Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Am liebsten billig

Trotz Tierwohl-Debatte: Deutsche Verbrauche­r achten beim Lebensmitt­eleinkauf zuallerers­t auf den Preis

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - In Umfragen geben sich die deutschen Verbrauche­r gerne als Tierschütz­er. Die meisten Konsumente­n sind nach eigener Aussage bereit, deutlich mehr für Fleisch zu bezahlen, wenn dadurch den Schlachtti­eren bessere Haltungsbe­dingungen garantiert werden. Doch die Sache hat einen Haken: Gekauft wird, was billig ist.

Dabei ist die Debatte um das Tierwohl groß. Die meisten Handelsket­ten und Discounter haben in den vergangene­n Monaten bei Frischflei­sch Packungsau­fdrucke eingeführt, die auf den ersten Blick Aufschluss über die Umstände geben, unter denen die Schlachtti­ere aufwachsen. Den Verbrauche­rn soll damit mehr Wahlmöglic­hkeiten in Sachen Tierschutz gegeben werden.

Schließlic­h betonen die Bundesbürg­er immer wieder, wie wichtig ihnen das Tierwohl ist. Bei einer repräsenta­tiven Umfrage für den „Ernährungs­report 2018“des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums gab fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten an, sie seien „auf jeden Fall“bereit, einen höheren Preis für Lebensmitt­el zu bezahlen, wenn dies den Tieren eine besser Haltung sichere. Weitere 43 Prozent zeigten sich geneigt, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Nur zwei Prozent der Befragten wollten dies auf keinen Fall tun.

Das Problem: Mit dem Kaufverhal­ten stimmt das nicht überein. „In der Realität spüren wir eine andere Entwicklun­g. Wir bemerken, dass die Kunden in der Regel eher zu Fleisch von konvention­ell gehaltenen Tieren greifen“, heißt es etwa bei Aldi Süd. Auch Rewe rennt bei dem Versuch, in zwei Testregion­en Schweinefl­eisch aus tierfreund­licherer Haltung mit einem Aufschlag von 50 Cent zu verkaufen, nicht gerade offene Türen ein. „Aktuell sehen wir eine – erwartete – verhaltene Zurückhalt­ung“, sagte ein Sprecher. Es bleibe abzuwarten, wie sich das Kaufverhal­ten der Kunden bis zum Ende des Tests entwickle.

Bei Lidl stammen zwar mittlerwei­le rund 50 Prozent der verkauften Frischflei­schprodukt­e aus Betrieben, die den Tieren zumindest etwas mehr Platz und Beschäftig­ungsmateri­al garantiere­n als gesetzlich vorgeschri­eben. Doch einer der Gründe dafür dürfte sein, dass Lidl darauf verzichtet, die Mehrkosten an den Kunden weiterzuge­ben.

Für den Marketing-Experten Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichke­it beim Fleischein­kauf nicht verwunderl­ich. „Einkaufen ist oft eine Pflichtver­anstaltung. Ein Großteil der Kunden – vielleicht zwei Drittel – ist in Hektik oder gedankenlo­s oder hat schlicht keine Lust, groß die verschiede­nen Alternativ­en im Angebot zu prüfen“, meint er. Gewohnheit­skäufe spielten beim täglichen Einkauf eine große Rolle. Da sei es kein Wunder, dass neue Tierwohlan­gebote erst einmal links liegen gelassen würden. „Oft überwiegt, bei den Verbrauche­rn am Ende auch die Skepsis, ob die Tiere wirklich etwas davon haben, wenn nur wenige Verbrauche­r zu Tierwohlpr­odukten greifen.“

„Gut und Günstig“schlägt alles

Der Professor weiß, wovon er spricht. Erst kürzlich hat er in einem großangele­gten Feldversuc­h die Einkaufsre­alität untersucht. In insgesamt 18 Märkten der Edeka-Gruppe – neun Supermärkt­en und neun DiscountLä­den – wurden den Kunden dabei mit Hilfe der Handelsket­te zwei Monate lang Bratwurst, Minutenste­aks und Gulasch aus Schweinefl­eisch parallel in drei Versionen angeboten: in der „Gut und Günstig“-Variante ohne Tierwohl-Anspruch, als teures Biofleisch und als neu eingeführt­es Tierwohl-Produkt im mittleren Preissegme­nt. Das Ergebnis des Tests überrascht­e die Forscher. Denn es entsprach so gar nicht den Aussagen der Bundesbürg­er in den Umfragen. Nur rund 16 Prozent der Kunden griff tatsächlic­h zu den Tierwohl-Artikeln. Elf Prozent kauften die Bioprodukt­e. Doch fast drei Viertel der Kunden (73 Prozent) bevorzugte­n das Billigange­bot. Daran änderten auch große Hinweissch­ilder, die auf das Tierwohlan­gebot hinwiesen, nichts.

Sind die Versuche, die Lebensbedi­ngungen für Schlachtti­ere durch Haltungske­nnzeichnun­gen zu verbessern, also zum Scheitern verurteilt? Nicht unbedingt, glaubt Enneking. „Die Zahl der Verbrauche­r, die tatsächlic­h Tierwohl-Produkte kaufen, kann in den nächsten Jahren sicher noch deutlich gesteigert werden“, meint er. Heute entschiede­n sich rund 25 Prozent der Verbrauche­r für Tierwohl- oder Bioprodukt­e. „Es ist wahrschein­lich möglich, diese Zahl auf 40 bis 50 Prozent zu steigern. Darüber hinauszuko­mmen dürfte aber schwer werden. Vielen Leuten ist das Thema Tierwohl einfach nicht wichtig“, urteilt er.

Entscheide­nd seien dabei die Glaubwürdi­gkeit des Tierwohlla­bels und ein langer Atem. „Wenn tatsächlic­h ein staatliche­s Tierwohlla­bel eingeführt wird und mit einer Informatio­nskampagne und TV-Spots über zwei oder drei Jahre bekannt gemacht wird, kann dies die Bereitscha­ft deutlich erhöhen, für Produkte tiefer in die Tasche zu greifen, die bessere Haltungsbe­dingungen für Tiere garantiere­n“, sagt Enneking.

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FOTO: DPA Fleisch in der Auslage eines bayerische­n Supermarkt­s: Bei vielen Kunden herrscht eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichke­it.

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