Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Gift des Antisemiti­smus unter den „Gelbwesten“

- Von Christine Longin, Paris

Die Bilder des Hasses waren auch am Montag noch in Dauerschle­ife in den französisc­hen Sendern zu sehen. Ein Mann in gelber Weste hatte am Wochenende den jüdischen Philosophe­n Alain Finkielkra­ut in der Nähe des Pariser Bahnhofs Montparnas­se mit antisemiti­schen Hasstirade­n überzogen. „Dreckiger Scheiß-Zionist“, „Geh zurück nach Israel“und „Frankeich gehört uns“, rief der Mann dem prominente­n 69-Jährigen zu, der zufällig in die Demonstrat­ion der „Gilets jaunes“geraten war. Es war der vorerst letzte Akt einer Reihe antisemiti­scher Ausfälle der Bewegung der „Gelbwesten“, die schon im vergangene­n Jahr begonnen hatten. So hatten Demonstran­ten in der Pariser Metro vor einer Holocaust-Überlebend­en die „Quenelle“gezeigt, den abgewandel­ten Nazi-Gruß des rechtsextr­emen Komikers Dieudonné. Und vor der Straßburge­r Synagoge beschimpft­en Demonstran­ten Juden, die am Sabbat das Gotteshaus besuchen wollten.

„Die Bewegung der „Gelbwesten“ist nicht antisemiti­sch, aber sie schafft einen Rahmen, der einen zutiefst verankerte­n Antisemiti­smus zum Ausdruck bringt. Er bringt die Juden mit der Macht in Verbindung und die Macht mit den Juden“, sagt der Historiker Pierre Birnbaum in der Zeitung „Le Monde“. Regelmäßig kritisiere­n die Demonstran­ten die Vergangenh­eit von Präsident Emmanuel Macron als Banker der Privatbank Rothschild, die in den Händen einer jüdischen Familie ist. „Wenn Macron der Direktor der Bank Crédit Agricole gewesen wäre, hätte niemand etwas gesagt“, bemerkt der Historiker Marc Knobel in der Zeitung „Libération“.

Mehrere Gruppen präsent

Unter den „Gelbwesten“sind gleich mehrere Formen des Antisemiti­smus zu finden. Der „klassische“Antisemiti­smus der Rechtsextr­emen findet sich mit einem Antisemiti­smus linksextre­mer Prägung zusammen, der sich durch den Hass auf Israel nährt. Auch die dritte Form, der von den radikalen Muslimen ausgehende Antisemiti­smus, ist unter den Protesttei­lnehmern zu finden. So soll der Mann, der Finkielkra­ut am meisten beschimpft­e, einer salafistis­chen Gruppierun­g angehört haben.

In dem Klima der Gewalt, das die „Gelbwesten"-Proteste begleitet, werden antisemiti­sche Sprüche zunehmend salonfähig. „Die Sprache hat ihre Tabus verloren“, sagt der Historiker Stéphane François. Dazu kommt: Die „Gelbwesten“glauben deutlich stärker an obskure KomplottTh­eorien als der Rest der Bevölkerun­g. So ergab eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ifop, dass 44 Prozent der „Gilets jaunes“ein weltweites „zionistisc­hes Komplott“am Werk sehen. Unter den Franzosen im allgemeine­n sind es 22 Prozent.

Der Antisemiti­smus der „Gelbwesten“entspricht einer generellen Tendenz in der französisc­hen Gesellscha­ft, die das Innenminis­terium im vergangene­n Jahr verzeichne­te. Laut Innenminis­ter Christophe Castaner stieg die Zahl judenfeind­licher Schmähunge­n und Gewalttate­n 2018 um 74 Prozentpun­kte gegenüber dem Vorjahr an. „Der Antisemiti­smus breitet sich wie Gift aus“, sagte Castaner.

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FOTO: DPA Bei den „Gelbwesten“-Protesten kommt es immer wieder zu antisemiti­schen Vorfällen.

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