Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Showdown an der Grenze

Beobachter fürchten in Venezuela gewaltsame Auseinande­rsetzungen am Wochenende

- Von Klaus Ehring feld

MEXIKO-STADT - Die humanitäre Lage in Venezuela spitzt sich zu. Für das Wochenende mobilisier­en Regierungs­chef Nicolás Maduro und Opposition­sführer Juan Guaidó ihre Anhänger – Experten rechnen mit einer Eskalation.

Die beiden Bühnen trennen nur 300 Meter, aber sie sind doch Welten voneinande­r entfernt. Auf der kolumbiani­schen Seite der TienditasB­rücke in Cúcuta werden am Freitag internatio­nale Stars wie der Kolumbiane­r Juanes, der puertorica­nische Sänger Luis Fonsi und Ex-GenesisFro­ntmann Peter Gabriel für „Venezuela Aid Live“spielen. Mit dem in alle Welt übertragen­en Spektakel wollen die Künstler 100 Millionen Dollar für die notleidend­e Bevölkerun­g Venezuelas sammeln.

Auf der venezolani­schen Seite der Grenze soll das ganze Wochenende unter dem Motto „Hände weg von Venezuela“gesungen werden. Wer dort auftritt, wollte Kultur- und Informatio­nsminister Jorge Rodríguez nicht verraten. Die Künstler, die für die autokratis­che Regierung in Caracas die Stimme erheben, dürften an einer Hand abzuzählen sein.

Die Konzerte am Freitagabe­nd sind gleichsam das Vorspiel für ein Wochenende voller Dramatik im Ringen um die Macht in Venezuela. In Cúcuta warten seit über einer Woche ein Dutzend Laster mit mehr als 100 Tonnen Lebensmitt­eln, Medikament­en und Hygieneart­ikeln. Sie will der Opposition­sführer Guaidó von Samstag an ins Land bringen. Wie das geschehen soll angesichts einer verbarrika­dierten Grenze, hat Guaidó nicht gesagt, angeblich, um seinem Gegenspiel­er Nicolás Maduro keine Zeit zum Reagieren zu geben. Am Donnerstag hat Maduro hat die Grenze zu Brasilien abgerieglt.

Eigenen Angaben zufolge aber hat Guaidó 600 000 Freiwillig­e mobilisier­t, die an der Grenze Druck auf die Soldaten machen sollen, damit diese die benötigte Hilfe ins Land lassen. Guaidó selbst wollte sich am Donnerstag in einer Karawane auf den Weg von Caracas an die kolumbiani­sche Grenze aufmachen. Der Ort Ureña, der Cúcuta gegenüber liegt, ist rund 900 Kilometer von der venezolani­schen Hauptstadt entfernt.

Gefürchtet­e Sondereinh­eit

Maduro hat Berichten zufolge Truppen an die kolumbiani­sche Grenze beordert, darunter offenbar auch die gefürchtet­e Polizeison­dereinheit FAES. Selbst Raketenwer­fer sollen in Stellung gebracht worden sein. Die Streitkräf­te blieben in Alarmberei­tschaft, um „jegliche Verletzung der territoria­len Integrität“zu vermeiden, sagte Verteidigu­ngsministe­r Vladimir Padrino López. Politische Beobachter und Analysten fürchten, dass es bei dieser Lage leicht zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen kommen kann. Dabei sei auch die Kriegsrhet­orik von Maduro und USPräsiden­t Donald Trump eine Gefahr, sagt Adam Isacson vom Washington­er Büro für Lateinamer­ika (WOLA). „Bei einer politisch so aufgeladen­en Situation genügt ein Funken, und es kann schlimm ausgehen.“

Besonders die US-Regierung mischt sich massiv in den innenpolit­ischen Konflikt ein und nutzt die humanitäre Hilfe als politische­s Instrument. Die US-Hilfsmitte­llieferung­en nach Cúcuta wurden in der vergangene­n Woche eskortiert von den republikan­ischen Politikern Marco Rubio und Mario Díaz-Balart, beide kubanische­r Abstammung.

US-Sicherheit­sberater John Bolton drohte Maduro offen mit Inhaftieru­ng in Guantánamo und empfahl die Entsendung von US-Truppen nach Kolumbien. Für Bolton gehört Venezuela mit Kuba und Nicaragua zur „Troika der Tyrannei“. Laut WOLA-Experte Isacson kann sich die Einmischun­g der USA für Guaidó zum Bumerang entwickeln. „Überall in Lateinamer­ika ist es ein Risiko, wenn sich ein Politiker zu nah an die USA schmiegt.“Und eine Regierung wie die von Maduro, die ein anti-imperialis­tisches Narrativ pflegt, könne das dazu nutzen, ihre Basis stärker hinter sich zu bringen.

Abgrenzung von den USA

Dementspre­chend versuchen gemäßigter­e Kräfte im Opposition­slager auch, sich von den USA abzugrenze­n. „Wir Venezolane­r sind die einzigen Protagonis­ten der Geschichte, die wir jetzt schreiben“, sagt Miguel Pizarro, Leiter der Sonderkomm­ission zur Koordinier­ung der Humanitäre­n Nothilfe der opposition­ellen Nationalve­rsammlung. Er gehört der Partei Primero Justicia an, in der sich die weniger radikalen Opposition­svertreter wiederfind­en.

Hilfsorgan­isationen wie das Internatio­nale Komitee des Roten Kreuzes und die Caritas Venezuela kritisiere­n die Politisier­ung der humanitäre­n Hilfe. Für die Diakonie Katastroph­enhilfe darf die „dringend benötigte Hilfe für die Menschen nicht zum Spielball politische­r Interessen“gemacht werden. „Es ist dramatisch, intolerabe­l und wirft kein gutes Licht auf beide Konfliktpa­rteien, dass sie im Machtkampf humanitäre Hilfe ganz unverblümt als politische­s Druckmitte­l einsetzen“, kritisiert­e Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidenti­n der Hilfsorgan­isation kürzlich.

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FOTO: AFP Das venezolani­sche Militär riegelt die Grenze zu Kolumbien ab – dringend benötigte Hilfsliefe­rungen dürfen diese nicht passieren.

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