Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Manchmal spenden die Kinder ihren Eltern Kraft und nicht umgekehrt“

Mitarbeite­r des Ökumenisch­en Hospizdien­sts erklären, was wir von Sterbenden lernen können

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LAUPHEIM - Der Ökumenisch­e Hospizdien­st begleitet Menschen, deren Leben zu Ende geht. Oft sind es ältere Menschen, die auf ein langes Leben zurückblic­ken können. Manchmal aber auch Kinder. Inge Humm gehört zu den Gründungsm­itgliedern des Hospizdien­sts in Laupheim – Dijana Jovanovic ist vor drei Jahren dazugestoß­en. Christoph Dierking hat mit ihnen über ihr Engagement gesprochen.

SZ: Frau Humm, Sie sind seit den Anfängen des Ökumenisch­en Hospizdien­sts im Jahr 1996 dabei. Was treibt Sie an?

Humm:

1986 ist mein Vater gestorben. Damals habe ich mich ziemlich hilflos gefühlt. Mich hat das auch viele Jahre danach noch beschäftig­t. Ich habe zahlreiche Bücher gelesen, die sich mit dem Tod befassen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: Es kann nicht sein, dass Sterbende und ihre Angehörige­n in schwierige­n Zeiten alleine gelassen werden.

Frau Jovanovic, Sie betreuen vor allem Kinder und Jugendlich­e. Was ist Ihre Motivation?

Jovanovic:

Ich habe einen ähnlichen Hintergrun­d – und ich glaube, dass jeder, der sich beim Hospizdien­st engagiert, sein eigenes biografisc­hes Päckchen mit sich trägt. Mein Opa ist gestorben, als ich 13 war. Damals durfte ich nicht mit zur Beerdigung. Ich wurde nicht einmal gefragt. Das finde ich im Nachhinein sehr schade. Im Laufe meines Lebens sind viele Menschen gestorben, die mir wichtig waren. Ich dachte mir: Von meiner Erfahrung im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer können auch andere Leute profitiere­n. Und dann habe ich beim Hospizdien­st angerufen und gesagt: Hier bin ich!

Sie begleiten Schwerstkr­anke und Sterbende, aber auch Kinder, die Angehörige verloren haben. Wie sieht Ihre Hilfe in der Praxis aus? Humm:

Wir nehmen mit den Menschen zu Hause oder im Pflegeheim Kontakt auf, hören ihnen zu und sprechen über Ängste und Sorgen. Und vor allem schenken wir ihnen Zeit. Als Einsatzlei­terin stelle ich Informatio­nen über die Betroffene­n zusammen, die unseren Mitarbeite­rn ein paar Anhaltspun­kte liefern. Was Seit 1996 bietet der Ökumenisch­e Hospizdien­st Sterbenden und ihren Angehörige­n kostenlose Unterstütz­ung an – unabhängig von Alter, Krankheits­bild, Religionsz­ugehörigke­it und Nationalit­ät. Zuständig ist er für die Gemeinden Laupheim, Achstetten, Burgrieden, Mietingen und die dazugehöri­gen Teilorte. Alle ehrenamtli­chen Mitarbeite­r haben einen Vorbereitu­ngskurs besucht und sind im Umgang mit Schwerstkr­anken, Sterbenden und ist die Situation? Wie sieht die Biografie des Menschen aus? Und gegebenenf­alls: Welche Themen dürfen nicht angesproch­en werden?

Im Fall von Kindern erfolgt die Kontaktauf­nahme übers Spielen. Wichtig ist zunächst, Vertrauen aufzubauen. Man darf nicht vergessen, dass die Familie wegen

Jovanovic:

ihren Angehörige­n geschult. Sie stehen unter Schweigepf­licht und wissen, wie sie in Krisenzeit­en kommunizie­ren müssen, welche Bedürfniss­e die Betroffene­n haben, und können auch bei praktische­n Fragen weiterhelf­en.

Wer die Hilfe des Ökumenisch­en Hospizdien­stes in Anspruch nehmen oder sich engagieren möchte, findet Informatio­nen unter www. hospizdien­ste- regionbibe­rach- saulgau. de des Sterbefall­s komplett auf dem Kopf steht. Da ist ganz viel Sensibilit­ät gefragt. Man ist mit großen Ohren und kleinem Mund vor Ort, sage ich immer. Heißt: Ich höre gut zu und halte mich zurück, bis ich die Situation einschätze­n kann.

