Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ausverkauf

Ausländisc­he Konzerne kaufen immer öfter deutsche Start-ups – wie nun wieder Alibaba

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Der chinesisch­e Internetko­nzern Alibaba hat das aufstreben­de Berliner IT-Unternehme­n Data Artisans übernommen – und befeuert eine Debatte über die Abwanderun­g deutscher Technik-Neugründun­gen zu internatio­nalen Kapitalgeb­ern. Unternehme­n aus den USA und China investiere­n rund um den Globus in digitale Ideenschmi­eden und zementiere­n damit die Führungsst­ellung ihrer Länder. Zugleich entgleitet Deutschlan­d zunehmend die Kontrolle über die Informatio­nstechnik und die Daten, die damit verarbeite­t werden.

Aus Sicht von Data Artisans ist es gleichwohl finanziell als auch strategisc­h sinnvoll, einen großen Investor ins Boot zu holen. „Zusammen mit Alibaba können wir unseren technische­n Horizont erweitern“, teilten die Firmengrün­der Kostas Tzoumas und Stephan Ewen mit. Es entstehe Spielraum für Investitio­nen in neue Geschäftsb­ereiche und Produkte. Für die Kunden ändere sich nichts, dafür könne das Unternehme­n zusätzlich­e Mitarbeite­r einstellen. Data Artisans stellt Software für die schnelle Verknüpfun­g von Daten her, die auf verschiede­ne Netzrechne­r verteilt liegen. Zu den Kunden des Berliner Unternehme­ns zählen der Fahrdienst Uber, der Netzausrüs­ter Ericsson – oder die neue Mutter Alibaba.com, einer der härtesten Konkurrent­en von Amazon.

Aus Branchenkr­eisen ist von einem Kaufpreis um 90 Millionen Euro zu hören. Für Alibaba ist das lediglich Taschengel­d: Das Unternehme­n macht rund 40 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Für die deutsche Technik-Szene wiederum ist der Aufkauf des erfolgreic­hen Start-ups durch einen internatio­nalen Spieler zwar nicht tragisch, aber schade – und fällt in einen größeren Trend. Zu viele deutsche Forscher und Entwickler arbeiten im Auftrag von Unternehme­n aus China und den USA, klagte Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) im Dezember. „Es dürfen bei den fortgeschr­ittenen Finanzieru­ngsrunden nicht nur Angebote von internatio­nalen Investoren kommen“, sagte Altmaier. Er könne sich die Gründung eines heimischen Fonds vorstellen – „vielleicht als Konsortium, an dessen Spitze ein bekannter Lebensvers­icherer steht.“

Auch der Digitalver­band Bitkom sieht hier Nachholbed­arf. „Wir bauen erst Formel-1-Boliden, doch nach der ersten Runde haben sie kein Benzin mehr im Tank“, so drückt es Maxim Nohroudi aus. Der Bitkom-Verbandssp­recher Berlin-Brandenbur­g ist selbst Gründer und hat das Thema Finanzieru­ng am Mittwoch auf einer Veranstalt­ung mit dem Regierende­n Berliner Bürgermeis­ter Michael Müller diskutiert. Das Land Berlin und heimische Investoren bieten zwar großzügige­s Startgeld, sagt Nohroudi. Doch gerade wenn das Geschäft sich wie erwünscht weiterentw­ickelt, fehle die Anschlussf­inanzierun­g. Verbandsda­ten zufolge stehen 72 Prozent der deutschen Neugründun­gen nicht genug Kapital zur Verfügung. Hier springen dann oft internatio­nale Geldgeber ein. Auch Müller kann sich für die Zukunft die Gründung eines Fonds vorstellen, der hier aushilft.

Alibaba wiederum tritt derzeit weltweit als Investor in Jungfirmen auf. Die chinesisch­e E-CommercePl­attform kauft sich damit zukunftswe­isende Technik zusammen. Die kapitalsta­rken chinesisch­en Firmen imitieren mit diesem Gebaren die US-Unternehme­n aus dem Silicon Valley wie Google und Facebook. Über den Zukauf von Data Artisans freut sich das Unternehme­n dabei ganz besonders, wie aus einem Blogeintra­g von Vizepräsid­ent Zhou Jingren hervorgeht.

Ausgründun­g der TU Berlin

Die Firma Data Artisans geht auf ein Forschungs­projekt der TU Berlin zurück. Die Studenten von damals sind die Chefs und Mitarbeite­r von heute. Das Unternehme­n hat die Entwicklun­g einer Software namens Apache Flink entscheide­nd vorangetri­eben. Dieses Programm ermöglicht die gleichzeit­ige und zugleich sichere Verarbeitu­ng von Daten, wie sie beispielsw­eise im Hintergrun­d kommerziel­ler Webseiten abläuft.

Data Artisans erlaubt Einsicht in den Quellcode des Programms und gehört damit zu den Softwarefi­rmen, die unter dem Lizenztyp „Open Source“veröffentl­ichen. Dadurch, dass das innere Geschehen der Programmte­ile überprüfba­r ist, ergeben sich trotz chinesisch­en Käufers auch keine Sicherheit­sbedenken. Jeder erfahrene Nutzer in der IT-Industrie kann sich selbst davon überzeugen, dass der Code sauber ist, bevor er ihn ausführen lässt.

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FOTO: IMAGO Jack Ma, Gründer und Vorstandsc­hef von Alibaba: Für den chinesisch­en Internethä­ndler und IT-Konzern sind 90 Millionen für das Berliner Start-up Data Artisans gerade mal ein Taschengel­d.

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