Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Muss der Landkreis um Ärzte bangen?
Auf dem Land fehlen Hausärzte - Zwei Ärzte aus der Region zeigen, wie es anders geht
LANDKREIS NEU-ULM - Fast fünf Jahre hat die Suche gedauert. Erst dann war ein Nachfolger für die Altenstadter Hausarztpraxis in der Friedhofstraße gefunden. Seit Februar vergangenen Jahres steht Dr. Gábor Csuka für die Patienten seines Vorgängers bereit. Der wiederum ging in Pension.
Die Suche nach einem Nachfolger fiel schwer. Viele Bewerber für Hausarztpraxen auf dem Land gibt es nicht – obwohl sich die Unis vor Medizinstudenten kaum retten können. Doch die meisten jungen Mediziner wollen lieber in die große Stadt als aufs Land. Das Phänomen lässt sich auch im Landkreis Neu-Ulm beobachten. Immerhin, das zeigen offizielle Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), liegt das Durchschnittsalter der Hausärzte im Landkreis Neu-Ulm bei knapp 54 Jahren. Was passiert, wenn die in Rente gehen?
Dann kommen auf den Landkreis schwierige Zeiten zu. Denn schon in den kommenden fünf Jahre werde es schwerer, frei werdende Stellen nachzubesetzen. Das sagt Dr. Jakob Berger, Sprecher der KVB in Schwaben und selbst Hausarzt.
Doch gleich zur Entwarnung: Aktuell, so Berger, ist der Landkreis gut versorgt. Das zeigen auch die Zahlen der KVB. Die veröffentlicht regelmäßig einen Versorgungsatlas, in dem aufgelistet wird, wie sich die Hausärzte auf die bayerischen Gemeinden verteilen, wo es besonders viele gibt, und wo nur wenige.
Laut Versorgungsrichtlinie muss auf 1671 Einwohner mindestens ein Hausarzt kommen – sonst gilt die Region als unterversorgt. Im Landkreis Neu-Ulm ist der Bedarf demnach voll und ganz gedeckt: Der Versorgungsgrad liegt bei knapp 110 Prozent. Es gibt also sogar mehr Ärzte, als der Plan vorsieht. In Zahlen sind es im Norden 103 Hausärzte für circa 141 000 Einwohner, im Süden 20 für knapp 30 000 Einwohner.
Die gute Versorgungssituation kann sich allerdings schnell ändern, wie Berger erklärt: „Wenn ein oder zwei Ärzte wegfallen, sieht die Lage gleich ganz anders aus.“
Viele Mediziner im Landkreis stehen laut der Statistik kurz vor der Pension. Im Süden sind 25 Prozent der Hausärzte über 60. Im Norden sind es sogar 40 Prozent. Wenn die wegfallen, kommt es zum Versorgungsengpass.
Junge Ärzte scheuen das Risiko der Selbstständigkeit
Warum das so ist, erklärt sich Berger so: „Viele junge Mediziner wollen erst einmal angestellt werden und sich nicht gleich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen.“Das Thema Work-Life-Balance sei wichtiger als noch vor einigen Jahren. Außerdem gebe es viele, die lieber in der Großstadt lebten, als Landarzt zu werden. „Und man kann niemanden zwingen, aufs Land zu ziehen.“
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Gábor Csuka aus Altenstadt. Er wählte bewusst die Praxis auf dem Land: „Ich mag die Großstadt einfach nicht. Hier sind die Leute angenehmer.“Mit dieser Einstellung gehört er jedoch wohl zur Minderheit der jungen Ärzte, dessen ist sich der 33-Jährige bewusst. „Aber der Trend wandelt sich langsam. Es gibt wieder mehr, die sich auf dem Land niederlassen.“Noch sei deren Zahl zu gering, um den Mangel zu kompensieren.
Doch auch er erzählt, dass der Schritt zur eigenen Praxis nicht leicht fiel. Neue Heimat, neue Patienten, unbekannte Umgebung. All das sei nicht einfach. Auch die Bürokratie sei ein Problem. Formulare, Anträge und so weiter. „Besonders da muss sich was ändern“, sagt er.