Wie geht es weiter, wenn Sie das Vertrauen des Kindes gewonnen haben?

Jovanovic:

Die Hilfe kann ganz verschiede­ne Bereiche betreffen. Von Fahrdienst­en über Hausaufgab­enhilfe bis hin zu gemeinsame­n Ausflügen – praktische Dinge eben. Begleiten, unterstütz­en und entlasten. Ein siebenjähr­iges Kind kann die Endgültigk­eit des Todes noch nicht erfassen. Dies ist erst ab einem Alter von ungefähr zwölf Jahren der Fall. Entspreche­nd geht es oft darum, Fragen zu beantworte­n. Fragen wie: „Fressen die Würmer den Papa, wenn er im Sarg ist?“Dann erkläre ich, dass der Sarg tief unten in der Erde liegt und die Würmer dort nicht mehr hinkommen. Außerdem ist es sehr wichtig, Trauer zu durchleben. Wenn Gefühle nicht verarbeite­t werden, kommen sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder hoch.

Zum Teil sind es sehr emotionale Schicksale und schwierige Situatione­n, die Sie miterleben. Wie gehen Sie damit um?

Humm:

Wir haben jederzeit die Möglichkei­t, einander anzurufen, uns beim Gruppentre­ffen auszutausc­hen oder in der Supervisio­n schwierige Erlebnisse aufzuarbei­ten. Aber Belastende­s kann auch zur Bereicheru­ng werden: Wenn wir dazu beitragen, dass ein Mensch sein Sterben annehmen kann und friedlich einschläft, ist die Begleitung für uns sehr erfüllend. Deshalb halten viele Mitarbeite­r dem Hospizdien­st seit vielen Jahren die Treue. Mir persönlich bleibt vieles im Gedächtnis. Wenn ich bestimmte Namen lese, dann fällt mir sofort die Geschichte dazu ein. „Man muss das Leben neh- men, wie es kommt“– das ist ein Satz, den ich häufig zu hören bekomme. Da steckt viel Wahrheit drin.

Also können wir von Sterbenden lernen?

Humm:

Auf jeden Fall. Vor allem, was Dankbarkei­t und Gelassenhe­it betrifft. Manchmal gibt es eben Dinge im Leben, die anders laufen als gedacht. Diese müssen wir auf sich beruhen lassen. Vieles haben wir nicht in der Hand. Und natürlich kommt es darauf an, seine Träume zu verwirklic­hen, solange man die Möglichkei­t hat. Viele Sterbende bereuen, wenn sie etwas versäumt haben.

Ich sehe das ganz ähnlich – wir können wirklich sehr viel lernen. Todkranke Kinder sind unheimlich stark. Für die Eltern bricht eine Welt zusammen, weil die Chronologi­e nicht stimmt. Sie müssen sich damit abfinden, ihr eigenes Kind zu beerdigen. Das Paradoxe ist: Manchmal spenden die Kinder ihren Eltern Kraft und nicht umgekehrt. Allgemein wäre mir wichtig, dass wir mit Kindern mehr über Sterben, Tod und Trauer sprechen. Sie aus der Tabuzone heraushole­n. Denn bei meiner Tätigkeit stelle ich immer wieder fest, dass Kinder diese Themen beschäftig­en.

Jovanovic:

 ?? FOTO: CHRISTOPH DIERKING ?? Bücher, Puzzle, Stofftiere: Wenn Dijana Jovanovic ( links) vom Ökumenisch­en Hospizdien­st Kinder betreut, hat sie stets Spielsache­n im Gepäck. Im Gespräch mit älteren Menschen ist oft die Biografie ein Thema, erzählt Inge Humm.
FOTO: CHRISTOPH DIERKING Bücher, Puzzle, Stofftiere: Wenn Dijana Jovanovic ( links) vom Ökumenisch­en Hospizdien­st Kinder betreut, hat sie stets Spielsache­n im Gepäck. Im Gespräch mit älteren Menschen ist oft die Biografie ein Thema, erzählt Inge Humm.

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