Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Macher zwischen Gier, Gas und Geld
Wie Nord Stream 2 die deutsche und europäische Politik belastet
BERLIN - Nord Stream 2, eines der größten Energieprojekte der EU, bietet Stoff für einen guten Krimi. ExKanzler und Oligarchen, Staatsmänner und Geheimdienstler sind in den Coup des russischen Staatskonzerns Gazprom verwickelt, mit der OstseePipeline Erdgas nach Deutschland zu bringen.
Vergangene Woche griff die EU ein, am Wochenende legte US-Vizepräsident Mike Pence nach: „Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen“, sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Kanzlerin Angela Merkel, anfangs keine große Anhängerin des Projekts, verteidigte den Kurs: Wenn Deutschland im Kalten Krieg russisches Gas importiert hat, könne sie sich nicht vorstellen, dass die Lage nun so viel schlimmer sei.
Ist es nun ein wirtschaftliches Projekt, wie die Bundesregierung meint, oder ein politisches Projekt, wenn Putin Gas nach Deutschland liefert – und nebenbei mit der neuen Trasse der Ukraine Einnahmen von rund drei Milliarden Dollar für Durchleitungsgebühren verloren gehen? Polen und die baltischen Staaten kritisieren das Projekt, die Ukraine fürchtet es. Und die USA lehnen es auch deshalb ab, weil sie ihr Flüssiggas LNG nach Europa liefern wollen. Die grüne Fraktionschefin KatrinGöring Eckardt hält es ganz einfach „von Anfang an“für einen Fehler.
Spannend wie ein Krimi
Aktueller könnte da ein Buch nicht sein als das des dänischen Journalisten Jens Hovsgaard, der in „Gier, Gas und Geld“das Projekt, vor allem aber die Beteiligten, darstellt und analysiert. Verleger Christian Strasser meinte am Montag in Berlin, Hovsgaards Buch lese sich spannend wie ein Krimi.
Die Geschichte beginnt am 25. November 2010 um 21 Uhr mit einem Treffen im Cafe des Artistes in Berlin Schöneberg. „Ein Mann, schwarz gekleidet und mit Skimaske, klettert aufs Autodach, wo er im Schutz der Dunkelheit sich selbst und sein Scharfschützengewehr mit einer Reichweite von einem Kilometer in Position bringt.“Dann fährt eine schwarze Mercedes-Stretchlimousine vor, aus der Wladimir Putin aussteigt, der von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und nunmehr Aufsichtsratschef für Nord Stream sowie dem damaligen Außenminister FrankWalter Steinmeier und Matthias Warnig, dem früheren Stasi-Agenten und Geschäftsführer von Nord Stream 2, empfangen wird. Bei Austern und Tagliatelle mit Trüffeln und Entenschlegeln werden Fortschritte beim Projekt gefeiert. Die Hälfte der Rohre ist verlegt.
Rund 1200 Kilometer soll die Pipeline durch die Ostsee lang sein, Ende 2019 soll das Projekt in Betrieb gehen. Doch bis zuletzt wird gestritten. Erst vergangene Woche stellte sich Frankreich gegen das Projekt und in letzter Minute erzielte die EU einen Kompromiss, der die Pipeline jetzt mehr unter europäische Aufsicht stellt. Deutschland muss sich auf zusätzliche Auflagen gefasst machen, doch das Vorhaben des russischen Staatskonzerns Gazprom wird nicht ganz ausgebremst.
Jens Hovsgaard hat sich seit fünf Jahren mit dem Projekt beschäftigt. Er berichtete, wie seine offiziellen Recherchen überall blockiert wurden, dass Regierungspapiere nur geschwärzt zur Verfügung standen. Sein Fazit: Schröder und Warnig setzen zusammen mit Putin die Zukunft Europas aufs Spiel.
An manchen Stellen allerdings treibt Hovsgaard den Krimi zu sehr auf die Spitze. Etwa, wenn er den Angriff auf den Ex-Agenten Skripal und dessen Tochter beschreibt. Auf die Frage, was die russischen Giftanschläge mit Nord Stream zu tun hätten, sagt er, er habe zeigen wollen, welche Partner Deutschland hat. Hovsgaard beschreibt, wie das russische Staatsunternehmen Gazprom Politiker und Umweltschützer in Finnland, Norwegen und Dänemark auf seine Seite brachte. Größter Unterstützer des Projekts war von Anfang an Schröder, der kurz nach Ende seiner Kanzlerzeit schon Aufsichtsratschef bei Nord Stream wurde. „Ohne Schröders Netzwerk hättet es Nord Stream und Nord Stream 2 nicht gegeben“, sagte Hovsgaard in Berlin. „Die Pipeline erhält Putins Kleptokratie aufrecht.“
Ganz klar ein politisches Projekt
In Berlin spreche man von Nord Stream immer noch als einem rein geschäftlichen und keineswegs politischen Projekt, so Hovsgaard, „obwohl der Personenkreis, der hinter der 1224 Kilometer langen Leitung am Grund der Ostsee steht, derselbe ist, der sich in den amerikanischen und den deutschen Wahlkampf eingemischt, sich in das deutsche Regierungsnetzwerk eingehackt und einen Cyberangriff auf das deutsche Außen- und Verteidigungsministerium durchgeführt hat.“
Jens Hovsgaard: Gier, Gas und Geld. Europa-Verlag. 327 Seiten, 22 Euro