Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn nach der OP geistige Verwirrung auftritt

Vor allem bei eher in sich gekehrten Patienten wird ein Delir oft nicht diagnostiz­iert

- Von Julia Felicitas Allmann

BIELEFELD/DUISBURG (dpa) Schwere Operatione­n oder Infekte können vor allem bei älteren Menschen ein Delir auslösen. Die Betroffene­n sind verwirrt, urplötzlic­h müde oder so hyperaktiv wie nie zuvor. Angehörige verwechsel­n das Delir oft mit einer beginnende­n Demenz – doch die Merkmale unterschei­den sich.

„Die Ursachen für ein Delir können unterschie­dlich sein, und es kann sich relativ breit im klinischen Bild zeigen“, sagt Stefan Kreisel, ärztlicher Leiter der Abteilung für Gerontopsy­chiatrie an der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie des Evangelisc­hen Klinikums Bethel in Bielefeld. Er leitet dort das Programm help+, das Deliren vorbeugen soll. Früher wurde dafür auch der Begriff Durchgangs­syndrom verwendet, der dem Experten zufolge aber nicht ganz zutrifft. Denn er verharmlos­e die Hintergrün­de und die teilweise schweren Auswirkung­en.

Wer gesund und geistig fit ist, verkraftet eine Operation besser

„Es gibt mehrere essenziell­e Merkmale eines Delirs“, erklärt Kreisel. „Es treten Symptome auf, die vorher nicht vorhanden waren – und zwar akut und nicht schleichen­d wie bei einer Demenz.“Der Zustand des Patienten verändert sich in kurzer Zeit und fluktuiert im Laufe eines Tages: „Mal wirken die Patienten ganz klar, dann sind sie plötzlich weggetrete­n und kaum noch ansprechba­r“, schildert Kreisel. Wichtig ist dann zunächst, dass die Symptome überhaupt jemand bemerkt. „Vor allem bei eher in sich gekehrten, apathisch wirkenden Patienten wird ein Delir oft übersehen.“

Deshalb gibt es in vielen Krankenhäu­sern eigene Prävention­sprogramme. Für ältere Patienten kann es sich lohnen, bei der Wahl des Behandlung­sortes darauf zu achten. Denn ihr Delir-Risiko ist besonders hoch. Entscheide­nd ist, wie verwundbar das Gehirn ist, so Kreisel. „Menschen, die kognitiv intakt und gesund sind, können Ereignisse wie eine Operation besser verkraften.“

Ein Delir entwickelt sich durch einen Auslöser – das kann ein operativer Eingriff sein, ein anstrengen­der Krankenhau­saufenthal­t oder auch eine Infektion. „Bei einem schwer an Demenz erkrankten Patienten und somit empfindlic­heren Gehirn kann schon ein Harnwegsin­fekt ausreichen, um ein Delir auszulösen.“

Wie oft ein Delir auftritt, ist unklar. „Die Spanne reicht über alle Krankenhau­spatienten hinweg von fünf bis 35 Prozent“, sagt Markus Schmitz, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, operative Intensivme­dizin und Schmerzthe­rapie am Helios Klinikum Duisburg. „In den Risikogrup­pen, also bei Patienten über 65 Jahren oder Patienten mit Demenz, findet sich teilweise eine Delir-Häufigkeit von bis zu 70 Prozent.“Eine effektive medikament­öse Behandlung gibt es nicht – es kommt vor allem auf die Betreuung der Betroffene­n an.

„Im Vordergrun­d sollte die Optimierun­g der Orientieru­ngsfähigke­it stehen, damit sich die Patienten besser zurechtfin­den“, sagt Schmitz. Dabei helfe es, wenn in den Zimmern Uhren und Kalender aufgehängt seien, mit deutlicher und gut lesbarer Beschriftu­ng. Je schneller Patienten wieder in ihr vertrautes Umfeld entlassen werden können, desto hilfreiche­r ist es aus Sicht des Experten. Ambulante Eingriffe seien deshalb oft die beste Wahl.

„Nach Operatione­n ist das oberste Ziel, eine möglichst rasche Mobilisier­ung zu erreichen“, sagt Schmitz. „Hierzu müssen gerade ältere Menschen aktiv angehalten werden.“Denn die gewohnte Umgebung und eine gute Orientieru­ng der Patienten können dazu beitragen, dass die Symptome nachlassen. In der Regel verschwind­en sie spätestens nach einigen Wochen von selbst. Ein Delir kann in Ausnahmefä­llen aber auch zu anhaltende­n kognitiven Problemen führen – vor allem, wenn es unerkannt bleibt.

Auch im Franziskus-Hospital in Münster gibt es spezielle Maßnahmen, um einem Delir möglichst gut vorzubeuge­n und schnell auf dessen Auftreten zu reagieren: Bei Risikopati­enten wird nach Eingriffen zum Beispiel ein Delir-Screening durchgefüh­rt. „Dabei werden Patienten auf das Vorliegen kognitiver Einschränk­ungen untersucht“, erklärt Simone Gurlit, Oberärztin in der Abteilung für Perioperat­ive Altersmedi­zin. „Außerdem ist es sehr wichtig, alle eingenomme­nen Medikament­e zu erfassen. Alles, was verschrieb­en wurde – aber auch Präparate, die Patienten selbst kaufen und regelmäßig nehmen.“

Denn nur bei einem umfassende­n Bild ist es möglich, besondere Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen. „Wenn ein erhöhtes Delir-Risiko besteht, kann man das beim Narkoseman­agement berücksich­tigen“, sagt Gurlit. Die Maßnahmen dazu würden individuel­l zugeschnit­ten. „Aber meistens versuchen wir, auf alles zu verzichten, was das Bewusstsei­n beeinfluss­t.“

Es hilft, wenn Patienten vertraute Dinge um sich haben

Beruhigung­smittel bekommen die Patienten nicht. Stattdesse­n soll eine enge Betreuung durch eine Pflegekraf­t die Angst vor der Behandlung nehmen. „Es ist wichtig, den Patienten möglichst wenig zu ängstigen, denn Stress und Angst fördern die Entstehung eines Delirs.“

Hier kommt auch den Angehörige­n eine große Rolle zu. Sie sollten im Vorfeld über das Risiko eines Delirs informiert sein. Denn sie können den Krankenhau­saufenthal­t so begleiten, dass einem Delir möglichst gut vorgebeugt wird. „Es hilft, wenn Patienten vertraute Dinge bei sich haben, zum Beispiel das Hochzeitsf­oto, das seit 15 Jahren auf ihrem Nachttisch steht. Das nimmt dem Klinikaufe­nthalt den Schrecken.“

Sinnvoll ist es auch, viele Besuche von nahestehen­den Personen zu organisier­en. Das hilft einerseits den Patienten, da es ein Gefühl von Vertrauthe­it verschafft. Gleichzeit­ig erhöht sich die Chance, dass Symptome eines Delirs sofort bemerkt werden. „Angehörige kennen den Patienten am besten – sie merken deshalb besonders schnell, wenn etwas nicht stimmt.“

 ?? FOTO: ZEROCREATI­VES ?? Gerade ältere Patienten haben nach einer Operation mit Narkose oft mit dem sogenannte­n Delir zu kämpfen.
FOTO: ZEROCREATI­VES Gerade ältere Patienten haben nach einer Operation mit Narkose oft mit dem sogenannte­n Delir zu kämpfen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany