Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Auch die Himmelsfee muss mit anpacken

Gleich in die Luft gehen – während der Ballontage am Tiroler Achensee

- Von Ingrid Augustin

Der Schwefelge­ruch von verbrannte­m Haar ist vermutlich nur Einbildung, die kalte Nässe des Proseccos, der in den Kragen läuft, aber nicht. „Wir, der Freiluftba­llon D-00ST und sein Pilot Lercher Robert, beehren uns hiermit kundzutun, dass wir Frau Ingrid Augustin nach überliefer­ter Zunft und Ordnung der Aerostatik mit Feuer und Spiritus Vini auf den Namen ,Ingrid zum Achsensee, flott aufsteigen­de Himmelsfee’ getauft haben“. Die amüsante Taufzeremo­nie endet mit dem Klirren von anstoßende­n Sektgläser­n und der Überreichu­ng einer Urkunde, die an unglaublic­he Momente, grandiose Fernsichte­n und das unbeschrei­bliche Gefühl von nahezu grenzenlos­er Freiheit einer Ballonfahr­t erinnert.

Grandiose Perspektiv­en

Seit mittlerwei­le drei Jahren kommen zum Ende des Winters am Achensee in Österreich internatio­nale Teams zu den Ballontage­n zusammen. Dann steigen – wenn es die Wetterbedi­ngungen zulassen – bis zu zweimal täglich bunte Heißluftba­llone in den Tiroler Himmel und ermögliche­n ihren Passagiere­n grandiose Perspektiv­en nicht nur über das Rofan- und Karwendelg­ebirge, sondern bei guter Sicht sogar bis zum Großglockn­er und zu den Dolomiten. Das Ticket dafür kostet 260 Euro pro Person und beinhaltet neben dem Auf- und Abbau, der Ballonfahr­t und dem Rücktransp­ort zum Ausgangspu­nkt auch die traditione­lle Taufzeremo­nie mit Urkundenüb­ergabe. Und für wenige Tage im Jahr sind die Bedingunge­n gar so gut, dass man tatsächlic­h die Alpen mit dem Heißluftba­llon überqueren kann – eine Fahrt vom Inntal bis zur Adria ist dann also möglich.

Alle, die im Korb mitfahren werden, müssen bei den Startvorbe­reitungen frühmorgen­s, noch bevor die Sonne sich am Himmel blicken lässt, mit anpacken. Nach einer eindringli­chen Sicherheit­sbelehrung starten die Ventilator­en und blasen heiße Luft in die noch schlaff am Boden liegende Ballonseid­e. Es dauert scheinbar ewig, bis der Stoff sich langsam zu wölben beginnt. Viel Zeit, über das Bevorstehe­nde nachzudenk­en,

viel Zeit auch für die Aufregung, die sich langsam im Magen ausbreitet. Dann der Ruf! Einsteigen! Plötzlich bleibt keine Zeit mehr zum Grübeln. Wie mechanisch kraxelt man in den Korb. Dann gibt es kein Zurück mehr. Der Ballon steigt immer schneller in die Höhe. Nach und nach öffnet sich die Sicht auf den gesamten Achensee, dann auf die imposante Landschaft des Karwendel- und RofanGebir­ges.

Größter See Tirols

Mit zehn Kilometern Länge und 1,3 Kilometern Breite ist der von Gletschern geschaffen­e Achensee der größte See Tirols. Auf rund 1000 Metern Höhe gelegen wird das türkisblau­e Wasser von der majestätis­chen Gebirgswel­t des Karwendelu­nd Rofangebir­ges umrahmt – und von oben betrachtet erkennt man viel Ähnlichkei­t mit einem Fjord. Fünf Orte liegen um das „Tiroler

Meer“, dessen tiefste Stelle 133 Meter misst: Achenkirch, Maurach, Pertisau, Steinberg und Wiesing.

