Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Was den Wohnungsbau im Land behindert
Von Flächenmangel bis Bürgerbeteiligung – Es gibt viele Gründe dafür, warum nicht mehr Wohnraum entsteht
STUTTGART - Wohnraum in BadenWürttemberg ist knapp. Laut einer Prognos-Studie müssten jährlich 65 000 Wohnungen im Land entstehen, um den bestehenden und neuen Bedarf zu wecken. Tatsächlich sind 2017 lediglich 38 000 hinzugekommen. Offizielle Zahlen für 2018 gibt es noch nicht, doch schon jetzt scheint laut Experten klar: Die nötige Menge wurde wieder um Zehntausende Wohnungen verpasst. Woran liegt das? Eine Übersicht:
Überhitzte Baukonjunktur
Der Bausektor im Südwesten boomt. Den Boom nennen Politiker unterschiedlicher Couleur als eine der wichtigsten Hürden auf dem Weg zu mehr Wohnraum – darunter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Für vergangenes Jahr geht der Verband der Bauwirtschaft BadenWürttemberg von zehn Prozent Umsatzsteigerung aus. Die Zahl der Beschäftigten stieg um vier Prozent. Es könnten mehr sein, erklärt eine Sprecherin – wäre da nicht der Fachkräftemangel. „Die Kapazitäten kann man nicht von jetzt auf nachher aufbauen“, Mitarbeiter müssten intensiv qualifiziert werden.
Der Fraktionschef der Grünen im Landtag Andreas Schwarz nimmt die Bauwirtschaft in die Pflicht. „Für Bauunternehmen bringen teure Wohnungen die höchsten Renditen. Und deshalb konzentrieren sie sich auf dieses Segment. Hier kann man von Marktversagen sprechen.“Damit im mittleren und unteren Bereich mehr Wohnraum entsteht, soll es einen Wohnraumfonds BadenWürttemberg geben.
Ottmar Wernicke von Haus und Grund, dem Landesverband der Eigentümer, spricht von einem „Ablenkungsmanöver“. Dass nicht mehr Wohnungen entstehen, begründet er mit dem Mangel an Bauflächen.
Bauflächen fehlen
„Das Hauptproblem ist nach wie vor der Mangel an Flächen“, sagt auch Ministerin Hoffmeister-Kraut. Ihre Meinung ist Konsens. Bauern klagen, dass Ackerland zugunsten von Siedlungsflächen verloren geht. Naturschutzverbände kritisieren, dass Flächen versiegelt werden. Doch selbst Grünen-Fraktionschef Schwarz sagt: „Wir müssen effizient mit Fläche umgehen und alle Innenentwicklungspotenziale mobilisieren. Aber in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt wird es nicht ohne Außenentwicklung gehen.“
Der Bund hat 2017 den Paragrafen 13b im Baugesetzbuch gelockert. Kleinere Neubaugebiete, die an Siedlungen angrenzen, können schneller und einfacher ausgewiesen werden. Die Öffentlichkeit muss nicht frühzeitig eingebunden werden, verpflichtende Umweltprüfungen können wegfallen. Die Wirtschaftsministerin wünscht sich, dass die Sonderregelung, die dieses Jahr ausläuft, verstetigt wird.
Ein breites Bündnis aus Bau- und Wohnungswirtschaft sowie kommunalen Landesverbänden hatte im Januar Vorschläge für schnelleres Bauen vorgelegt.
Ein Punkt darunter: Die vereinfachten Regeln sollen im Land generell bei der Ausweisung von Bauflächen angewandt werden.
Udo Casper vom Landesmieterbund sagt: „Der Flaschenhals ist fehlendes Bauland.“Die Kommunen seien gefragt, mehr Bauland auszuweisen und vernünftige Bodenpolitik zu betreiben. Die vorausschauende Planung fehle vielen Kommunen, bestätigt Markus Müller, Präsident der Landesarchitektenkammer. „Es gibt einen erfreulichen Konsens bei Politikern, nachhaltige Bodenpolitik wieder auf die Agenda zu setzen.“
Bürger verhindern Neubauten
Am Sonntag entscheiden die Freiburger über die Zukunft des Dietenbach-Viertels. Am Stadtrand sollen 6500 Wohnungen entstehen. Bürger sind dagegen Sturm gelaufen und haben einen Bürgerentscheid erwirkt. Dieses Instrument hat die grün-rote Landesregierung 2015 in der Gemeindeordnung verankert.
„Auf mich kommen Kommunale zu, die fordern, die Bürgerbeteiligung in dieser frühen Phase wieder abzuschaffen“, sagt Ministerin Hoffmeister-Kraut. Auch CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart sagt: „Wir sind der Meinung, dass das Instrument der Bürgerentscheide beim Thema Bauen unnötig ist und wegfallen sollte.“Rückendeckung bekommen sie für ihre Forderung von den Kommunalverbänden.
Dem erteilt Grünen-Fraktionschef Schwarz eine Absage. „Wir betrachten Bürgerbeteiligung als wichtiges Qualitätsinstrument, durch die wichtige Fragen und Anregungen aus der Anwohnerpraxis ins Verwaltungshandeln eingespeist werden.“Seit 2015 habe es 16 Bürgerentscheide zu Wohn- oder Gewerbegebieten gegeben – die nicht alle erst durch die Reform der Gemeindeordnung möglich wurden. Von diesen 16 hätten neun dazu geführt, dass eine Bebauung verhindert wurde – im Vergleich zu tausenden Bauleitplanverfahren pro Jahr.
„Es ist die Komplexität, die schlicht und ergreifend viele Akteure überfordert“, sagt Markus Müller von der Architektenkammer, der in Meckenbeuren lebt. Sein Vorschlag: Parallel zur Städtebauförderung brauche es ein Programm „innovatives Wohnen BW“. Dieses könne die Kommunen ähnlich wie Landesgartenschauen motivieren, kluge Lösungen gegen den Wohnungsbau zu entwickeln. Solche, die kleinere Wohnungen auf dichtem Raum mit sozialer Durchmischung und Nachbarschaftsgedanken hevorbringen.