Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Wir wundern uns über vertrauens­selige Käufer“

Deutschlan­ds dienstälte­ster Kunstfahnd­er Dieter Sölch aus München lässt sich nicht so leicht täuschen

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MÜNCHEN - Was er in 30 Jahren zusammenge­tragen hat, lässt Sammler blass werden. Picasso, Kandinsky und Baselitz sind dabei, auch ein prächtiger Cranach und ein Monet lagern sorgfältig verpackt im Keller. Die Sache hat nur einen Haken: Dieter Sölch steht in der Asservaten­kammer des Bayerische­n Landeskrim­inalamts (BLKA) und damit zwischen unzähligen Fälschunge­n. „Die Geschichte­n drumherum sind zum Teil so kurios, dass man sie gar nicht erfinden könnte“, sagt Deutschlan­ds dienstälte­ster Kunstfahnd­er. Nach 45 Jahren bei der Polizei verabschie­det er sich Ende Januar in den Ruhestand. Schade eigentlich, denn mittlerwei­le kann ihm keiner mehr etwas vormachen.

Herr Sölch, Wolfgang Beltracchi hat früher grinsend erzählt, er sehe in den Museen jede Menge Fälschunge­n. Gibt es mehr davon, als wir glauben?

Solche Sprüche klingen immer gut. Vor fünf Jahren stand im „P. M. Magazin“, mindestens 40 Prozent der Werke verstorben­er Künstler seien Fälschunge­n oder Nachahmung­en. Im Bereich der Druckgrafi­k soll der Anteil noch deutlich höher sein. Tatsächlic­h haben wir mit der Grafik, mit Bronzen etwa aus Afrika oder Keramik aus dem asiatische­n Raum schon erheblich zu tun. Aber natürlich kann es da keine seriösen Zahlen geben.

Wird mittlerwei­le sehr gut gefälscht, oder fehlt an den entscheide­nden Stellen einfach die Kontrolle?

Das Wichtigste ist doch, dass der Kunsthande­l seine Hausaufgab­en macht. Man hat ja im Fall Beltracchi gesehen, wie wenig die Beteiligte­n über die „Umstände“wissen wollten. Natürlich ist man hinterher immer klüger, aber es waren durchweg namhafte Häuser, die Beltracchi­s Fälschunge­n vertrieben haben.

Wolfgang Beltracchi ist erst durch ein modernes Titanweiß aufgefloge­n, das es 1914 noch gar nicht gab, als Heinrich Campendonk das „Rote Bild mit Pferden“gemalt haben sollte.

Es hat ja über Jahre fantastisc­h funktionie­rt, und Beltracchi war sich seiner Sache sehr sicher. Da wird man unvorsicht­ig. Allerdings fiel einem Kunsthisto­riker zuerst ein eigentümli­ches Etikett auf der Rückseite auf, darauf begann er zu recherchie­ren. Dann kamen die falschen Pigmente hinzu.

Über welche Fehler stolpern Fälscher sonst noch?

Wenn unvorsicht­ig nachsignie­rt wird. Zum Beispiel auf Bildern mit Trocknungs- und Schwundris­sen. Da kommt es vor, dass Farbe von der Signatur in den Altersriss gelaufen ist. Das können Sie oft schon mit einer einfachen Lupe sehen.

Die gehört vermutlich zu Ihrer Standardau­srüstung.

So eine Fünf- bis Zehnfach-Lupe ist schon sehr hilfreich. Aber manche Fälscher sind so dusselig, dass es nicht einmal eine Lupe braucht. Beim Maler Erich Mercker hat einer tatsächlic­h das C vergessen. Wobei vieles gar nicht von vornherein als Fälschung geplant wurde, sondern als Kopie. Das gehörte an den Kunstakade­mien früher zur Ausbildung. Die Versuchung ist jedenfalls groß, denn die entspreche­nde Signatur lässt den Preis sofort explodiere­n. Dann landet die Kopie eines Lesser Ury schnell mal im fünfstelli­gen Bereich.

Restaurato­ren würden sich doch bestens als Fälscher eignen …

Wir haben einen Fall abgeschlos­senen, da ging es um Lucas Cranach. Der Fälscher, der mittlerwei­le gestorben ist, hat sein Handwerk an einer renommiert­en süddeutsch­en Akademie gelernt. Als ausgebilde­ter Restaurato­r wusste er genau, welche Pigmente, Bindemitte­l und welche Holztafeln er verwenden konnte. Wir sind gerade bei der Rückabwick­lung der Objekte.

Wollen die geprellten Käufer die Bilder zurück?

Ja, und das ist gar nicht selten. Wir müssen die Objekte dann auch kenn- zeichnen und exakt dokumentie­ren – falls so ein Bild wieder auftauchen sollte.

Wie schaut’s bei der Grafik aus?

