. Das liegt vor allem an der Nordsee, die die Hallig umgibt und sie regelmäßig überspült. Im Schnitt fünfmal im Jahr passiert das, meistens im Winter. Dann steht das Wasser überall, nur die Häuser auf den zehn Warften bleiben trocken – wenn alles gut
geht. Dann pfeift der Orkan um die Hausecken, rüttelt an den Fenstern und Dachpfannen. „Es gibt Gäste, die kommen extra im Winter, um mal Landunter zu erleben“, sagt Bürgermeisterin Katja Just.
Dass es nicht viel häufiger zu Überflutungen kommt, liegt an dem Deich, der einmal um Hallig Hooge herumführt. Er ist elf Kilometer lang – in drei Stunden lässt sich die Hallig umrunden, bei kräftigem Wind in vier. Und Wind gibt es hier oft und viel – und gefühlt immer von vorn. Bei kräftigem Frost frieren die Priele zu. Dann können Halligbewohner und Besucher übers Eis schlittern oder sogar Schlittschuh laufen. Manchmal gibt es auch richtig viel Schnee. Und bei Dauerfrost treiben zwischen den Halligen Eisschollen in der Nordsee. Deren Wasser ist im Winter oft schlammgrau. Und der Himmel sieht manchmal nicht viel anders aus.
Bei Ebbe kann man auch im Winter ins Watt laufen. Die Mitarbeiter der Schutzstation Wattenmeer bieten neben Vorträgen auch Führungen an, selbst bei Minustemperaturen. Jasin Olschowka, der dort seinen Bundesfreiwilligendienst macht, wartet schon am Deich nicht weit von der Ockelützwarft, auf der Kindergarten und Schule der Hallig ihren Platz haben. Der Wind bläst kräftig, auf dem Wattboden steht hier und da noch Wasser. Vor dem Deich liegt jede Menge Seegras, das im Winter abstirbt und nun angespült wurde. Das Watt ist auch bei Kälte voller Leben. Zugvögel wie die Knutts sind allerdings längst im Süden, Ringel- und Graugänse nur wenige zu sehen, hier und da ein Austernfischer. Wattschnecken lassen sich problemlos auch bei Kälte finden, genau wie Herzmuscheln. Jasin gräbt auch Ringel- und Wattwürmer aus und zeigt auf die Nordseegarnelen, die durch die Pfützen flitzen.
Kein Mensch weit und breit
Es ist schon wieder später Nachmittag. Auf dem Priel vor der Kirchwarft schwimmt einsam eine Stockente. Die Wasseroberfläche kräuselt sich leicht. Am Horizont sind die Häuser der Hanswarft zu sehen – aber kein Mensch weit und breit. Die Sonne geht unter, die Wolken stehen still. Man kann dabei zugucken, wie es dunkel wird.