Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Dreck vor der eigenen Haustür

- untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Gast bei Freunden oder Verwandten zu sein, hat durchaus angenehme Seiten: Man braucht für Essen und Trinken meist nichts zu bezahlen, der Abwasch geht einen nichts an und Staubsauge­n fällt auch nicht in den Zuständigk­eitsbereic­h der Geladenen.

Eines allerdings ist eine weit verbreitet­e Pflicht, die der Gast zu erfüllen hat: das Ausziehen der Schuhe, bevor er über die blank gebohnerte Schwelle tritt. Dabei fällt auf, dass manche Gastgeber selbst ihre Straßensch­uhe anbehalten. Damit bekommt das Diktum der Schuhlosig­keit den Schimmer eines merkwürdig­en Machtgefäl­les. Denn so bedeutet der Zwang zur Strumpfsoc­kigkeit einen empfindlic­hen Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e. Eine Verschärfu­ng in besonderer Weise erfährt die Situation immer dann, wenn der Gastgeber aus Sparsamkei­tsgründen seine Räume nur mäßig bis saumäßig beheizt. Woher die Tradition des Schuheausz­iehens kommt, ist recht gut erforscht: Früher verfügte die Menschheit noch nicht über technisch ausgefeilt­e Hilfsmitte­l wie Saugrobote­r, elektrisch­e Bodenwisch­einheiten oder auch nur effiziente­s Putzzeug. Es war also ungleich mühseliger, die Bude nach der Heimsuchun­g grob beschuhter Gäste wieder in einen sauberen Zustand zu versetzen. Bloß: Diese Zeiten sind längst vorbei. Mit ihnen auszusterb­en droht auch die traditione­lle Kehrwoche. Womit auch eine plausible Erklärung dafür gefunden wäre, warum immer weniger Leute dazu bereit zu sein scheinen, zuerst den Dreck vor der eigenen Haustür zu kehren, ehe sie sich der Weltanklag­e zuwenden.

 ?? FOTO: IMAGO ??
FOTO: IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany