Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wenn die Beine immer dicker werden
Fettabsaugen soll ab 2020 auf Krankenschein möglich sein – Selbsthilfegruppe in Memmingen
BUXHEIM/MEMMINGEN - Täglich zwängt sich Manuela Rieger aus Buxheim in ihre hautengen Kompressionsstrümpfe, um den Arbeitstag als Mittelschullehrerin möglichst ohne Schmerzen zu ertragen. „Im Sommer ist es besonders schlimm, auch weil ich oft darauf angesprochen werde, warum ich bei der Hitze eine Strumpfhose trage“, sagt sie. Seit dem Ende der Pubertät leidet die 32-Jährige unter dem Lipödem oder dem sogenannten Reithosensyndrom, wie die Krankheit im Volksmund bezeichnet wird.
Die krankhafte Fettverteilungsstörung lässt Fettzellen in den Extremitäten teilweise bis um das 20-fache des Normalzustands anwachsen – was zu massiven Druck- und Spannungsschmerzen führt. Lipödem betrifft ausschließlich Frauen. Den Verlauf der Krankheit gliedern Mediziner in drei Stadien.
Derzeit erstatten Krankenkassen zur Therapie eine Ausstattung mit individuell angefertigter Kompressionsbekleidung und ein Rezept für die Behandlung zur Lymphdrainage. Eine medizinisch indizierte Fettabsaugung übernahm bislang keine gesetzliche Krankenkasse.
3,8 Millionen Betroffene
Das wird sich ab dem 1. Januar 2020 ändern. Dann bekommen Patientinnen die medizinische Fettabsaugung auf Krankenschein bewilligt, wenn deren Arzt ein Lipödem im Schweregrad drei diagnostiziert hat. Über die Entscheidung einer Liposuktion für Frauen im Stadium eins und zwei entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach Auswertung einer aktuell in Auftrag gegebenen Studie.
Die schnelle Entscheidung ist auf den persönlichen Einsatz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurückzuführen. Vor nur wenigen Wochen machte ihn die Blog- gerin Hendrikje ter Balk persönlich auf die Krankheit Lipödem und die 3,8 Millionen davon betroffenen Frauen in Deutschland aufmerksam.
Verhaltene Freude in Memmingen
Auf das Versprechen, sich persönlich um die Belange zu kümmern, reagierte auch der Bürgerbeauftragte der Bayrischen Staatsregierung, der Memminger Landtagsabgeordnete Klaus Holetschek (CSU). In einer Mitteilung schreibt er, dass er den Vorstoß seines Parteikollegen, der weiter auch den Leistungskatalog der Kassen künftig selbst mitgestalten will, begrüße.
Die Freude vonseiten der Lipödem-Betroffenen ist jedoch verhalten, wie die Reaktionen in den sozialen Medien zeigen. Auch Carmen Makowski aus Memmingen hat ein weinendes und ein lachendes Auge. „Die Nachricht hat mich persönlich als Betroffene mit Lipödem in Stadium drei sehr gefreut, doch was ist mit den anderen Frauen, die trotzdem unter der Krankheit leiden müssen?“, sagt sie.
Seit Jahren kämpft die 52-Jährige um eine Einzelfallentscheidung für eine Liposuktion. Die Richter des Bundessozialgerichts (BSG) lehnten ihre Klage gegen die Krankenkasse ab, weil laut dem Urteil keine dringende medizinische Notwendigkeit bestehe. „Es geht hier nicht um eine kosmetische Schönheitsoperation. Die Liposuktion bringt eine sehr lange Zeit der Beschwerdefreiheit und mehr Lebensqualität mit sich“, erklärt Makowski. In ihrem Fall belegen mehrere medizinische Gutachten, dass die krankhafte Fettvermehrung bereits zu einer Folgeerkrankung der Gonarthrose in beiden Knien geführt hat. Operativ entferntes Körperfett wächst nicht mehr oder nur langsam wieder nach. Vor allem Folgeerkrankungen können dadurch minimiert oder ganz ausgeschlossen werden.
Einige der betroffenen Frauen erhalten eine weitere unangenehme Diagnose von ihren Ärzten: Lipolymphödem. Das entsteht, wenn zu viel Fettgewebe auf das Lymphsystem drückt – und deswegen zusätzliche Lymphflüssigkeit eingelagert wird.