Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Lindner liebäugelt mit der Macht
FDP-Chef erklärt sich bei Dreikönigstreffen zu baldiger Regierungsbeteiligung bereit
STUTTGART - Beim Dreikönigstreffen der Liberalen in der Stuttgarter Oper hat FDP-Chef Christian Lindner Lust auf eine Regierungsbeteiligung im Bund bekundet – auch vor dem Ende der Legislaturperiode. „Wer uns ein faires Angebot zur Erneuerung des Landes macht, kann zu jeder Zeit damit rechnen, dass wir bereit sind, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen“, sagte Lindner in seiner Rede. Die Ära Merkel gehe zu Ende, den CDU-Vorsitz habe die Kanzlerin bereits abgegeben. Aber: „Noch ist sie Regierungschefin.“Das solle sich nach Lindners Wunsch jedoch schnell ändern. Das politische Berlin sei in einer Zwischenzeit gefangen. „Deutschland braucht einen neuen Aufbruch und keine Zwischenphase, in der nichts mehr entschieden und gestaltet wird“, sagte er am Sonntag.
Vor einem Jahr hatte Lindner das Dreikönigstreffen dazu genutzt, sich nach dem Jamaika-Aus zu erklären. Er hatte Ende November 2017 die Sondierungen mit CDU, CSU und den Grünen mit dem Satz beendet: „Lieber nicht regieren als falsch regieren.“ Nach viel Kritik an der geplatzten Koalition setzte Lindner mit seiner Rede vor einem Jahr zum Befreiungsschlag an. Diesmal richtete der Parteichef der Liberalen den Blick in seiner einstündigen, frei gehaltenen Rede nach vorne. Er wiederholte die Forderung nach einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2020. Während der Sondierungen habe sich die CDU hinter Zahlen vesteckt, nun diene ihr die SPD als Begründung, warum der Soli doch nicht ganz abgeschafft werde.
Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sei keine „Mini-Merkel“– überhaupt sei dies eine Macho-Aussage, die man über Männer nie hören würde, kritisierte Lindner. Kramp-Karrenbauer habe sich in der Vergangenheit profiliert – mit Rufen nach Steuererhöhungen und mit einem „reaktionären“Gesellschaftsbild, so Lindner. Denn sie habe die „Ehe für alle“in einem Satz mit Inzest und Polygamie genannt.
Kämpferisch blickten die Redner beim Königstreffen auf die Wahlen in diesem Jahr, besonders auf die Europawahl. Vor allem Südwest-Liberale geißelten zudem die grün-schwarze Landesregierung.
STUTTGART - Nein zu Fahrverboten, runter mit den Steuern, Ja zur Regierungsbeteiligung: In der Stuttgarter Oper startet die FDP am Sonntag beim traditionellen Dreikönigstreffen ins politische Jahr. Parteichef Christian Lindner streichelt in seiner einstündigen Rede nicht nur die liberale Seele, er bringt auch einige Neuigkeiten aufs Tablett – unter anderem ein lebenslanges BAföG. Und auch die Choreografie ist eine andere.
In einem Opernhaus gilt allgemein: Ob eine Inszenierung Erfolg haben wird, hängt nicht nur von der Stimme der Sopranistin ab. Vieles spielt eine Rolle – unter anderem das Bühnenbild. Christian Lindner und die Regisseure des Dreikönigstreffens mögen sich das zu Herzen genommen haben. Punkt 11 Uhr betreten am Sonntag nicht nur die vier Redner des Tages die Bühne der Stuttgarter Oper, sondern ein gutes Dutzend weiterer FDP-Akteure: von der Bürgermeisterin aus Sachsen, über das 18-jährige Neumitglied bis hin zur Bremer Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Lenke Steiner. Soll zeigen: Die FDP ist weit mehr als eine One-Man-Show. Genau das wird Christian Lindner immer wieder vorgeworfen. Im vergangenen Jahr hatte er an selber Stelle eine Liste verdienter Liberaler verlesen – diesmal schart er sie auf der Bühne um sich.
Solidaritätszuschlag soll weg
Lindner wirbt für eine „Agenda für die Fleißigen“. So müsse noch dieses Jahr der Solidaritätszuschlag für alle Bürger abgeschafft werden, fordert er. Vor einem Jahr hatte er beim Dreikönigstreffen angekündigt, gegen den Soli zu klagen, falls er über 2019 hinaus bestehen bleibe. Er plädiert an SPD-Finanzminister Olaf Scholz, die Steuern jetzt zu senken, um damit Investitionen zu fördern und eine Rezession abzuwenden. Deutliche Worte findet er zum Garantieeinkommen, das Grünen-Parteichef Robert Habeck vorgeschlagen hat. Da dafür 30 Milliarden Euro an Steuern zusätzlich nötig werden würden, spricht Lindner von einem Verarmungsprogramm“und einem „Programm zur Strangulierung privater Investitionen“.
Dennoch zeigt er sich offen dafür, in neue Jamaika-Gespräche einzutreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe den CDU-Vorsitz schon abgegeben, jetzt sollte schnell auch der Regierungssitz folgen, so Lindner. Die Grünen seien außer der FDP die einzige Europapartei – mit dem Unterschied, dass die Grünen eine „Gleichmacherei“anstrebten.
Neue Impulse setzt Lindner mit seiner „Agenda für Selbstbestimmung und Liberalität“. Er fordert, dass Frauen mit Kinderwunsch auch über den 40. Geburtstag hinaus Leistungen bezahlt bekommen; dass in Deutschland – wie es in Frankreich möglich ist – Menschen eine zivile Verantwortungsgemeinschaft eingehen können; dass der Staat allen lebenslang BAföG gewährt, die eine berufliche Auszeit zur Weiterbildung nutzen.
Rülke greift Strobl an
Lindner unterstellt Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), zur Sicherung eigener Pfründe in der Bildungspolitik die Grundgesetzänderung zum Digitalpakt zu verhindern. Zuvor hatte das auch FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke angeprangert. Rülke wirft Innen- und Digitalisierungsminister Thomas Strobl (CDU) „totales Versagen bei der Digitalisierung“vor und plädiert für einen flächendeckenden Aufbau des Mobilfunkstandards 5G sowie Glasfaseranschlüsse
im ganzen Land. „Wir brauchen ein eigenes Digitalisierungsministerium mit entsprechenden Zugriffsmöglichkeiten“, so Rülke.
Am schärfsten aber kritisieren er und FDP-Landeschef Michael Theurer die Verkehrspolitik der Landesregierung. „Gibt es etwas Unsozialeres als diese Fahrverbotspolitik“, fragt Rülke. Theurer spricht gar von einem „Anschlag auf die Menschen in Baden-Württemberg“. Rülke bringt ein zweijähriges Fahrverbotsmoratorium ins Spiel. In dieser Zeit, so zeigten es Prognosen, würde sich die Luft in den Städten durch eine Flottenerneuerung deutlich verbessern.