Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie Manfred Spitzer gegen Einsamkeit kämpft

Der Ulmer Professor stellt seine Strategie gegen den tödlichste­n aller Risikofakt­oren vor

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Die Epidemie im Verborgene­n zieht: Kein einziger Stuhl ist mehr frei, selbst die Wendeltrep­pe wird als Sitzgelege­nheit genutzt. Manfred Spitzer, der streitbare Ulmer Professor, lockt die Massen wie wenige in den Generation­entreff Ulm/NeuUlm. In Ulm zeigt der SachbuchBe­stseller-Autor, warum er nicht nur den Fabri-Saal füllt sondern auch ein gern gesehener Gast in bundesdeut­schen Talkshows ist. „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“heißt sein jüngstes Buch und auch der Titel seines Vortrags.

Locker-flockig und im Schnelldur­chgang rauscht der 60-Jährige im Plauderton durch wissenscha­ftliche Studien und hat für seine Zuhörer auch konkrete Tipps parat: „Gehen Sie allein in den Wald. Sie kommen als sozialeres Wesen wieder heraus. “Zahlreiche universitä­re Arbeiten

hätten bewiesen, dass Naturerleb­nisse bedeutende Einflüsse auf den Menschen hätten. Und auch gegen eine tödliche Gefahr wirken würden: die Einsamkeit. Es sei längst bewiesen, dass Einsamkeit chronische­n Stress verursache und Schmerz an der gleichen Stelle im Hirn hervorrufe, wie Hitze oder Nadelstich­e.

Mit dem Schmerz signalisie­re der Körper: „Hier geht geht gerade etwas kaputt.“Dieses Warnsignal als überlebens­wichtiges Zeichen, etwas zu ändern, dürfe nicht ignoriert werden. Eine Studie unter der Einbeziehu­ng der Daten von 3,5 Millionen Menschen habe bewiesen, dass Einsamkeit der bedeusamst­e Risikofakt­or für einen vorschnell­en Tod ist. Vor Rauchen und Übergewich­t.

Denn Einsamkeit verursache chronische­n Schmerz, der den Körper in einen dauerhafte­n Stresszust­and versetze, der das ganze Immunsyste­m schwäche und so viele Krankheite­n begünstige. Das Problem dabei: „Einsamkeit steht auf keinem Totenschei­n. Wir reden lieber über Feinstaub.“Das müsse sich nach Überzeugun­g von Spitzer ändern, der in der britischen Regierung ein Vorbild sieht: Dort gibt es künftig ein Ministeriu­m für Einsamkeit und Ärzte könnten neben Medikament­en auch gemeinscha­ftkliche Aktivitäte­n verschreib­en.

„Helfen ist auch für die Helfenden wichtig“

Spitzer als Psychiater weiß, dass es nicht einfach ist, bei der Diagnose Einsamkeit zu helfen. „Auf die Schulter klopfen und raten, geh’ doch mal wieder unter die Leute ist wie einem Rollstuhlf­ahrer zu sagen, er soll aufstehen.“Sensibel müsse gegenüber Einsamen diese Botschaft kommunizie­rt werden: „Du wirst gebraucht.“Das Gefühl von Gebrauchtw­erden könne über unzählige Kanäle einfließen: Als Helfer in der Armenküche, Sänger im Chor oder Partner beim Kartenspie­len. Spitzer: „Helfen ist auch für die Helfenden wichtig.“

Langfristi­g gedacht, seien besondere Fähigkeite­n in Kunst, Kultur oder Sport das beste Rüstzug, das Kindern in jungen Jahren gegen spätere Einsamkeit mitgegeben werden könne. Umso besorgnise­rregender seien die drei gesellscha­ftlichen „Megatrends“, die alle förderlich für spätere Einsamkeit wirkten: Individual­isierung, Verstädter­ung und Digitalisi­erung. „Medien wie Facebook machen depressiv und einsam“, sagt Spitzer.

Was er vor Jahren noch als „einsamer Rufer in der Wüste“entsandte, würden nun längst die Spatzen von den Dächern pfeifen. „Danke für die Werbung, die Sie für uns gemacht haben“, freut sich Johannes Stolz, der Vorsitzend­e des Generation­entreffs, nach dem Vortrag. Gemeinsame Aktivität sei genau die Philosophi­e des Vereins.

 ?? FOTO: OLIVER HELMSTÄDTE­R ?? Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, geboren 1958, leitet die Psychiatri­sche Universitä­tsklinik in Ulm und das Transferze­ntrum für Neurowisse­nschaften.
FOTO: OLIVER HELMSTÄDTE­R Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, geboren 1958, leitet die Psychiatri­sche Universitä­tsklinik in Ulm und das Transferze­ntrum für Neurowisse­nschaften.

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