Doch nicht nur für seinen Vorgänger hat die Suche nach einem Nachfolger lange gedauert. Auch Csuka selbst suchte knapp ein Jahr lang nach einer geeigneten Praxis. Das habe jedoch nicht daran gelegen, dass zu wenige angeboten wurden. Im Gegenteil: „Zur Zeit stehen viele Hausarztpraxen zum Verkauf.“
Von Sigmaringen über Ulm bis Elchingen, auf bayerischer Seite im Landkreis Neu-Ulm und im Allgäu habe er Praxen abgeklappert, die zur Übernahme angeboten wurden – in Altenstadt habe er schließlich genau das gefunden, was er gesucht hat. „Ich wollte unbedingt aufs Land, aber mir war auch eine gute Infrastruktur wichtig.“In Altenstadt habe er das mit der Anbindung an die A 7 gefunden. „Dadurch bin ich auch schnell in Memmingen oder Ulm, wenn ich will.“
Doch mit einer einfachen Übernahme ist es für die meisten Ärzte nicht getan. Renovierungen, Umgestaltungen und der Kauf neuer Geräte stehen ebenfalls an. Csuka hat in Altenstadt einige neue diagnostische Methoden in die Praxis gebracht: Ultraschall, 24-Stunden-Blutdruckmessung und ein neues BelastungsEKG. „Ich wollte das Angebot erweitern. Gerade der Ultraschall ist da sehr wichtig.“
Laut KVB-Sprecher Jakob Berger sind Fälle wie der in Altenstadt nicht selten. Fünf bis sieben Jahre nach einem geeigneten Nachfolger zu suchen sei mehr die Regel als die Ausnahme. Doch solche gibt es auch, in Buch beispielsweise.
Dort führt Dr. Rudolf Brachmann seit 27 Jahren zusammen mit zwei anderen Ärzten eine Hausarztpraxis. Wenn der 67-Jährige irgendwann in Rente geht, soll sein Sohn übernehmen. Der arbeitet schon jetzt mit. Die Praxis läuft gut. Erst Anfang Oktober 2018 eröffnete Brachmann neue Behandlungsräume – in einem Neubau zwei Straßen weiter. Brachmann findet: „Vor allem die Arbeitsbelastung hält junge Kollegen vom Land fern.“Denn neben den Sprechzeiten für die Patienten kämen noch Papierkram und Bereitschaftsdienste hinzu. Laut KVB kümmert sich ein Hausarzt im Schnitt um knapp 880 Patienten. Bei Brachmann und Csuka sind es mehr. Wochenarbeitszeiten von weit mehr als 50 Stunden sind bei den beiden normal.
Sind die Kinder der Ärzte also die Lösung? Berger bezweifelt das. „Viele von uns haben es verpasst, ihre Kinder vom Hausarztberuf zu begeistern.“Die Mediziner müssten deshalb früh genug mit der Suche nach Nachfolgern beginnen.
Doch auch die Kommunen stehen seiner Meinung nach in der Verantwortung. „Die müssen sich rechtzeitig nach dem Alter ihrer Ärzte erkundigen und gegebenenfalls tätig werden“, sagt er. So gebe es in Bayern einige Gemeinden, die Ärzte mit billigeren Mieten anlocken wollen. Fest stehe jedoch, dass nicht jede frei werdende Praxis in Zukunft nachbesetzt werde.
Flächendeckende Versorgung vor dem Aus
Doch was bedeutet das für die Patienten? Besonders Menschen, die in kleineren Gemeinden leben, müssen sich wohl umgewöhnen und mit längeren Warte- und Fahrtzeiten rechnen. Kellmünz ist so ein Beispiel. Dort gibt es derzeit einen Arzt. Wenn der wegfällt, müssen die Patienten mindestens nach Altenstadt fahren. Berger: „Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass es in jeder Gemeinde einen Arzt gibt.“
Eine Lösung seien da Versorgungszentren, in denen mehrere Ärzte Patienten aus einem größer gefassten Gebiet versorgen. Rufbusse und öffentliche Verkehrsmittel könnten die Menschen dorthin bringen. „Für die Versorgung der Patienten ist das kein Nachteil“, findet er. Aber: Die dauerhafte persönliche Betreuung durch einen Hausarzt sei dann nicht mehr gegeben. „Und es gibt nichts Besseres in der Versorgung als Kontinuität.“