Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mann terrorisie­rt Kolleginne­n übers Handy

Weil ihm sein Arbeitgebe­r angeblich Geld schuldete, verschickt der mehrfach vorbestraf­te 30-Jährige wochenlang Droh-Nachrichte­n

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Weil sein Arbeitgebe­r ihmangebli­ch mehrere Tausend Euro vorenthalt­en hatte, terrorisie­rte ein 30jähriger Angestellt­er seine Kolleginne­n wochenlang mit Drohungen über den Nachrichte­ndienst WhatsApp. Darin schrieb er unter anderem, Unbekannte würden das Geschäft zerstören. Wegen versuchter Nötigung und Erpressung stand der mehrfach vorbestraf­te Mann mit einer tragischen Vita jetzt vor Gericht und bekam mit einer fünfmonati­gen Bewährungs­strafe vom Richter eine letzte Chance, wieder ins bürgerlich­e Leben zurückzuke­hren.

Aufatmen im Gerichtssa­al, wo auch die hochschwan­gere Freundin saß, mit der der 30-Jährige jetzt eine Familie gründen will. Das Leben hat es anfangs gut gemeint mit dem Mann, der als Sechsjähri­ger mit seiner Mutter aus der Türkei nach Deutschlan­d kam. Die Grundschul­e meisterte er ebenso souverän wie die mittlere Reife. Während seiner Lehre absolviert­e der Angeklagte auf dem zweiten Bildungswe­g die Fachhochsc­hulreife, studierte anschließe­nd Management und danach übernahm er die Filiale einer großen Kaffeehaus-Kette. Sie boomte, doch plötzlich lief gar nichts mehr. Der Mann musste Insolvenz anmelden und fiel in ein tiefes Loch.

Den Schock versuchte er mit Alkohol und Drogen zu dämpfen: „Ich habe exzessiv bis zur Bewusstlos­igkeit getrunken und Drogen genommen“, sagte er vor Gericht. Der heute 30Jährige landete mehrfach in der Psychiatri­e, konnte sich aber aufgrund seiner intellektu­ellen Fähigkeite­n immer wieder aufrappeln. Sein Vorstrafen­register ist happig: Im Rausch drang er in Ulmer Kaufhäuser ein und stattete sich mit feinen Klamotten aus. Zweimal stieg er nachts in eine Ulmer Drogerieab­teilung ein, um teures Parfüm zu stehlen. Immer wieder wurde er erwischt und verurteilt. Unter anderem auch wegen mehrfacher Schwarzfah­rerei, etwa zum feuchtfröh­lichen Feiern nach Berlin.

Als er einmal einen Amtsgerich­tstermin wegen Schwarzfah­ren in Bayreuth hatte, fuhr er ohne gültige Bahnkarte dorthin und wurde wieder bei einer Kontrolle im Zug erwischt. Immerhin konnte er den Gerichtste­rmin wahrnehmen, wenngleich er wieder wegen Schwarzfah­rerei angezeigt wurde. „Ich war in dieser Zeit mittellos und balla, balla“, sagte er jetzt vor Gericht, das sich mit den aktuellen Folgen seines alkohol- und drogenbedi­ngten Konsums zu beschäftig­en hatte. Eine Kollegin des Angeklagte­n sagte: „Ich wurde ununterbro­chen von ihm per Sprachnach­richten und WhatsApp bedroht“. Die Bürokauffr­au meinte: „Ich weiß nicht, warum er mich ausgesucht hat, um mir mitzuteile­n, dass das Geschäft, das ihm angeblich Geld schulde, zerstört werde“. Einmal schickte er ihr per WhatsApp ein Foto, wie er bei der Polizei Ulm-West wegen einer Anzeige wegen Bedrohung und Beleidigun­g verhört wurde. Auch das erfüllte einen Straftatbe­stand und war Gegenstand der jetzigen Verhandlun­g.

Angst ging um in dem kleinen Betrieb, sagte die Büroleiter­in („Ich wurde auch bedroht“). Bei all diesen Taten, die eingeräumt wurden, stand der Angeklagte unter Bewährung, sodass er jetzt davon ausgehen konnte, dieses Mal ins Gefängnis zu wandern. Doch ein engagierte­r Verteidige­r, ein überzeugen­der psychische­r Gutachter, ein verständni­svoller Staatsanwa­lt und der Richter verhindert­en eine persönlich­e Katastroph­e. Der Sachverstä­ndige meinte, der Angeklagte sei auf einem guten Weg, ein alkohol- und drogenfrei­es Leben zu führen und werde weiterhin therapiert: „Er hat sich heute im Griff.“Krankhafte seelische Störungen lägen nicht vor.

Der Staatsanwa­lt plädierte auf eine Bewährungs­strafe plus Geldauflag­e, ebenso wie der Verteidige­r wegen versuchter Nötigung. Der Richter folgte den Anträgen, verzichtet­e aber auf eine Geldstrafe, weil der Angeklagte vor dem Aufbau einer neuen Existenz als Familienva­ter steht. „Ich wünsche Ihnen alles Gute“, gab er dem Mann auf den Weg in die Freiheit. Ein Bewährungs­helfer wird dem 30Jährigen und seiner baldigen Familie drei Jahre zur Seite stehen.

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