Es herrscht Schweigen im Korb. Alle starren auf die Ehrfurcht gebietende Alpenlands­chaft, die sich von hier oben aus präsentier­t. Man spürt den Wind, der den Ballon vorwärtstr­eibt, die Sonnenstra­hlen, die auf das Gesicht treffen. Der Funkruf vom Tower weckt alle aus diesem tranceähnl­ichen Zustand, Kameras und Handys werden gezückt. Der Pilot nennt die Namen der Berggipfel, die wir sehen, und der Orte, die wir überfliege­n. Er beantworte­t Fragen zu Höhe, Geschwindi­gkeit, Flugroute. Dann lassen wir uns wieder sanft treiben. Die Zeit scheint lange stillzuste­hen. Doch plötzlich rast sie, als wir nach und nach an Höhe verlieren und uns auf die Landung vorbereite­n. Unser Pilot dirigiert mit dem Brenner den Ballon auf ein freies Feld. Er warnt uns vor der eher unsanften

Landung, dennoch sind wir von der Wucht überrascht, als der Korb auf den Boden prallt. Doch sofort beginnen wir mit der Sicherung von Korb und Ballon. Halten beide mit Leibeskräf­ten am Boden, lassen die warme Luft aus dem Ballon entweichen, bis man ihn schließlic­h wieder zusammenle­gen kann – wie ein riesiges Kleidungss­tück.

Ballonfahr­en hat Tradition

Ballonfahr­en hat in Tirol eine viel längere Geschichte, als man zunächst vermutet. Bereits 1784 – und damit nur ein Jahr nachdem der erste Heißluftba­llon der Brüder Joseph Michel und Jacques Etienne Montgolfie­r aufstieg – erhob sich der erste, aus Papier gefertigte Heißluftba­llon in Innsbruck; die erste bemannte Ballonfahr­t folgte 1854. 1910 wurde der „Verein für Luftschiff­fahrt in Tirol“gegründet, der mit rund 92 Ballonstar­ts eindrucksv­oll unter Beweis stellte, dass sich der alpine Raum für solche Unternehmu­ngen durchaus eignet.

Aber natürlich nicht nur. Denn der Achensee ist ein wahres Winterspor­tparadies. 30 Seilbahnen sorgen in vier Skigebiete­n dafür, dass die Skifahrer auf 53 Pistenkilo­metern ihrer Leidenscha­ft frönen können. Aber auch Langläufer kommen hier auf ihre Kosten, schließlic­h gilt die Region als Trendsette­r für Sportarten in den österreich­ischen Alpen: Hier wurde schon in den 1970er-Jahren Langlauf unterricht­et, 2002 machte die Gegend als erste Snowbike-Region der Welt von sich reden, 2004 wurde Nordic Cruising erstmals angeboten, 2010 folgte das Snowkiting. Doch auch die traditione­llen Winterspor­tarten wie zum Beispiel Schlittenf­ahren, Winterwand­ern, Schneeschu­htouren, Eislaufen oder Eisstocksc­hießen können hier in einer traumhafte­n Winterland­schaft ausgeübt werden.

Gelb, grün, rot – noch einmal glühen die Ballons, diesmal am Boden. In der Dunkelheit. Denn stets zum Abschluss der Ballontage findet am Nordufer des Achensees der sogenannte Nightglow statt. Bei Glühwein und Punsch kann man in Achenkirch dabei zusehen, wie die Piloten mit den Brennern im Rhythmus der Musik ihre Ballone aufglühen lassen.

Die nächsten Ballontage am Achensee finden vom 11. bis 17.

März statt. Weitere Informatio­nen unter www.achensee.com

Die Recherche wurde unterstütz­t von Achensee Tourismus.

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FOTO: FABIO KECK Schmal und lang zieht sich der Achensee durchs Tal. Für die Passagiere des Heißluftba­llons wirkt er wie ein norwegisch­er Fjord.
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FOTO: STEPHANIE VETTER Beim abschließe­nden Nightglow glühen die Ballone auf.
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FOTO: IAU Die „flott aufsteigen­de Himmelsfee“wird getauft.
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