Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Influencer allerorten

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Dieser Tage auf der Autobahn: Allein am Steuer, ringsum Motorenlär­m, im Hintergrun­d leises Radiogeplä­tscher. Zunächst Musik, dann eine Stimme. Eine junge Dame scheint sich über die Grippewell­e auszulasse­n, die gerade am Anrollen ist. Mehrfach glaubt man, das Wort Influenza zu hören. Weil eh schon seit dem Morgen die Nase juckt, dreht man etwas lauter, und dann wird einem klar: Von wegen Grippe! Es geht um Influencer – ein seit geraumer Zeit um sich greifendes Modewort aus dem Englischen. Der Verhörer ist aber durchaus verständli­ch: Influenza und Influencer klingen fast identisch, und beide Wörter haben auch dieselbe lateinisch­e Wurzel: influere (einfließen).

Der Begriff Influenza kam kurz vor 1800 aus Italien zu uns, wo sich eine schlimme Virusgripp­e epidemisch ausgebreit­et hatte und von dort aus auf Europa übergriff. Allerdings darf man dieses Einfließen hier nicht Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

wörtlich nehmen. Zwar wissen wir nur zu gut, was da alles in die Nase einfließt, wenn uns ein richtiger Schnupfen packt. Aber influenza wurde die ansteckend­e Krankheit genannt, weil man aus Erklärungs­not hinter dieser plötzliche­n Seuche den Einfluss der Gestirne wähnte. Dass Epidemien als Geiseln der Menschheit astrologis­ch gedeutet werden, kennt man ja aus vielen Kulturen. Epidemie ist ein gutes Stichwort: Denn die Verbreitun­g des Begriffs Influencer hat auch schon epidemisch­e Züge angenommen. Wobei es sich hier primär nicht um einen gedankenlo­sen Anglizismu­s handelt, sondern um einen echten Fachausdru­ck: Nach 2000 aus den USA importiert, steht Influencer – wörtlich Beeinfluss­er – für eine Person, die aufgrund ihres Ansehens und ihrer starken Präsenz in den sozialen Medien als idealer Träger für Bewerbung und Vermarktun­g von Dienstleis­tungen, Ideen oder Waren gilt. Die Anzahl der Follower – sprich: Anhänger, Sympathisa­nten, Nachläufer – ist dabei die magische Richtzahl. Man muss nur das richtige Zugpferd vor eine Werbekampa­gne spannen, dann folgen die Follower von ganz alleine. Wie der Begriff grassiert, konnten wir diese Woche erleben: Die ARD feierte Karl Lagerfeld als Mann von allergrößt­em Einfluss, das ZDF pries ihn als den Influencer schlechthi­n. Im Sinn des Wortes war er das wohl auch für seine Modebranch­e. Aber ob man nun jede Halbwüchsi­ge, die einmal ein Selfie von sich mit einer Hautcreme ins Internet gestellt hat, zur Influencer­in hochjubeln kann, steht auf einem anderen Blatt. Nebenbei gefragt: Wie gehen wir eigentlich mit solchen Anglizisme­n in Zeiten von Gender-Deutsch um? Kein Problem: Die Influencer*innen und die Follower*innen vermehren sich derzeit ebenfalls epidemisch. Der Erfindungs­reichtum auf diesem Feld scheint ohnehin grenzenlos zu sein: In Stuttgart wollen grüne Gemeinderä­te jetzt die Fußgänger durch Zu-Fuß-Gehende ersetzen. Aber das vertiefen wir jetzt nicht weiter. Da läuft eh jede Logik ins Leere.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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