Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wie Manfred Spitzer gegen Einsamkeit kämpft
Der Ulmer Professor stellt seine Strategie gegen den tödlichsten aller Risikofaktoren vor
ULM - Die Epidemie im Verborgenen zieht: Kein einziger Stuhl ist mehr frei, selbst die Wendeltreppe wird als Sitzgelegenheit genutzt. Manfred Spitzer, der streitbare Ulmer Professor, lockt die Massen wie wenige in den Generationentreff Ulm/NeuUlm. In Ulm zeigt der SachbuchBestseller-Autor, warum er nicht nur den Fabri-Saal füllt sondern auch ein gern gesehener Gast in bundesdeutschen Talkshows ist. „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“heißt sein jüngstes Buch und auch der Titel seines Vortrags.
Locker-flockig und im Schnelldurchgang rauscht der 60-Jährige im Plauderton durch wissenschaftliche Studien und hat für seine Zuhörer auch konkrete Tipps parat: „Gehen Sie allein in den Wald. Sie kommen als sozialeres Wesen wieder heraus. “Zahlreiche universitäre Arbeiten
hätten bewiesen, dass Naturerlebnisse bedeutende Einflüsse auf den Menschen hätten. Und auch gegen eine tödliche Gefahr wirken würden: die Einsamkeit. Es sei längst bewiesen, dass Einsamkeit chronischen Stress verursache und Schmerz an der gleichen Stelle im Hirn hervorrufe, wie Hitze oder Nadelstiche.
Mit dem Schmerz signalisiere der Körper: „Hier geht geht gerade etwas kaputt.“Dieses Warnsignal als überlebenswichtiges Zeichen, etwas zu ändern, dürfe nicht ignoriert werden. Eine Studie unter der Einbeziehung der Daten von 3,5 Millionen Menschen habe bewiesen, dass Einsamkeit der bedeusamste Risikofaktor für einen vorschnellen Tod ist. Vor Rauchen und Übergewicht.
Denn Einsamkeit verursache chronischen Schmerz, der den Körper in einen dauerhaften Stresszustand versetze, der das ganze Immunsystem schwäche und so viele Krankheiten begünstige. Das Problem dabei: „Einsamkeit steht auf keinem Totenschein. Wir reden lieber über Feinstaub.“Das müsse sich nach Überzeugung von Spitzer ändern, der in der britischen Regierung ein Vorbild sieht: Dort gibt es künftig ein Ministerium für Einsamkeit und Ärzte könnten neben Medikamenten auch gemeinschaftkliche Aktivitäten verschreiben.
„Helfen ist auch für die Helfenden wichtig“
Spitzer als Psychiater weiß, dass es nicht einfach ist, bei der Diagnose Einsamkeit zu helfen. „Auf die Schulter klopfen und raten, geh’ doch mal wieder unter die Leute ist wie einem Rollstuhlfahrer zu sagen, er soll aufstehen.“Sensibel müsse gegenüber Einsamen diese Botschaft kommuniziert werden: „Du wirst gebraucht.“Das Gefühl von Gebrauchtwerden könne über unzählige Kanäle einfließen: Als Helfer in der Armenküche, Sänger im Chor oder Partner beim Kartenspielen. Spitzer: „Helfen ist auch für die Helfenden wichtig.“
Langfristig gedacht, seien besondere Fähigkeiten in Kunst, Kultur oder Sport das beste Rüstzug, das Kindern in jungen Jahren gegen spätere Einsamkeit mitgegeben werden könne. Umso besorgniserregender seien die drei gesellschaftlichen „Megatrends“, die alle förderlich für spätere Einsamkeit wirkten: Individualisierung, Verstädterung und Digitalisierung. „Medien wie Facebook machen depressiv und einsam“, sagt Spitzer.
Was er vor Jahren noch als „einsamer Rufer in der Wüste“entsandte, würden nun längst die Spatzen von den Dächern pfeifen. „Danke für die Werbung, die Sie für uns gemacht haben“, freut sich Johannes Stolz, der Vorsitzende des Generationentreffs, nach dem Vortrag. Gemeinsame Aktivität sei genau die Philosophie des Vereins.