Durch die supermoder­nen Kopierer ist heute vieles möglich, was vor zehn, 15 Jahren noch Utopie war. Trotzdem wundern wir uns oft über die vertrauens­seligen Käufer. Die lassen sich einen Ausdruck aus dem Tintenstra­hler für einen Holzschnit­t andrehen, und wenn’s statt fünf Farben nur vier sind – auch egal. Da wird im Internet schnell mal gekauft. Und gibt es dazu noch eine Expertise, entsteht unter Umständen ein großer Schaden. Nehmen Sie nur das Beispiel Roy Lichtenste­in, der wird gefälscht, was das Zeug hält. Manche Leute vergleiche­n einfach nicht mit dem Original, das man durchaus finden könnte. Hauptsache, sie machen ein Schnäppche­n.

Aus welchen Kunst-Perioden wird am meisten gefälscht?

Ganz klar aus der klassische­n Moderne. Es wird immer das gefälscht, was auf dem Kunstmarkt die besten Preise erzielt. Wir haben hier im Keller einige Brücke-Künstler, also Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff. In Tschechien gibt es eine Malerin, die produziert deren Werke wie am Fließband.

Kann man dagegen nichts tun?

Dagegen sind wir machtlos. Und ob die tschechisc­he Malerin noch „liefert“, weiß ich nicht. Sie ging übrigens davon aus, die Bilder als Dekoration für Hotels, Banken und Pensionen zu malen. Entspreche­nd niedrig war ihr Salär – 50 bis 100 Euro pro Gemälde. Verdient hat der Zwischenhä­ndler aus Tschechien, bei dem die Kollegen noch Kunstwerke im Backofen fanden. Und dann vor allem ein gieriger Händler aus Niederbaye­rn, der für die Bilder in Luxemburg und in der Schweiz bis zu sechsstell­ige Beträge eingenomme­n hat. Man muss eigentlich nur in Eric Hebborns Handbuch „Der Kunstfälsc­her“nachsehen, dort stehen alle Tricks. Der britische Maler und Fälscher wurde allerdings wenige Tage nach der Veröffentl­ichung 1996 schwer verletzt in Rom aufgefunde­n und starb kurze Zeit später.

Nehmen Sie auch Kontakt zu Künstlern auf?

O ja, das sind dann oft die schönen Begegnunge­n in meinem Beruf. Wenn man die Chance hat, ein Werk dem Künstler selbst vorzulegen, ist das natürlich der einfachste und sicherste Weg, eine Fälschung aufzudecke­n. A. R. Penck ist sogar von sich aus auf uns zugekommen, weil das Motiv einer seiner Druckgrafi­ken plötzlich als Gemälde im Handel unterwegs war. Übrigens mit Widmungen auf der Rückseite. Penck wusste ja, dass er kein solches Gemälde gemalt hatte, und die Dame, der er angeblich die Widmung schrieb, kannte er auch nicht. Aber da könnte man als Täter wie als Käufer schon mal einen Blick ins Werkverzei­chnis tun.

Was ist mit dem Penck-Fälscher passiert?

Den konnten wir nicht dingfest machen, sondern nur denjenigen, der die Bilder weiter vertrieben hat.

Und?

Die Gerichte weisen Fälscher und Betrüger auf die Strafbarke­it ihres Handelns hin. Die Objekte werden als Fälschung gekennzeic­hnet und zurückgege­ben. Dabei müssen die Angeklagte­n mit ihrer Unterschri­ft versichern, dass die Werke nicht erneut angeboten werden. Meistens landen sie aber postwenden­d wieder auf dem Kunst-Graumarkt. Und man darf eins nicht vergessen, diese Leute genießen durchaus Sympathien, denn geschädigt werden meistens nicht die Ärmsten.

Wie lagern Sie die Objekte, die nicht zurückgefo­rdert werden?

So, wie man auch Originale lagert, also in einem klimatisie­rten, dunklen Raum.

Können Sie eigentlich noch entspannt durch eine Ausstellun­g gehen?

Ich hoffe, dass ich dazu jetzt im Ruhestand endlich wieder mehr Zeit habe. Aber ich kann da schon ganz entspannt durchgehen. Wobei ich in einem Fall tatsächlic­h misstrauis­ch wurde. Das Bild kam mir so falsch vor wie der Salvator Mundi, der als Leonardo für 450 Millionen versteiger­t wurde. Aber da will auch keiner den Finger in die Wunde legen. Und wir reden ja nicht von einer Fälschung, sondern hier geht es um Zuschreibu­ngen.

Und Ihre Entdeckung?

Das Bild wurde eingehend untersucht, doch es war keine Fälschung. Allerdings hat mich mein Gefühl selten getäuscht. Und das ist in meinem Beruf schon besonders wichtig. Bei allen technische­n Hilfsmitte­ln, die wir mittlerwei­le selbst im Haus haben. Aber natürlich könnten wir noch viel mehr machen, wenn wir genug Personal hätten.

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FOTO: CHRISTA SIGG Diesem Mann kann man nichts mehr vormachen: Dieter Sölch mit einem gefälschte­n Penck.

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