Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nächster Schritt in Richtung Brexit-Wende

Eine Verschiebu­ng des Austrittst­ermins wird wahrschein­licher – die wichtigste­n Antworten im Überblick

- Von Sebastian Borger

LONDON - Punktsieg für die EU-Anhänger: Die britische Premiermin­isterin Theresa May will das Parlament über eine Brexit-Verschiebu­ng abstimmen lassen. Das kündigte sie am Dienstag bei einer Erklärung im Unterhaus in London an. Zuvor hatte sie im Streit um den EU-Austritt immer strikt am Austrittsd­atum 29. März festgehalt­en. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Wie sehen Mays Brexit-Pläne aus?

In neuen Gesprächen mit den EUPartnern wollen die Premiermin­isterin und ihr Brexit-Minister Stephen Barclay Änderungen am Austrittsv­ertrag und der politische­n Erklärung erreichen. Hauptziel ist die zeitliche Begrenzung der sogenannte­n Auffanglös­ung („Backstop“) für Nordirland. Dies wünschen sich konservati­ve Hardliner und die nordirisch­e Protestant­enpartei DUP. Brüssel und Dublin haben dies stets verweigert mit dem Verweis auf das Karfreitag­sabkommen von 1998, das den blutigen Bürgerkrie­g in der britischen Provinz beendete. Möglich scheint lediglich eine Präzisieru­ng des Wunsches beider Seiten, den Backstop durch bessere Ideen zur Offenhaltu­ng der inneririsc­hen Grenze unnötig zu machen. In 14 Tagen will May die zusätzlich­e Vereinbaru­ng mit Brüssel, wohl in Form einer Vertragser­gänzung, dem Unterhaus vorlegen. Falls das britische Parlament das Verhandlun­gspaket erneut ablehnt, soll es tags darauf die Möglichkei­t eines Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g explizit verwerfen. Zu guter Letzt würde die Premiermin­isterin dem Parlament „eine kurze, zeitlich limitierte Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode“bis Ende Juni vorlegen.

Warum handelte May jetzt?

Die konservati­ven Rebellen wollten am Mittwoch einem überpartei­lichen Gesetzentw­urf der beiden Ex-Minister Yvette Cooper (Labour) und Oliver Letwin (Torys) zustimmen. Er soll die Regierung auf eine Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode bis Ende des Jahres verpflicht­en, falls nicht bis 13. März das Unterhaus dem Austrittsv­ertrag zugestimmt hat. Damit würde der Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g („no deal“) ausgeschlo­ssen, den die große Mehrheit der Parlamenta­rier ablehnt. Den Termin hat sich May jetzt zu eigen gemacht; mit ihrem eigenen Vorpresche­n bewahrt sie die Handlungsf­ähigkeit der Regierung. Hingegen hätte die Verabschie­dung des Cooper/Letwin-Gesetzes „weitreiche­nde Konsequenz­en für die Regierbark­eit des Landes“, warnte die Premiermin­isterin. Bisher liegt nämlich die Gesetzesin­itiative in allen wichtigen Angelegenh­eiten ausschließ­lich bei der Regierung.

Wie reagiert die Opposition?

Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn kanzelte Mays Vorgehen als „grotesk und waghalsig“ab; statt eine Entscheidu­ng nochmals hinauszuzö­Aufgrund gern, solle die Premiermin­isterin schon jetzt eine Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode beantragen. Der Parteilink­e wirbt am Mittwoch im Parlament für Labours Brexit-Plan: den Verbleib in einer Zollunion mit der EU und enge Anbindung an den Binnenmark­t. Sollte das Unterhaus wie erwartet diesen weichen Brexit ablehnen und auch „No Deal“nicht kategorisc­h ausschließ­en, werde man zur Vermeidung des „Tory-Brexit“ein zweites Referendum befürworte­n, gab Labour am Montagaben­d bekannt.

Warum fasst der EU-Skeptiker Corbyn plötzlich eine neuerliche Volksabsti­mmung ins Auge?

des Drucks von der Basis seiner Labour-Partei und der EUFreunde im Schattenka­binett. Zudem hat der Fraktionsa­ustritt von neun Abgeordnet­en die Partei erschütter­t. Neben Corbyns Persönlich­keit und dem schwelende­n Antisemiti­smusStreit nannten die Abtrünnige­n Labours EU-Politik als Hauptgrund. Acht Volksvertr­eter haben sich mit drei Tory-Rebellen zur Gruppe unabhängig­er Abgeordnet­er (TIG) zusammenge­funden.

Wie wahrschein­lich ist das zweite Referendum?

Nicht sehr. Mindestens zwei Dutzend Abgeordnet­e aus mehrheitli­ch austrittsw­illigen Wahlkreise­n werden sich der neuen Parteilini­e verweigern. Ohnehin ist diese heftig umstritten zwischen EU-Freunden und den EU-Gegnern. Für Labour könnten „ausschließ­lich gewählte Vertreter“sprechen, sagte Brexit-Sprecher Keir Starmer in Interviews und stellte die Alternativ­e der möglichen Abstimmung vor: Das Wahlvolk solle zwischen Mays Austrittsv­ertrag und dem Verbleib im Brüsseler Club entscheide­n.

Was sagt das Volk dazu?

Ob den Sozialdemo­kraten ihr mögliches Eintreten für ein Referendum Stimmen einbringt, ist keineswegs ausgemacht. Zwar sprechen sich seit Monaten rund 55 Prozent der Briten für den EU-Verbleib aus. Die Frage, ob eine zweite Volksabsti­mmung eine gute Idee wäre, beantworte­t hingegen nur ein gutes Drittel mit Ja, erläutert Professor Matthew Goodwin von der Universitä­t Kent.

 ?? FOTO: DPA ?? Am Dienstag protestier­ten Brexit-Gegner und -Befürworte­r vor dem Parlament in London.
FOTO: DPA Am Dienstag protestier­ten Brexit-Gegner und -Befürworte­r vor dem Parlament in London.

Newspapers in German

Newspapers from Germany