Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Honig im Kopf“ist großes Kino auf der Bühne
Eine heiter-tragische Geschichte und ein grandioser Heinz Koch als Alzheimer-kranker Großvater - Stück geht unter die Haut
NEU-ULM - Der Witwer wird aufgefordert, bei der Beerdigung seiner Ehefrau ein paar Worte am Grab zu sprechen. Was ihm nach einiger Überlegung einfällt, ist dass seine Margarethe einen großen Busen hatte.
Natürlich sorgt diese Erzählung im Theaterpublikum für Erheiterung. Genauso natürlich bemerkt die Familie des Großvaters in diesem Moment erstmalig, dass „mit ihm etwas nicht stimmt“.
Was sich als schwarzer Humor interpretieren ließe, ist in Wirklichkeit die tragische Geschichte eines alternden, zunehmend an Alzheimer erkrankenden Menschen. Wie sich das anfühlt, will die kleine Enkelin Tilda wissen. Der Großvater Amandus ringt nach Worten: „wie Honig im Kopf“sei das Gefühl, die Gedanken zäh und unzusammenhängend. Dabei sind Tilda und Amandus ein klasse Team. So wie auch die beiden Schauspieler Laura Becker und Heinz Koch die Charaktere so verblüffend realistisch darstellten und vermittelten, als wäre der Zuschauer Teil dieser ungleichen Beziehung.
Eine Filmhandlung auf die Bühne zu bringen, stellt stets ein gewisses Wagnis dar. Zumal es sich bei „Honig im Kopf“um einen in Deutschland überaus erfolgreichen Streifen handelt, in dem in der Hauptrolle mit Dieter Hallervorden zu sehen war.
Den Neu-Ulmer Theatermachern ist das Experiment mit Bravour gelungen. In Rückblenden werden einzelne Episoden aus dem Leben des Amandus Rosenbach in den Verlauf der unheilbaren heimtückischen Krankheit eingebettet. Zurückschauend auf eine in Vergessenheit geratende Existenz, in der Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr differenzierbar ist, lebt der Großvater vor allem in Gedanken an seine geliebte Margarethe auf. Der Kinderarzt rät der kleinen Tilda, ihrem Opa eine Freude zu bereiten: Wenn man glücklich sei, könne man sich besser erinnern.
Ganz anders, mit wenig Empathie, dagegen der Mediziner, der den Patienten begutachtet: Diagnose Alzheimer! Hart, aber herzlos.
Die beiden anderen Familienmitglieder, Amandus’ Schwiegersohn Niko (Markus Streubel) und dessen Frau Sarah (Helga Reichert) führen eine Ehe, die den Namen nicht verdient: Jeder betrügt den Partner, es herrschen Zank und aggressive Lautstärke.
Wer die Filmfassung nicht kennt, fragt sich wohl, ob es solch störender Charaktere überhaupt bedarf. Ja, es muss so sein! Alzheimer bewirkt beim Mitmenschen nicht nur Zuneigung, Verständnis und Unterstützung. Die Krankheit evoziert auch Überforderung, Wut und Frustration der Angehörigen. Gräben tun sich auf, wo zuvor nur Risse sichtbar waren. Die Nerven liegen blank.
Bei diesem großen Kino auf der Bühne benötigte es keine ausladende Staffage. Ein paar Sitzwürfel, die mal den Innenraum eines Fahrzeugs darstellen und mal das Zugabteil symbolisierend, in dem Tilda und Amandus zusammen nach Venedig reisen, genügen als Bühnenausstattung. Ergänzt durch einen Kühlschrank, der dem verwirrten Amandus auch mal als Toilette dient, und einem Bücherregal mit dem Bild der geliebten Margarethe.
„Honig im Kopf“lebt durch seine tragische Komik, etwa wenn Amandus den Heimweg nicht mehr findet und von der Polizei nach Hause gebracht wird. Als „Souvenir“entwendet der Großvater die Waffe des Beamten und beginnt, im häuslichen Wohnzimmer damit zu hantieren.
Hervorragende Bearbeitung, großartige Schauspieler
Das Stück lebt aber – zumindest auf den Neu-Ulmer Brettern – auch von der hervorragenden Bearbeitung durch Regisseurin Claudia Riese und durch die überzeugenden Schauspielern. Vor allem verdient die grandiose Leistung bei Heinz Kochs Darstellung des erkrankten Amandus uneingeschränkte Bewunderung. Das ist Theater, das unter die Haut geht.